Urteil des BVerwG vom 27.03.2007

Kosovo, Verfahrensmangel, Anhörung, Ermessen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 271.06
OVG 13 A 1740/05.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. März 2007
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungs-
gerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
20. September 2006 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Nach § 132 Abs. 2 VwGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechts-
sache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Entscheidung der Vorinstanz von
einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats
der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend
gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Im Be-
schwerdeverfahren ist die Prüfung gemäß § 133 Abs. 3 VwGO auf frist- und
formgerecht vorgetragene Zulassungsgründe beschränkt. Dabei muss mit der
Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) eine über den jeweiligen Einzelfall
hinausgreifende, in verallgemeinerungsfähiger Weise im Interesse der Rechts-
einheit oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsfähige und klärungsbe-
dürftige konkrete Frage des revisiblen Rechts dargelegt werden. Mit der Abwei-
chungsrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) muss unter genauer Bezeichnung der
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höchstrichterlichen Entscheidung, von der das Berufungsgericht abgewichen
sein soll, ein prinzipieller Auffassungsunterschied in einer Rechtsfrage aufge-
zeigt und dargetan werden, inwiefern die angegriffene Entscheidung darauf
beruhen soll. Bei einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schließ-
lich der Bezeichnungspflicht nur genügt, wenn die Tatsachen schlüssig darge-
tan werden, die den geltend gemachten Verfahrensmangel ergeben, und es als
möglich erscheint, dass die angefochtene Entscheidung auf ihm beruht. Hin-
sichtlich aller Revisionszulassungsgründe stellt § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO auch
Anforderungen an die Klarheit, Verständlichkeit und Überschaubarkeit des
Beschwerdevorbringens.
Die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde muss demzufolge eine
Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes durch den Prozessbe-
vollmächtigten und ein Mindestmaß an Geordnetheit des Vorbringens erkennen
lassen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1993 - BVerwG 6 B
42.93 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 81 und vom 21. Februar 2006 - BVerwG
1 B 108.05 - juris). Dabei verlangt das Darlegen - das schon nach dem allge-
meinen Sprachgebrauch im Sinne von „erläutern“ und „erklären“ zu verstehen
ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. März 1993 - BVerwG 3 B 105.92 - Buchholz
310 § 133 VwGO Nr. 11; BFH, Beschluss vom 18. Januar 1968 - V B
45/67 - BFHE 90, 369 <370>) - ebenso wie das gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO erforderliche Bezeichnen ein Mindestmaß an Klarheit, Verständlichkeit
und Übersichtlichkeit der Ausführungen. Gerade dies ist einer der Gründe dafür,
dass die Nichtzulassungsbeschwerde dem Anwaltszwang unterliegt. Welche
Anforderungen dabei im Einzelnen zu stellen sind, ist nach den jeweiligen
Umständen zu beurteilen. Eine umfangreiche Beschwerdebegründung ent-
spricht jedenfalls dann nicht den formellen Erfordernissen, wenn die Ausfüh-
rungen zu den Zulassungsgründen in unübersichtlicher, ungegliederter, unkla-
rer, kaum auflösbarer Weise mit Einlassungen zu irrevisiblen oder für das Be-
schwerdeverfahren sonst unerheblichen Fragen vermengt sind. Es ist nicht
Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus einem derartigen Gemenge das heraus-
zusuchen, was möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begrün-
dung der Beschwerde geeignet sein könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom
12. Dezember 1972 - BVerwG 4 B 122.72 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 99).
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Eine solche Verpflichtung des Beschwerdegerichts lässt sich auch nicht aus
Art. 19 Abs. 4 oder Art. 103 Abs. 1 GG entnehmen (BVerfG, Beschluss vom
6. September 1983 - 1 BvR 237/83 - SozR 1500 § 160a SGG Nr. 48).
2. Die insgesamt 64 Seiten umfassende Beschwerdebegründung wird den ge-
nannten Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht ge-
recht.
a) Soweit die Beschwerde mehrere Divergenzrügen erhebt, entsprechen die
Rügen den gesetzlichen Darlegungsanforderungen schon im Ansatz nicht. Dies
gilt zunächst für die beiden Rügen, das Berufungsgericht sei bei seiner Verfah-
rensweise, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 130a
VwGO und damit ohne Anhörung der Klägerin zu entscheiden, von der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen. Der Darstellung der
Beschwerde ist lediglich zu entnehmen, dass das Berufungsgericht - aus Sicht
der Beschwerde - die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum
Verfahren nach § 130a VwGO unzutreffend angewendet haben soll, nicht aber
- wie es für eine Divergenzrüge erforderlich wäre -, dass das Berufungsgericht
einen abstrakten, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wider-
sprechenden Rechtssatz aufgestellt hat (vgl. das auch von der Beschwerde
genannte Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - NVwZ 2004, 1377).
Dies gilt ferner für die Rügen, das Berufungsgericht hätte - in Abweichung von
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - die psychische Erkran-
kung der Klägerin nicht ohne ein weiteres Sachverständigen-Gutachten beurtei-
len dürfen, außerdem sei das Berufungsgericht im Hinblick auf Art. 3 EMRK von
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgewichen. Auch
insoweit zeigt die Beschwerde nicht auf, dass das Berufungsgericht einen
abstrakten, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bzw. des Bun-
desverfassungsgerichts widersprechenden Rechtssatz aufgestellt hat.
b) Auch die Verfahrensrügen genügen nicht den Darlegungsanforderungen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Dies gilt zunächst für den geltend gemachten Ver-
stoß gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO)
wegen unterbliebener persönlicher Anhörung der Klägerin. Denn die Be-
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schwerde legt nicht dar, dass das Berufungsgericht auf die Glaubwürdigkeit der
Klägerin oder die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben abgestellt hat und deshalb nicht
hätte entscheiden dürfen, ohne sich von der bereits in erster Instanz an-
gehörten Klägerin einen persönlichen Eindruck zu verschaffen (vgl. hierzu im
Einzelnen den von der Beschwerde selbst zitierten Beschluss vom 26. Februar
2003 - BVerwG 1 B 218.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 328 m.w.N.).
