Urteil des BVerwG vom 25.06.2004

Amnesty International, Togo, Wahrscheinlichkeit, Asylbewerber

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 274.03
VGH 25 B 03.30590
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsge-
richtshofs vom 15. September 2003 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie legt einen Revisionszulassungs-
grund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht in einer den Anforderungen des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"ob 1. ohne Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108
Abs. 1 Satz 1 VwGO) und
2. ohne Überziehung des nach § 51 Abs. 1 Satz 1 AuslG anzuwendenden
Prognosemaßstabs
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Togo eine Rückkehrgefährdung abge-
lehnter Asylbewerber aus Europa nur dann anzunehmen ist, wenn der Asyl-
bewerber zur extremistischen, gewaltbereiten Opposition oder zu den aus po-
litischen Gründen desertierten Angehörigen der Sicherheitskräfte oder einer
vergleichbaren Gruppe gehört".
Die Beschwerde meint, diese Frage ziele nicht auf die Klärung der tatsächlichen poli-
tischen Verhältnisse in Togo, sondern auf eine Frage des prozessualen und mate-
riellen Rechts. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in ständiger Rechtspre-
chung Fallgruppen gebildet, in denen nach seiner Auffassung eine Rückkehrgefähr-
dung abgelehnter Asylbewerber aus Togo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
bejahen sei. Mit dieser Fallgruppenbildung verfolge er eine Negativstrategie, die dazu
führe, dass exilpolitische Betätigungen ohne Würdigung im Einzelfall als unbeachtlich
angesehen würden, weil sie nicht unter die gebildeten Fallgruppen subsumiert
werden könnten. Dies verstoße sowohl gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 86
Abs. 1 VwGO als auch gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 108
Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die tatsächliche Frage, ob die exilpolitische Oppositionspresse,
für die der Kläger tätig sei, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Togo verfolgt
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werde, schlage in eine revisionsgerichtlich zu überprüfende Rechtsfrage um, wenn
- wie in Togo - die inländische Oppositionspresse tatsächlich verfolgt werde. Denn es
sei inkonsequent und verstoße gegen die Denkgesetze, die exilpolitische
Oppositionspresse nur deshalb von der Fallgruppenbildung auszuschließen, weil es
ihr an Gewaltbereitschaft fehle, wenn zugleich die inländische Oppositionspresse
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sei, obwohl es ihr ebenfalls an Gewaltbereit-
schaft fehle. In materiellrechtlicher Hinsicht sei zu beanstanden, dass das Beru-
fungsgericht überzogene Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der "Bedro-
hung" stelle und damit den Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG verkürze.
Entgegen der Annahme des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gehe es um die
"begründete Furcht" vor Verfolgung. Diese hänge nicht davon ab, ob in konkreten
Fällen ein aus Europa zurückkehrender Asylbewerber verfolgt worden sei; vielmehr
bedürfe es insoweit keiner Bezugsfälle. Zum anderen sei auch die Auffassung, dass
die Behandlung von Rückkehrern durch das togoische Regime von Rücksichtnahme
auf das westliche Ausland geprägt sei, inzwischen widerlegt.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen der Beschwerde ist eine grundsätzliche Be-
deutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargetan. Die
Beschwerde wirft keine fallübergreifend zu beantwortende, klärungsfähige und
klärungsbedürftige Rechtsfrage auf. Die von ihr als grundsätzlich bedeutsam be-
zeichnete Frage ist trotz der gegenteiligen Behauptung der Beschwerde in Wahrheit
letztlich eine Tatsachenfrage, die in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden
kann. Denn die Frage, wann bzw. ob nur unter bestimmten Voraussetzungen mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Togo eine Rückkehrgefährdung abgelehnter Asyl-
bewerber aus Europa ohne Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 51
Abs. 1 Satz 1 AuslG angenommen werden kann, lässt sich abstrakt und losgelöst
vom Einzelfall nicht ohne eine (eigene) Feststellung und Würdigung der tatsächlichen
Verhältnisse in Togo beantworten. Dies ist in einem Revisionsverfahren nicht
möglich. Nichts anderes gilt für die von der Beschwerde angegriffene, auf tatrichterli-
chen Erwägungen und Schlussfolgerungen beruhende Bildung von Fallgruppen;
auch insoweit handelt es sich um eine Tatsachenfrage und nicht um eine Rechtsfra-
ge im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dass der Verwaltungsgerichtshof bei der
Bildung von Fallgruppen materiellrechtlich unzutreffende (Verfolgungs-)Kriterien
zugrunde gelegt hätte, die rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig wären, lässt sich der
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Beschwerde nicht entnehmen. Auch sonst zeigt die Beschwerde nicht auf, inwiefern
die angefochtene Entscheidung ungeklärte Fragen des revisiblen Rechts aufwerfen
soll. Ein "Umschlagen" von Tatsachenfragen in Rechtsfragen, wie die Beschwerde
meint, gibt es nicht. Soweit sie es für klärungsbedürftig hält, ob der Verwal-
tungsgerichtshof mit der angegriffenen Entscheidung den Untersuchungsgrundsatz
des § 86 Abs. 1 VwGO und den Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 108
Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt hat, zielt sie auf Verfahrensfehler und Mängel der Be-
weiswürdigung im Einzelfall, bezeichnet aber hierzu keine fallübergreifend zu beant-
wortende (prozessuale) Rechtsfrage. Auch im Hinblick auf den nach § 51 Abs. 1
Satz 1 AuslG anzuwendenden Prognosemaßstab zeigt die Beschwerde keine be-
stimmte klärungsbedürftige Rechtsfrage auf, die erneuter oder ergänzender Klärung
in einem Revisionsverfahren bedürfte. Sie greift insoweit in Wahrheit lediglich die
ihrer Ansicht nach unzutreffende Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Beru-
fungsgerichts an, nach der in der Regel nur extremistische, gewaltbereite exilpoliti-
sche Tätigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu politischer Verfolgung im Falle
der Rückkehr nach Togo führt. Ob dabei Bezugs- oder Referenzfälle für die Progno-
seentscheidung von Bedeutung sind und ob und in welchem Umfang die Behandlung
von Rückkehrern durch das togoische Regime von Rücksichtnahme auf das
westliche Ausland geprägt ist, sind im Übrigen ebenfalls keine Fragen des Progno-
semaßstabs, sondern der tatrichterlichen Überzeugungsbildung. Etwas anderes er-
gibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Beschwerde, der Bayerische Verwal-
tungsgerichtshof weiche mit seiner Rechtsprechung von der anderer Berufungsge-
richte, etwa des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt ab, das auch
eine nicht gewaltbereite exilpolitische Betätigung im Einzelfall für die Annahme einer
Verfolgungsgefahr habe ausreichen lassen. Die behauptete Abweichung bezieht sich
auf die unterschiedliche Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse in Togo und damit
auf Tatsachenfragen, die nicht auf eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Sache
führen. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO könnte unabhängig
davon auf die Abweichung von Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte
ohnehin nicht gestützt werden.
