Urteil des BVerwG vom 20.09.2002

Erlass, Abschiebung, Emrk, Überprüfung

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 27.02
VGH A 14 S 235/01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. September 2002
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht
E c k e r t z – H ö f e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht R i c h t e r und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
20. September 2001 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde der Kläger hat keinen
Erfolg.
Die Beschwerde wendet sich gegen die Auffassung des Berufungs-
gerichts, dass ein Erlass eines Landesinnenministeriums, der
u.a. den Volkszugehörigen der Ashkali aus dem Kosovo ein be-
fristetes Bleiberecht im Bundesgebiet vermittelt, eine Sperr-
wirkung gegenüber dem Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG auszuüben vermag. Sie hält die Frage nach dem Um-
fang der vom Berufungsgericht angenommenen Sperrwirkung auch
deshalb für klärungsbedürftig, weil der vom Berufungsgericht
herangezogene Erlass nicht die Voraussetzungen des § 54 AuslG
erfülle. Es sei von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, ob die
vom Gericht angenommene Sperrwirkung mit Bundesrecht, mit
Grundrechten sowie mit dem Schutzgebot des Art. 3 der Europäi-
schen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sei.
Das Beschwerdevorbringen wirft eine klärungsbedürftige Rechts-
frage, die zur Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeu-
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tung der Rechtssache führen könnte, nicht auf. In der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits rechts-
grundsätzlich geklärt, dass bei allgemeinen Gefahren im Sinne
des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, die dem einzelnen Ausländer
nicht nur persönlich, sondern als Teil einer bestimmten Bevöl-
kerungsgruppe - hier: der Ashkali im Kosovo - drohen, Abschie-
bungsschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der
obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG gewährt wird. Liegt ei-
ne derartige Regelung vor, scheidet ein Anspruch auf Feststel-
lung eines individuellen Abschiebungshindernisses nach § 53
Abs. 6 Satz 1 AuslG wegen dieser Gefahren aus (Urteil vom
17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324; Urteil
vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77; Ur-
teil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 379).
Auch die in der Beschwerde aufgeworfene Frage der Verfassungs-
konformität der Regelung ist höchstrichterlich bereits ge-
klärt. Eine verfassungskonforme Einschränkung der von § 53
Abs. 6 Satz 2 AuslG ausgehenden Sperrwirkung ist nach der
Rechtsprechung nur dann geboten, wenn die obersten Landesbe-
hörden trotz einer extremen Gefahrenlage, die jeden einzelnen
Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges
dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern wür-
de, keinen generellen Abschiebestopp verfügt haben (Urteil vom
17. Oktober 1995 a.a.O. S. 328). Soweit sich die Beschwerde in
diesem Zusammenhang auch dagegen wendet, dass das Berufungsge-
richt eine verfassungswidrige Schutzlücke durch das Fehlen ei-
ner Regelung nach § 54 AuslG verneint hat, weil die Kläger
durch den Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom
19. September 2001 vor einer Abschiebung tatsächlich geschützt
sind, legen sie keinen weiteren oder neuen Klärungsbedarf dar.
Ob ein behördlicher Abschiebestopp, der nicht die Kriterien
des § 54 AuslG erfüllt, die Sperrwirkung im Sinne des § 53
Abs. 6 Satz 2 AuslG auszuüben vermag, ist höchstrichterlich
geklärt. Der Senat hat durch Urteil vom 12. Juli 2001
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(- BVerwG 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 379) entschieden, dass die
Sperrwirkung nicht nur zu beachten ist, wenn ein Abschiebe-
stopp-Erlass nach § 54 AuslG besteht, sondern auch dann, wenn
eine andere ausländerrechtliche Erlasslage oder eine aus indi-
viduellen Gründen erteilte Duldung dem betroffenen Ausländer
einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermit-
teln. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entschei-
dung festgestellt, dass die Kläger durch die in Baden-
Württemberg geltende Erlasslage gleich wirksam vor Abschiebung
geschützt sind wie durch eine Anordnung nach § 54 AuslG. Die
tatrichterliche Würdigung der Erlasslage ist insoweit einer
revisionsgerichtlichen Überprüfung grundsätzlich entzogen. Ge-
gen die Gleichwertigkeit des gewährten Schutzes spricht zwar,
dass der zitierte Erlass im Zeitpunkt der Entscheidung des Be-
rufungsgerichts nicht mehr volle drei Monate Geltung hatte
(vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 384). Das hat der
Verwaltungsgerichtshof auch erörtert; nach seiner tatrichter-
lichen - und insoweit mit durchgreifenden Verfahrensrügen
nicht angegriffenen - Auffassung war aber mit einer Verlänge-
rung der Geltungsdauer zu rechnen (UA S. 12). Außerdem hat das
Berufungsgericht der Sache nach zutreffend darauf hingewiesen,
die Kläger könnten im Falle der Nichtverlängerung des Abschie-
bestopps jederzeit beim Bundesamt geltend machen, dass eine
neue Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG entstanden
und deshalb erneut über ihren Antrag im Wege des Wiederauf-
greifens zu entscheiden ist (vgl. auch Urteil vom 12. Juli
2001 a.a.O. S. 388).
Auch die Frage der Vereinbarkeit der Sperrwirkung mit Art. 3
EMRK war bereits Gegenstand höchstrichterlicher Überprüfung.
Wie der Senat in dem dem Klägervertreter bekannten Beschluss
vom 12. April 2001 (BVerwG 1 B 21.01) bereits klargestellt
hat, käme eine Verletzung von Art. 3 EMRK unter den hier maß-
geblichen Umständen allenfalls in Betracht, wenn den Klägern
der Vollzug einer Abschiebung tatsächlich drohen würde. Hier-
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vor wird die Bevölkerungsgruppe der Ashkali in Fällen wie dem
vorliegenden aber durch den behördlichen Abschiebestopp ge-
schützt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der
Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Richter Prof. Dr. Dörig