Das Berufungsgericht ist auf der Grundlage des vom Verwaltungsgericht einge-
holten fachärztlichen Gutachtens des Privatdozenten Dr. Z. vom 17. Dezember
2004, das auf drei ambulanten Untersuchungen der Klägerin beruhte, davon
ausgegangen, dass bei der Klägerin eine PTBS (Posttraumatische Belastungs-
störung) mit bewusstseinsnaher depressiver Überlagerung vorliegt, hat aber
- ebenfalls auf der Grundlage dieses Gutachtens - eine Gefahr im Sinne des
§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen Verschlimmerung der Erkrankung bei einer Rück-
kehr in den Kosovo verneint, weil die Erkrankung im Kosovo ausreichend be-
handelbar sei und auch eine ernsthafte Suizidgefahr nicht festgestellt werden
könne (BA S. 15 ff.). Inwiefern das Berufungsgericht unter diesen Umständen
verpflichtet gewesen sein sollte, die Klägerin (erneut) anzuhören, lässt sich der
Beschwerde nicht entnehmen.
Ebenfalls unschlüssig ist die Rüge, das Berufungsgericht habe verfahrensfeh-
lerhaft im Beschlussverfahren nach § 130a VwGO entschieden. Das Beru-
fungsgericht hat in seinem Beschluss ausführlich dargelegt, aus welchen Grün-
den es diese Verfahrensweise gewählt hat (BA S. 6). Dass diese im Ermessen
des Gerichts stehende Entscheidung in ihren tragenden Erwägungen auf sach-
fremden Gesichtspunkten oder auf grober Fehleinschätzung - auch im Hinblick
auf die geltend gemachte besondere Schwierigkeit der Sache - beruht, zeigt die
Beschwerde nicht auf.
Unschlüssig ist zudem die Verfahrensrüge, das Berufungsgericht hätte ein wei-
teres Sachverständigen-Gutachten einholen müssen und die Erkrankung der
Klägerin nicht aus eigener Sachkunde beurteilen dürfen (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Zwar trifft es zu, dass das Gericht die hier erheblichen medizinischen (psycho-
traumatologischen und psychotherapeutischen) Fachfragen grundsätzlich nicht
aus eigener Sachkunde und ohne Zuhilfenahme fachärztlichen Sachverstands
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beurteilen darf (vgl. den von der Beschwerde zitierten Beschluss vom 24. Mai
2006 - BVerwG 1 B 118.05 - InfAuslR 2006, 485). Im vorliegenden Fall geht der
Vorwurf der Beschwerde indes schon deshalb fehl, weil das Berufungsgericht
seine Auffassung auf das von ihm für überzeugend gehaltene, in erster Instanz
eingeholte, fachärztliche Gutachten des Dr. Z. gestützt hat (BA S. 13). Inwiefern
sich ihm unter den Umständen des vorliegenden Falles von Amts wegen die
Einholung eines weiteren fachärztlichen (Ober-)Gutachtens hätte aufdrängen
müssen, zeigt die Beschwerde nicht auf. Insbesondere geht sie nicht auf die
eingehenden Erwägungen des Berufungsgerichts dazu ein, dass auch durch
das von der Klägerin vorgelegte Attest ihres behandelnden Therapeuten Dr. M.
vom 1. März 2006 und die von ihr eingereichte Stellungnahme des Facharztes
Dr. Sp. vom 25. Juni 2006 das Gutachten des Dr. Z. nicht erschüttert werde und
deshalb die Einholung eines weiteren Gutachtens nicht erforderlich sei (BA
S. 12 ff. und S. 20 ff.). In Wahrheit wendet sich die Beschwerde auch mit diesen
Rügen gegen die ihrer Ansicht nach unzutreffende Sachverhalts- und Be-
weiswürdigung des Berufungsgerichts, ohne damit einen Zulassungsgrund auf-
zuzeigen.
c) Im Übrigen enthält die Beschwerdebegründung - teilweise in englischer Spra-
che - ausführliche tatsächliche Schilderungen, die das Schicksal der Klägerin
und anderer Personen betreffen, medizinische Anmerkungen zu der geltend
gemachten psychischen Erkrankung der Klägerin, allgemeine Anmerkungen zur
Entscheidung des Berufungsgerichts und zum Gang des Verfahrens, lange
wörtliche Wiedergaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts, des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte sowie Auszüge aus zum Teil allgemeinen psychiatrischen
Gutachten und neurologischen Befunden. Eine Durchsicht dieser Ausführungen
zeigt, dass es sich hierbei im Wesentlichen um revisionsrechtlich unbeachtli-
chen Tatsachenvortrag handelt, hinsichtlich dessen nicht hinreichend erkennbar
ist, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihn auf seine Erheblichkeit für
das Beschwerdeverfahren überprüft hat. Der Prozessbevollmächtigte
beschreibt immer wieder neue Aspekte der posttraumatischen Belastungsstö-
rung, auf die sich die aus dem Kosovo stammende Klägerin als asylrechtliches
Abschiebungshindernis beruft. Der beschließende Senat ist im Übrigen schon
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aus den eingangs dargelegten Gründen nicht gehalten, dieses Vorbringen nä-
her daraufhin zu untersuchen, ob es möglicherweise Hinweise enthält, die revi-
sionsrechtlich von Belang sein könnten.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Eckertz-Höfer Richter Beck
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