Auch unter dem Gesichtspunkt eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO, den die Beschwerde nicht ausdrücklich geltend macht, käme eine Zulassung
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der Revision nicht in Betracht. Insoweit genügt das Vorbringen der Beschwerde
ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Soweit die Beschwerde im Rahmen ihrer Ausführungen zur Grundsatzbedeutung
eine Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend macht, greift sie die Sach-
verhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an. Fehler in der Sachver-
halts- und Beweiswürdigung sind aber nach ständiger Rechtsprechung revisions-
rechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zu-
zurechnen (vgl. etwa Beschluss vom 19. Oktober 1999 - BVerwG 9 B 407.99 -
Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11 m.w.N.). Ein Verfahrensverstoß kann allen-
falls ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die Beweiswürdigung objektiv will-
kürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder die allgemeinen Erfahrungssätze
missachtet (vgl. etwa Beschluss vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - NVwZ
2003, 1132 <1135> m.w.N.). Dass die angefochtene Entscheidung indes derartige
Mängel aufweist, legt die Beschwerde nicht dar. Ihr Vorwurf, die Bildung von Fall-
gruppen durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof verkürze und ersetze die
Beweiswürdigung im Einzelfall, wäre danach nur erheblich, wenn diese - dem Tat-
richter vorbehaltene - Fallgruppenbildung ihrerseits willkürlich ist. Dies zeigt die Be-
schwerde ebenso wenig auf wie das behauptete Unterlassen einer Einzelfallprüfung
und den geltend gemachten Verstoß gegen die Denkgesetze. Soweit sie vorträgt, es
verstoße gegen die Denkgesetze, die exilpolitische Oppositionspresse nur deshalb
von der Fallgruppenbildung auszuschließen, weil es ihr an Gewaltbereitschaft fehle,
wenn zugleich die inländische Oppositionspresse Verfolgungsmaßnahmen ausge-
setzt sei, obwohl es ihr ebenfalls an Gewaltbereitschaft fehle, verkennt sie die Vo-
raussetzungen eines solchen Verstoßes. Er setzt voraus, dass das Gericht einen aus
denkgesetzlichen Gründen schlechthin unmöglichen Schluss zieht, indem es Vo-
raussetzungen und Folgerungen in einer Weise verknüpft, dass die Folgerung unter
keinen Umständen richtig sein kann (vgl. etwa Beschluss vom 19. Oktober 1999,
a.a.O., m.w.N.). Davon kann hier schon deshalb nicht die Rede sein, weil nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts die einheimische Oppositionspresse in Togo
wegen der verhältnismäßig wenigen Übergriffe nicht mit beachtlicher Wahrschein-
lichkeit politischer Verfolgung ausgesetzt ist (BA S. 6). Abgesehen davon wäre auch
eine unterschiedliche Bewertung der exilpolitischen und der inländischen Oppositi-
onspresse nicht bereits aus denkgesetzlichen Gründen schlechthin unmöglich, da
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z.B. unter dem Gesichtspunkt der auch vom Berufungsgericht angeführten Rück-
sichtnahme auf das westliche Ausland und des nicht vergleichbaren Bedrohungspo-
tentials für das Regime eine unterschiedliche Behandlung der exilpolitischen und der
inländischen Oppositionspresse nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.
Eine allenfalls noch denkbare Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungs-
pflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Insoweit fehlt es
schon an der erforderlichen Darlegung, dass sich dem Berufungsgericht angesichts
der Verwertung und Würdigung der vom Kläger vorgelegten Auskunft von amnesty
international an das Verwaltungsgericht Hannover vom 21. Mai 2003 (BA S. 6) nach
seiner insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung darüber hinaus die
Beiziehung der in der Beschwerde benannten weiteren Erkenntnisquellen von am-
nesty international, "Reporter ohne Grenzen" oder "Commitee to Protect Journalists"
über die Behandlung der inländischen Oppositionspresse von Amts wegen hätte
aufdrängen müssen, zumal die Beschwerde nicht geltend macht, dass der anwaltlich
vertretene Kläger hierauf bereits im Berufungsverfahren hingewirkt hat. Für weitere
Verfahrensmängel bietet das Beschwerdevorbringen keinen Anhalt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig