Urteil des BVerwG vom 25.06.2004

Politische Verfolgung, Treu Und Glauben, Übermittlung, Existenzminimum

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 282.03 (1 PKH 86.03)
OVG 1 Bf 11/98.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdever-
fahren wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsge-
richts vom 29. August 2003 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Der Klägerin kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die
beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m.
§ 114 ZPO).
1. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil die Beschwerdebegründungsfrist
versäumt worden ist und ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kei-
nen Erfolg hat.
Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der
Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision ein-
gelegt werden soll, einzureichen (§ 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Da das Berufungsur-
teil dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit entsprechender Rechtsmittelbe-
lehrung am 2. Oktober 2003 zugestellt wurde, lief die Frist zur Beschwerdebegrün-
dung am 2. Dezember 2003, einem Dienstag, ab. Die Beschwerdebegründungs-
schrift vom 2. Dezember 2003, die von der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der
Klägerin am letzten Tag der Frist nach Dienstschluss per Telefax an das Verwal-
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tungsgericht Hamburg übermittelt wurde, ist ausweislich der Gerichtsakten erst am
3. Dezember 2003 beim Hamburgischen Oberverwaltungsgericht eingegangen. Da-
mit ist die Beschwerdebegründungsfrist versäumt.
Der Klägerin kann die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60
VwGO nicht gewährt werden, da nicht - wie diese Vorschrift es voraussetzt - glaub-
haft gemacht ist, dass ihr Prozessbevollmächtigter ohne Verschulden an der Einhal-
tung der Frist gehindert war. Dessen Verschulden muss sich die Klägerin zurechnen
lassen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss
vom 21. Juni 2000 - 2 BvR 1989.97 - NVwZ 2000, 907 = DVBl 2000, 1279).
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit dem Wiedereinsetzungsantrag vor-
getragen, er habe die Begründungsschrift am letzten Tag der Frist diktiert und vor
Verlassen der Kanzlei seine langjährige Anwaltsgehilfin angewiesen, den Schriftsatz
vor Mitternacht per Telefax dem Oberverwaltungsgericht Hamburg zu übermitteln. Er
habe sie ausdrücklich auf die Folgen einer nicht fristgerechten Übermittlung hinge-
wiesen. Die Anwaltsgehilfin habe den Schriftsatz gegen 21.45 Uhr per Telefax abge-
sandt und, nachdem der Sendebericht die Übermittlung des Telefax als "erfolgreich"
ausgewiesen habe, die Kanzlei verlassen. Sie habe jedoch offenbar versehentlich die
Faxnummern des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Hamburg,
die sich in einer Liste über dem Faxgerät befänden, verwechselt. Ein derartiges
Versehen sei der sonst zuverlässigen Anwaltsgehilfin bisher noch nicht unterlaufen,
obwohl sie ständig damit befasst sei, das Telefaxgerät zu bedienen und fristwahren-
de Schriftsätze zu übermitteln. Auch würden alle Mitarbeiter von ihm, dem
Prozessbevollmächtigten, regelmäßig auf die Folgen eines Fristversäumnisses hin-
gewiesen.
Mit diesem Vorbringen ist nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass der Prozess-
bevollmächtigte der Klägerin alles seinerseits Erforderliche getan hat, um die Frist
einzuhalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf der
Rechtsanwalt zwar die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax
einschließlich der Ermittlung der zutreffenden Faxnummer seinen Büroangestellten
überlassen; er muss aber, um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen, für eine Büroorga-
nisation sorgen, die eine Überprüfung der per Telefax übermittelten Schriftsätze auch
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auf Verwendung einer zutreffenden Empfängernummer gewährleistet (vgl. Be-
schlüsse vom 18. März 2004 - BVerwG 6 PB 16.03 -, vom 26. April 2002 - BVerwG
3 B 31.02 und vom 13. Februar 1998 - BVerwG 7 B 439.97 - , jeweils m.w.N.
auch zu entsprechender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesar-
beitsgerichts und des Bundesfinanzhofs). Dass der Prozessbevollmächtigte der Klä-
gerin durch geeignete organisatorische Anweisungen - wie etwa die Anordnung einer
Kontrolle anhand des Sendeberichts - sichergestellt hätte, dass Fehler bei der Ver-
wendung von Faxnummern nach Möglichkeit vermieden werden, hat er weder vorge-
tragen noch ist dies sonst ersichtlich. Hierzu hätte insbesondere auch deshalb Anlass
bestanden, weil bereits früher in einem anderen Verfahren von seiner Kanzlei ein
fristwahrender Schriftsatz ebenfalls fälschlicherweise per Telefax an das Verwal-
tungsgericht Hamburg anstatt an das Oberverwaltungsgericht Hamburg übermittelt
worden ist (vgl. Beschluss vom 26. Februar 2003 - BVerwG 1 B 48.03 -).
2. Die Beschwerde ist ferner auch deshalb unzulässig, weil sie den allein geltend
gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO genügenden Weise darlegt. Sie hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"ob ein Urteil, welches von einem überzeugten und tief religiösen Christen erwartet,
von einer Ausübung der christlichen Religion und der Befolgung des christlichen
Missionsbefehls außerhalb des häuslich-privaten Bereichs abzusehen, nicht grund-
gesetzlich verbriefte Grundfreiheiten verletzt und damit gegen geltendes (Verfas-
sungs-)Recht verstößt". Sie legt aber nicht dar, inwiefern diese Frage aus Anlass des
Falles der Klägerin klärungsbedürftig sein soll. Es geht der Beschwerde nicht um die
durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Freiheit der Religionsausübung im Gel-
tungsbereich des Grundgesetzes, sondern um die Frage, ob Beschränkungen der
Religionsausübung bei einer Rückkehr in den Iran, insbesondere das Verbot missio-
nierender Betätigung für Christen, als politische Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1
AuslG anzusehen sind. Diese Frage ist indes in der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts bereits dahin gehend geklärt,
dass staatliche Verbote, die die Ausübung der Religion beeinträchtigen, nur dann
eine politische Verfolgung in diesem Sinne darstellen, wenn sie in das sog. religiöse
Existenzminimum eingreifen, d.h. wenn sie die Religionsausübung abseits der Öf-
fentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man
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sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf, betreffen (BVerfGE 76, 143 ff.
m.w.N.; BVerwG, zuletzt Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - AuAS
2004, 125, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgese-
hen, m.w.N.). Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit einschließlich der Missio-
nierung gehören danach nicht zum asylrechtlich geschützten religiösen Existenzmi-
nimum (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O.; Beschluss vom 28. November 2003
- BVerwG 1 B 65.03 -). Daraus folgt, dass auch die von der Beschwerde aufgewor-
fene weitere Frage, ob "das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Kriterium
des sog. religiösen Existenzminimums" nur die Religionsausübung im häuslich-
privaten Bereich und nicht - jedenfalls bei missionarisch besonders aktiven Glau-
bensgemeinschaften - auch die missionarische Betätigung umfasst, höchstrichterlich
bereits entschieden ist. Einen neuen oder weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die
Beschwerde insoweit nicht auf. Soweit sie meint, das Berufungsgericht habe zu Un-
recht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Sinne des § 51
Abs. 1 AuslG wegen des in Deutschland vollzogenen Übertritts zum christlichen
Glauben und der hier praktizierten Missionierungstätigkeit der Klägerin verneint,
wendet sie sich gegen die dem Tatrichter vorbehaltene Sachverhalts- und Beweis-
würdigung. Hierauf kann eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO nicht gestützt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig