Urteil des BVerwG vom 04.06.2004
Rechtliches Gehör, Neue Beweismittel, Hauptsache, Film
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 243.03 (1 PKH 83.03)
OVG A 2 B 77/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Juni 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und R i c h t e r
beschlossen:
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Dem Beigeladenen wird für das Beschwerdeverfahren Pro-
zesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Uwe Heinsch bei-
geordnet.
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
30. Juni 2003 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schluss-
entscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten
des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenent-
scheidung in der Hauptsache.
G r ü n d e :
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166
VwGO i.V.m. §§ 114, 115, 121 Abs. 1 ZPO.
Die Beschwerde hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Der
Beigeladene rügt sinngemäß zu Recht eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches
Gehör. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung ohne ausreichende Erfüllung
seiner Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO getroffen. Wegen dieses Verfahrens-
mangels, auf dem die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133
Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des an-
gefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Die Beschwerde macht im Ergebnis zu Recht geltend, das Berufungsurteil stelle sich
teilweise als "Überraschungsentscheidung" dar (vgl. Beschwerdebegründung vom
16. September 2003, S. 14 ff.). Das Berufungsgericht hatte in der mündlichen Ver-
handlung vom 26. Juni 2003 beschlossen, den Zeugen M. - über den Gegenstand
des damals ausdrücklich erwähnten Beweisantrags des Beigeladenen hinausgehend
(vgl. Anlage zur Niederschrift S. 2) - auch über dessen exilpolitische Tätigkeit zu ver-
nehmen. Nachdem dies aber allenfalls ansatzweise geschehen war und der Beige-
ladene sich in der mündlichen Verhandlung zu der in Rede stehenden exilpolitischen
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Aktivität geäußert hatte, ohne dass das Berufungsgericht dies zum Anlass für Rück-
fragen genommen hatte, musste er nicht ohne weiteres damit rechnen, dass ihm im
Berufungsurteil entgegengehalten werden würde, es sei nicht durch eine Teilnahme-
bescheinigung oder in anderer Weise bestätigt worden, dass er bei der Veranstaltung
am 11. Februar 1999 anwesend gewesen sei; auch sei nicht bewiesen worden, dass
der Beigeladene auf dem damals aufgenommenen Film zu erkennen gewesen sei
und dass seine Ehefrau seitens der iranischen Behörden gefragt worden sei, ob sie
jemanden kenne, der in diesem Film gezeigt worden sei (UA S. 17 f.). Entspre-
chendes gilt für den dem Berufungsurteil zufolge nicht bewiesenen Vortrag des Bei-
geladenen, er habe eine Rede gehalten, die von der iranischen Botschaft aus gefilmt
worden sei.
Zwar folgt aus dem Recht auf rechtliches Gehör keine allgemeine Frage- und Aufklä-
rungspflicht des Gerichts (vgl. BVerfGE 84, 188, 190). Auch in der Ausprägung, die
dieses Recht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, wird dem Gericht keine umfassen-
de Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte abverlangt. Unter den
besonderen Umständen des vorliegenden Falles hätte es indessen zur Vermeidung
einer "Überraschungsentscheidung" eines Hinweises des Berufungsgerichts nach
§ 86 Abs. 3 VwGO bedurft, der dem Beigeladenen Gelegenheit zur Benennung ge-
eigneter Beweismittel zum Beleg des in Rede stehenden Vorbringens gegeben hätte.
Ein entsprechender Hinweis ist nach Aktenlage nicht gegeben worden.
Die Entscheidung beruht auch auf dem unterlassenen Hinweis. Es ist nicht auszu-
schließen, dass das Berufungsgericht nach einem entsprechenden Hinweis aufgrund
einer etwaigen Beweisaufnahme zu einem für den Beigeladenen günstigeren Ergeb-
nis gekommen wäre.
Ohne Erfolg rügt die Beschwerde indessen die Beweiswürdigung des Berufungsge-
richts hinsichtlich der Vorfluchtgründe (vgl. Beschwerdebegründung S. 1 ff.). Mit ih-
rem Vorbringen zeigt sie insoweit einen Verfahrensverstoß nicht den Anforderungen
des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend auf. Fehler bei der Sachverhalts- und
Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzu-
rechnen; mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann daher regelmäßig - und so
auch hier - ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht be-
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gründet werden (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 -
Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266). Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es sei
auszuschließen, dass der Beigeladene, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht behauptet, in den Jahren 1989 bis 1995 jährlich ein- bis zweimal
Material "vom Zeugen erhalten hat" (UA S. 11). Die Beschwerde macht nicht ersicht-
lich, dass die diesbezügliche Beweiswürdigung - wie von ihr behauptet - willkürlich
ist. Die Beschwerde berücksichtigt in diesem Zusammenhang insbesondere nicht
hinreichend die Aussage des Zeugen M., er habe dem Beigeladenen nur ein einziges
Mal eine Rede des Schah geschickt. Das Berufungsgericht hat in diesem Zu-
sammenhang ersichtlich - auch wenn dies nicht ausdrücklich geschah - die Aussage
des Zeugen auch insoweit berücksichtigt, als er im selben Zusammenhang erklärt
hat, dies sei das einzige Mal gewesen, dass er dem Beigeladenen direkt etwas habe
zukommen lassen (vgl. Anlage zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung
vom 26. Juni 2003, S. 2).
Soweit die Beschwerde neue Beweismittel vorlegt (vgl. Schriftsatz vom 18. Septem-
ber 2003), können diese im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht
berücksichtigt werden.
Eckertz-Höfer
Dr. Mallmann
Richter