Urteil des BVerwG vom 13.01.2012

Aufenthaltserlaubnis, Emrk, Ausreise, Ermessen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 24.11, 1 PKH 14.11
OVG 2 B 2.10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Januar 2012
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2011 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil
die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine
Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung
der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen
Erfolg.
Der Kläger, der im Besitz einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25
Abs. 3 AufenthG ist, begehrt unter Berufung auf das Umgangsrecht mit seinem
deutschen Kind die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen
nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG. Das Berufungsgericht hat zwar das Vorlie-
gen der Voraussetzungen dieser Vorschrift bejaht und ist auch davon ausge-
gangen, dass das der Ausländerbehörde nach dieser Vorschrift zustehende
Ermessen zugunsten des Klägers auf Null reduziert ist. Es hat aber gleichwohl
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einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis
verneint, weil dem die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wegen
der unanfechtbaren Ablehnung des Asylantrags des Klägers entgegensteht und
die in § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG geregelte Ausnahme für den Fall
eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hier wegen
der Ermessensregelung in § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht eingreift.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde mit ihrer Grundsatzrüge. Sie macht gel-
tend, gegen die Auffassung des Berufungsgerichts zur Sperrwirkung nach § 10
Abs. 3 AufenthG bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Die
strikte Anwendung der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG
nur auf Rechtsansprüche führe zu unbilligen Entscheidungen und verfassungs-
rechtlich nicht hinzunehmenden Ungleichbehandlungen. Sie habe zur Folge,
dass dem Ausländer, dessen Asylantrag bestandskräftig abgelehnt worden sei,
der aber aufgrund eines Abschiebungsverbots mit einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 Abs. 3 AufenthG im Bundesgebiet leben dürfe, im Ergebnis der Zu-
gang zu einem Aufenthaltstitel aus familiären Gründen verwehrt sei, sofern er
kein Sorgerecht, sondern nur ein Umgangsrecht mit seinem deutschen Kind
habe. Damit werde ihm die bessere Rechtsstellung, die ein familiärer Aufent-
haltstitel vermittle, wie etwa die schnellere Aufenthaltsverfestigung, vorenthal-
ten. Er könne einen solchen Aufenthaltstitel nur nach einer Ausreise erlangen,
die ihm aber wegen des bestehenden anerkannten Abschiebungsverbots gera-
de nicht möglich sei. Darin liege eine ungerechtfertigte Schlechterstellung ge-
genüber sorgeberechtigten Vätern und eine Verletzung der statusrechtlichen
Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 2 GG und des Art. 8 EMRK, die einen aufent-
haltsrechtlichen Status verlangten, der die Möglichkeit einer dauerhaften Fort-
setzung der Umgangskontakte mit dem deutschen Kind im Bundesgebiet unab-
hängig vom Fortbestand etwaiger Abschiebungshindernisse sicherstelle. Sie
hält deshalb die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf aufent-
haltsrechtliche Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG und
Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG
einer einschränkenden Auslegung in den Fällen eines we-
gen Ermessensreduzierung auf Null nach § 28 Abs. 1
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Satz 4 AufenthG anspruchsberechtigten, aber nicht sor-
geberechtigten Elternteils bedarf.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen der Beschwerde wird eine grundsätz-
liche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht
aufgezeigt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt,
dass ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10
Abs. 3 Satz 3 AufenthG, der die Titelerteilungssperre des Satzes 1 der Vor-
schrift entfallen lässt, ein strikter Rechtsanspruch sein muss, der sich unmittel-
bar aus dem Gesetz ergibt. Ein Anspruch aufgrund einer Ermessensvorschrift
genügt auch dann nicht, wenn das Ermessen - wie hier im Falle des Klägers -
im Einzelfall auf Null reduziert ist (Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C
37.07 - BVerwGE 132, 382 ). Offengelassen ist in dieser
Entscheidung lediglich die Frage, was bei Regelansprüchen oder Ansprüchen
aufgrund von Sollvorschriften gilt. Das Berufungsgericht hat sich dieser Recht-
sprechung angeschlossen.
Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern der Fall des Klägers Anlass geben
sollte, die höchstrichterlich bereits in verneinendem Sinn entschiedene Frage,
ob auch Ansprüche aufgrund von Ermessensvorschriften im Falle einer Ermes-
sensreduzierung auf Null unter die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 3
Halbs. 1 AufenthG fallen, erneut in einem Revisionsverfahren zu überprüfen.
Soweit sie meint, dass die Versagung einer familiären Aufenthaltserlaubnis im
Falle des Klägers gegen Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK verstoßen würde,
geht sie nicht auf den bereits vom Berufungsgericht angeführten Umstand (UA
S. 20) ein, dass das unter den Schutzbereich dieser Bestimmungen fallende
Umgangsrecht des Klägers mit seinem deutschen Kind derzeit durch die ihm
nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis sichergestellt ist. Selbst
im Fall eines Wegfalls des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG und der darauf beruhenden Aufenthaltserlaubnis käme bei Unmög-
lichkeit der Ausreise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5
AufenthG in Betracht. Die Behauptung der Beschwerde, dass sich aus Art. 6
Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK ein Anspruch auf einen bestimmten aufenthalts-
rechtlichen Status ergeben soll und die dem Kläger durch humanitäre Aufent-
haltstitel gewährleistete tatsächliche Möglichkeit der Fortsetzung der familiären
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Kontakte nicht ausreicht, ist in keiner Weise belegt. Auch eine Verletzung des
Verbots der Ungleichbehandlung zwischen sorgeberechtigten und lediglich um-
gangsberechtigten Elternteilen ist nicht substanziiert aufgezeigt. Für die Bes-
serstellung von sorgeberechtigten Elternteilen besteht, wie das Berufungsge-
richt zutreffend ausgeführt hat (UA S. 22), wegen der damit verbundenen Rech-
te und Pflichten im Interesse des Kindeswohls ersichtlich ein sachlicher Grund.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Eckertz-Höfer
Beck
Prof. Dr. Kraft
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