Urteil des BVerwG vom 05.05.2003

Anhörung, Verfahrensmangel, Beweisantrag, Gefahr

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 238.02
OVG 15 A 2075/98.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Mai 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 9. April 2002 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf
Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO) gestützte
Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Sie genügt nicht den
Anforderungen an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe
nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und
klärungsbedürftige Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung auf-
geworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht
entnehmen. Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam
bezeichneten Fragen,
inwieweit die exilpolitischen Aktivitäten des Bruders G.
der Klägerin im Zusammenspiel mit deren eigenen exilpoli-
tischen Aktivitäten eine Verfolgungsgefahr begründen und
ob in besonders exponierter Weise tätige Personen, die
sich für die Ziele der PKK einsetzen, Sippenhaftvermittler
sein können oder nicht,
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sind keine Rechtsfragen, sondern zielen auf die Klärung der
tatsächlichen Verhältnisse in der Türkei, die den Tatsachenge-
richten vorbehalten ist. Auch die weiterhin aufgeworfene Fra-
ge,
ob in diesem Zusammenhang (zu ergänzen: im Hinblick auf
die "Problematik einer Zeugenaussage wie der des Bru-
ders G." auf dem Hintergrund des sogenannten PKK-Verbotes)
unter Berücksichtigung einer Selbstgefährdung nicht ein
"abgestufter Maßstab" anzunehmen ist,
kann nicht zur Zulassung einer Revision nach § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO führen. Die Frage lässt schon nicht erkennen, auf
welchen Maßstab sich die Beschwerde dabei bezieht. Im Übrigen
zielt sie auf die richterliche Beweiswürdigung, deren Grund-
sätze in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts be-
reits geklärt sind.
2. Die im Zusammenhang mit den Grundsatzfragen erhobenen Ge-
hörs- und Aufklärungsrügen sind ebenfalls nicht in einer den
Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise
dargetan.
a) Die Klägerin macht zunächst geltend, das Berufungsgericht
habe hinsichtlich ihrer Brüder H. und M. und ihres Cousins C.
ausgeführt, sie könnten nicht zu dem angesprochenen Personen-
kreis (erg.: der tauglichen "Sippenhaftvermittler") rechnen.
Dabei habe es offenbar ihr Vorbringen aus den Schriftsätzen
vom 3. Februar 1997 und 24. Februar 1998 übersehen, wonach die
Brüder wegen ihrer Aktivitäten für die TKP/ML in der Türkei
gesucht würden und deswegen Verwandte in der Türkei Repressi-
onsmaßnahmen ausgesetzt seien. Das Berufungsgericht habe damit
wesentliches Vorbringen nicht berücksichtigt. Außerdem hätte
es von Amts wegen den Sachverhalt durch Anhörung der Brüder
und des Cousins der Klägerin weiter aufklären müssen.
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Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des rechtlichen Ge-
hörs schon deshalb nicht schlüssig aufgezeigt, weil die Be-
schwerde nicht darlegt, inwiefern ihr Vorbringen bezüglich der
Brüder H. und M. und des Cousins C. aus der - hier maßgebli-
chen Sicht - des Berufungsgerichts entscheidungserheblich und
damit erörterungsbedürftig war. Das Berufungsgericht ist davon
ausgegangen, dass in der Türkei im Allgemeinen die Sippenhaft
nur nahen Angehörigen von "durch Haftbefehl landesweit gesuch-
ten Aktivisten einer militanten staatsfeindlichen Organisati-
on" droht, dass dagegen Angehörige von Personen, die lediglich
der Sympathie für die militante kurdische Bewegung verdächtigt
werden, aber selbst keiner Strafverfolgung wegen Mitglied-
schaft in einer bewaffneten Bande ausgesetzt sind, von Verfol-
gung nicht betroffen sind (UA S. 11). Inwiefern der nicht wei-
ter substantiierte Vortrag der Klägerin über die Suche türki-
scher Sicherheitskräfte nach ihren Brüdern in deren Heimatort
- der im Übrigen auch im Tatbestand des Berufungsurteils sinn-
gemäß erwähnt ist - diese Anforderungen erfüllen soll, lässt
sich der Beschwerde nicht entnehmen. Für die Aufklärungsrüge
fehlt es darüber hinaus an jeglicher Darlegung, warum sich dem
Berufungsgericht über die Beiziehung der Asylakten ihrer Brü-
der und ihres Cousins hinaus deren Anhörung ohne einen ent-
sprechenden Beweisantrag der Klägerin hätte aufdrängen müssen
und inwiefern diese Anhörung zu einem für die Klägerin günsti-
geren Ergebnis hätte führen können.
