Urteil des BVerwG vom 20.09.2004

Blutrache, Anhörung, Verfahrensmangel, Hauptsache

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 27.04 (1 PKH 10.04)
OVG 1 LB 44/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. September 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht R i c h t e r und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskosten-
hilfe bewilligt und Rechtsanwalt … als Prozessbevollmächtigter
beigeordnet.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des
Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom
12. Januar 2004, soweit er die Verpflichtung der Beklagten zur
Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG
betrifft, aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhand-
lung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurück-
verwiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers gegen die Nicht-
zulassung der Revision verworfen.
Der Kläger trägt die Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfah-
rens. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Schluss-
entscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten
des Beschwerdeverfahrens folgt insoweit der vorbehaltenen
Kostenentscheidung in der Hauptsache.
G r ü n d e :
Dem Kläger ist gemäß § 166 VwGO i.V.m. den §§ 114 und 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO
Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Beschwerde ist teilweise begründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt vor. Das Berufungsgericht hat rechtsirrtümlich ange-
nommen, Gegenstand des Berufungsverfahrens sei nur das Abschiebungsschutzbe-
gehren des Klägers nach § 51 Abs. 1 AuslG, nicht jedoch die Frage des Abschie-
bungsschutzes nach § 53 AuslG, und deshalb verfahrensfehlerhaft davon abgese-
hen, neben einer Entscheidung über den Anspruch des Klägers auf Abschiebungs-
schutz nach § 51 Abs. 1 AuslG auch eine Entscheidung über das Abschiebungs-
schutzbegehren des Klägers nach § 53 AuslG zu treffen. Im Interesse der Verfah-
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rensbeschleunigung verweist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO hin-
sichtlich der unterbliebenen Entscheidung über den Abschiebungsschutz nach § 53
AuslG an das Berufungsgericht zurück.
Den Entscheidungsgründen des Berufungsgerichts, die sich ausschließlich mit § 51
Abs. 1 AuslG befassen, ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen im Einzelnen
eine Entscheidung zu § 53 AuslG nicht getroffen worden ist. Das Berufungsgericht
hatte allerdings noch bei seiner Anhörung der Beteiligten zu einer Entscheidung ge-
mäß § 130 a VwGO darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
und § 53 AuslG jedenfalls gegenwärtig nicht mehr vorliegen dürften (Bl. 158 der Be-
rufungsakte). Die Frage von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG war da-
durch zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden, dass die Beklagte in
dem angefochtenen Bescheid das Vorliegen derartiger Abschiebungshindernisse
verneint hat und der Kläger diesen Bescheid insgesamt angegriffen hat. Im erstin-
stanzlichen Verfahren hat der Kläger im Übrigen ausdrücklich den Hilfsantrag ge-
stellt, die Beklagte zur Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungshindernisse
im Sinne des § 53 AuslG vorliegen. Das Verwaltungsgericht brauchte, weil es dem
Hauptantrag des Klägers auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs.1
AuslG entsprochen hat, über diesen Hilfsantrag nicht zu entscheiden. Durch das
Rechtsmittel des Bundesbeauftragten gegen die Verurteilung nach dem Hauptantrag
ist aber der Hilfsantrag hinsichtlich des Abschiebungsschutzes nach § 53 AuslG
ebenfalls - und zwar ohne weiteres - in der Berufungsinstanz angefallen (stRspr, vgl.
Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260 sowie Urteil vom
28. April 1998 - BVerwG 9 C 2.98 -; vgl. auch Beschluss des Senats vom 21. Januar
2000 - BVerwG 9 B 589.99 -). Da das Berufungsgericht im Falle des Klägers eine
Entscheidung über das Bestehen von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG nicht
getroffen hat, ist die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
damit es eine Entscheidung zu § 53 AuslG nachholen kann.
Im Übrigen ist die Beschwerde unzulässig. Sie hält die Rechtssache für grundsätzlich
bedeutsam (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), da es bisher "noch keine obergerichtliche
Rechtsprechung zu der Frage der Blutrache" gebe. Damit bezeichnet die Be-
schwerde den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache nicht in einer Weise, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
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VwGO entspricht. Eine den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entsprechende
Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch un-
geklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Frage des revisiblen Rechts
voraus. Dem genügt die Beschwerde nicht. Sie lässt insbesondere nicht erkennen, in
welchem rechtlichen Zusammenhang (§ 51 Abs. 1, § 53 AuslG) und aufgrund
welcher tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts sich der von ihr
angesprochene Fragenkomplex in einem Revisionsverfahren stellen würde.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 155
Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83 b
AsylVfG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I
718) nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F.
(vgl. § 60 RVG). Soweit die Beschwerde Erfolg hat, ist die Entscheidung über die
Kosten der Schlussentscheidung vorzubehalten.
Eckertz-Höfer Richter Prof. Dr. Dörig