Urteil des BVerwG vom 14.11.2002

Rechtskräftiges Urteil, Hauptsache, Beweisantrag, Verweigerung

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 24.02 (1 PKH 8.02)
OVG 11 A 4279/99.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. November 2002
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
Der Antrag der Beigeladenen zu 3, ihr Prozess-
kostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsan-
walt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Beigeladenen zu 3 gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss
des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 2001 wird
verworfen.
Den Beigeladenen zu 1 und 2 wird für das Be-
schwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewil-
ligt und Rechtsanwalt Klaus Walliczek,
Kampstraße 27, 32423 Minden, als Prozessbe-
vollmächtigter beigeordnet.
Auf die Beschwerde der Beigeladenen zu 1 und 2
wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom
30. Oktober 2001 aufgehoben, soweit er sie be-
trifft.
Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Ver-
handlung und Entscheidung an das Oberverwal-
tungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt
der Schlussentscheidung vorbehalten.
Die Beigeladene zu 3 trägt 1/3 der Kosten des
Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen folgt die Ent-
scheidung über die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens der vorbehaltenen Kostenentscheidung in
der Hauptsache.
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G r ü n d e :
Die Beschwerde der Beigeladenen zu 3 ist unzulässig. Sie ge-
nügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO. Denn Revisionszulassungsgründe sind nur für die Beigela-
denen zu 1 und 2, nicht aber für die Beigeladene zu 3 vorge-
bracht worden. Ihr kann deshalb auch die beantragte Prozess-
kostenhilfe nicht bewilligt werden.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beigeladenen
zu 1 und 2 beruht auf § 166 VwGO i.V.m. den §§ 114 f. und 121
ZPO. Sie ist den Beigeladenen zu 1 und 2 nach deren glaubhaft
gemachten Einkommensverhältnissen ohne Ratenzahlung zu gewäh-
ren.
Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1 und 2 ist zulässig und
begründet. Die Beigeladenen zu 1 und 2 rügen zu Recht, dass
das Berufungsgericht ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen
Gehörs verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103
Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO). Denn das Berufungsgericht
hat entscheidungserhebliches Vorbringen der Beigeladenen zu 1
und 2 nicht hinreichend zur Kenntnis genommen und in Erwägung
gezogen. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der
Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit, soweit
er die Beigeladenen zu 1 und 2 betrifft, gemäß § 133 Abs. 6
VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Beigeladenen zu 1
und 2, armenische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörig-
keit und yezidischen Glaubens, insgesamt als unglaubhaft beur-
teilt, da sich ihre jeweiligen Darstellungen in wesentlichen
Punkten "unauflöslich" widersprechen würden. So habe der Bei-
geladene zu 1 behauptet, sie seien anlässlich der stationären
Entbindung im Juni 1991 gezwungen worden, sich als Christen
auszugeben, während die Beigeladene zu 2 nichts in dieser Hin-
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sicht vorgetragen, sondern behauptet habe, sie habe ständig
Blut spenden müssen und befürchtet, die Beigeladene zu 3 werde
mit einer Giftspritze getötet (BA S. 6). Die Beigeladenen zu 1
und 2 weisen zutreffend darauf hin, dass die Beigeladene zu 2
bei ihrer Anhörung am 28. Oktober 1993 angegeben habe, nach
der Geburt der Beigeladenen zu 3 sei in den behördlichen Un-
terlagen vermerkt worden, dass die Beigeladene zu 3 Christin
sei; ihr Vater sei zu den Behörden gegangen und habe unter
Schwierigkeiten erreicht, dass diese Angaben geändert wurden.
Damit hat das Berufungsgericht wesentliches Vorbringen der
Beigeladenen zu 2 nicht berücksichtigt.
Ferner hat das Berufungsgericht angenommen, das Vorbringen,
die Fedajin hätten sich gewaltsam Zutritt zum Haus der Eltern
des Beigeladenen zu 1 verschafft, stehe in einem unauflösli-
chen Widerspruch zu der Behauptung des Beigeladenen zu 1, die
Fedajin hätten an die Tür geklopft, daraufhin habe seine Mut-
ter geöffnet (BA S. 7 f.). Hier übergeht, was die Beschwerde
zu Recht moniert, das Berufungsgericht das Vorbringen des Bei-
geladenen zu 1, auf das Klopfen hin habe seine Mutter aufge-
macht, sie sei dann zur Seite gestoßen und geschlagen worden;
auch seine Frau und er seien geschlagen worden (Anhörungspro-
tokoll vom 18. Januar 1995 S. 3).
Auf diesen Gehörsverstößen kann die Entscheidung des Beru-
fungsgerichts beruhen. Zwar ist das Berufungsgericht von wei-
teren Widersprüchen und insbesondere auch von Steigerungen in
den Darstellungen der Beigeladenen zu 1 und 2 ausgegangen,
hinsichtlich derer die von der Beschwerde erhobenen Rügen
nicht durchgreifen. Da aber das Berufungsgericht seine Über-
zeugung auf die Gesamtheit der Widersprüche (und Steigerungen)
gestützt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu ei-
ner anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es die beiden oben
dargestellten, aufgrund unzureichender Berücksichtigung des
Vorbringens der Beigeladenen zu 1 und 2 angenommenen Wider-
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sprüche nicht zugrunde gelegt hätte. Das Revisionsgericht kann
insoweit jedenfalls keine eigene Beweiswürdigung vornehmen. Es
bleibt vielmehr dem Berufungsgericht überlassen, das Vorbrin-
gen der Beigeladenen zu 1 und 2 neu zu bewerten, wobei es in
der Gewichtung etwaiger Widersprüche und Steigerungen frei
ist. Unter Umständen wird es dann auch über den Beweisantrag
auf Vernehmung des Auslandszeugen T. C. unter Beachtung des
entsprechend anzuwendenden § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO erneut
entscheiden müssen.
Außerdem wird sich das Berufungsgericht mit dem im bisherigen
Verfahren - soweit ersichtlich - noch nicht erörterten Umstand
auseinander setzen müssen, dass es sich vorliegend um einen
Asylfolgeantrag der Beigeladenen zu 1 und 2 handelt und im
Erstverfahren bereits ein rechtskräftiges Urteil zu ihren Las-
ten ergangen ist, in dem ein Anspruch auf Abschiebungsschutz
nach § 51 Abs. 1 AuslG wegen politischer Verfolgung aufgrund
ihres Vorbringens verneint wurde. Eine erneute sachliche Prü-
fung des Asylbegehrens nach § 71 AsylVfG ist in derartigen
Fällen nur dann zulässig und geboten, wenn hinsichtlich der
geltend gemachten einzelnen Verfolgungsgründe die Vorausset-
zungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51
Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Auch die positive Entscheidung
des Bundesamts über den Asylfolgeantrag, die sich im Übrigen
nur auf eine drohende Verfolgung wegen Verweigerung des
Kriegsdienstes in Nagorny-Karabach bzw. Aserbaidschan bezog,
entbindet die Gerichte wegen der Rechtskraft des Urteils im
Erstverfahren nicht von der eigenen Prüfung der Voraussetzun-
gen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG hinsichtlich der jeweils gel-
tend gemachten Verfolgungsgründe (BVerwGE 78, 332, 340 zu § 14
AsylVfG a.F., der Vorgängervorschrift des jetzigen § 71
AsylVfG).
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Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Beigeladenen zu 3
folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß
§ 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert er-
gibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Richter Beck