b) Die Beschwerde bemängelt ferner, dass hinsichtlich der Ge-
fahr der Sippenhaft wegen der politischen Aktivitäten des Bru-
ders G. der Klägerin das Berufungsgericht - anders als das
erstinstanzliche Gericht - nicht berücksichtigt habe, dass
dessen Aussagemöglichkeiten durch das existierende Betäti-
gungsverbot gegenüber der PKK in Deutschland beeinträchtigt
seien. Sie sieht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs insbe-
sondere darin, dass das Berufungsgericht selbst den Bruder G.
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nicht vernommen habe, sondern lediglich auf seine Aussage vor
dem Verwaltungsgericht zurückgegriffen habe.
Auch mit diesem Vorbringen ist ein Verfahrensmangel im Sinne
des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht ordnungsgemäß aufgezeigt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
kann das Berufungsgericht die im Verhandlungsprotokoll festge-
haltene erstinstanzliche Aussage eines Zeugen auch ohne noch-
malige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema
selbständig würdigen. Eine erneute Vernehmung des Zeugen ist
nur unter besonderen Umständen geboten, etwa wenn das Beru-
fungsgericht die Glaubwürdigkeit des Zeugen abweichend vom
Erstrichter beurteilen will und es für diese Beurteilung auf
den persönlichen Eindruck von dem Zeugen ankommt (vgl. zuletzt
Beschluss vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B 392.01 - Buchholz
402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 = NVwZ 2002, 1381 m.w.N.). Eine
Wiederholung der Zeugenvernehmung ist dagegen nicht geboten,
wenn die Richtigkeit der Aussagen des Zeugen unterstellt wird,
daraus aber andere Schlüsse als in erster Instanz gezogen wer-
den. Dass nach diesen Maßstäben das Berufungsgericht den Bru-
der G. erneut hätte anhören müssen, lässt sich der Beschwerde
nicht entnehmen. Sie zeigt weder auf, dass das Berufungsge-
richt entscheidend auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen abge-
stellt hätte, noch gibt sie an, welche über die bisherigen An-
gaben hinausgehenden entscheidungserheblichen Umstände der
Zeuge bei einer erneuten Anhörung vorgetragen hätte. Tatsäch-
lich hat das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit des Zeugen
auch nicht in Zweifel gezogen, sondern ausgeführt, dass "auch
unter Berücksichtigung der eigenen Darstellung des Bruders der
Klägerin dem Vorbringen keine Anhaltspunkte für eine leitende
Funktion an zentraler Stelle des kurdischen Widerstandes in
dem angesprochenen Sinne zu entnehmen" seien (UA S. 14). So-
weit die Beschwerde bemängelt, dass das Berufungsgericht die
Auswirkungen des Betätigungsverbots gegenüber der PKK in
Deutschland auf die Aussagemöglichkeiten des Zeugen nicht be-
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rücksichtigt habe, wendet sie sich gegen die ihrer Ansicht
nach unzutreffende Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die
in der Regel - und so auch hier - dem materiellen Recht zuzu-
ordnen ist und deshalb einen Verfahrensmangel nicht begründen
kann (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B
710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = DVBl 1996, 108).
c) Soweit die Beschwerde schließlich geltend macht, das Beru-
fungsgericht habe seine Aufklärungsmöglichkeiten bezüglich der
exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin selbst nicht genutzt,
genügt das Vorbringen auch nicht ansatzweise den Darlegungsan-
forderungen für eine Aufklärungsrüge nach § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO. Insbesondere lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen,
warum sich dem Berufungsgericht die Vernehmung weiterer Zeugen
hierzu hätte aufdrängen müssen, obwohl die anwaltlich vertre-
tene Klägerin nach ihrer Anhörung in der Berufungsverhandlung
hierzu keine weiteren Beweisanträge gestellt hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5
Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der
Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig