Urteil des BVerwG vom 10.07.2003

Herkunftsort, Gefährdung, Hauptsache, Subsumtion

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 271.02
VGH 20 B 01.30831
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Juli 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Auf die Beschwerden der Beklagten und des Beteiligten wird der Be-
schluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Juli 2002
aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an
den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der
Schlussentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt
der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
G r ü n d e :
Die Beschwerden haben mit Verfahrensrügen Erfolg (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der ange-
fochtene Beschluss verletzt die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und
Begründungspflicht (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Wegen dieser Verfahrensmängel, auf de-
nen die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Inte-
resse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an
das Berufungsgericht zurück.
Zu Recht beanstanden die Beschwerden, dass sich dem Berufungsgericht aus seiner inso-
weit maßgeblichen Würdigung der Sach- und Rechtslage eine weitere Sachaufklärung zu
der Frage hätte aufdrängen müssen, ob der Kläger die ihm im Nordirak drohende existen-
zielle Notlage nicht in gleicher Weise auch an seinem Herkunftsort zu erwarten hätte. Der
angefochtene Beschluss legt seiner Entscheidungsfindung die Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts und Bundesverwaltungsgerichts zugrunde, dass Abschiebungs-
schutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht genießt, wem eine inländische Fluchtalternative zur
Verfügung steht. Als Voraussetzungen hierfür nennt er, dass der Betroffene in den in Be-
tracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sein müsse und
ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen dürfen, die nach ihrer
Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen
Gründen gleichkommen, sofern diese existenzielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht
- 3 -
bestünde (UA S. 6 und 7). Bei der Subsumtion dieser Voraussetzungen im vorliegenden Fall
trifft das Berufungsgericht aber keine Feststellungen zu der Frage, ob die von ihm für den
Nordirak angenommene existenzielle Gefährdung des Klägers nicht auch an dessen
Herkunftsort im Grenzgebiet zum Nordirak bestünde. Die angefochtene Entscheidung beruht
auf dem festgestellten Verstoß gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht, denn es kann
nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen weiteren Sach-
aufklärung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Der angefochtene Beschluss enthält keinerlei Ausführungen dazu, dass die für den Nordirak
angenommene Gefährdung am Herkunftsort des Klägers so nicht bestünde. Darin liegt hier
zugleich ein Begründungsmangel gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wie die Beklagte zu-
sätzlich rügt. Auf die weiteren im Rahmen der Beschwerden geltend gemachten Revisions-
zulassungsgründe kommt es wegen der Zurückverweisung der Sache nach § 133 Abs. 6
VwGO nicht mehr an.
Eckertz-Höfer Hund Prof. Dr. Dörig