Urteil des BVerwG vom 25.06.2004

Hauptsache, Asylverfahren, Armenien, Begründungspflicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 234.03 (1 PKH 73.03)
OVG 1 LB 3/02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d sowie die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
Der Klägerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskos-
tenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ... beigeordnet.
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungs-
gerichts vom 31. Juli 2003 wird aufgehoben, soweit es die Kla-
ge auch zu § 53 Abs. 6 AuslG abgewiesen hat.
Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schluss-
entscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten
des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der
Hauptsache.
G r ü n d e :
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung
eines Rechtsanwalts liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff., 121 Abs. 1 ZPO).
Die Beschwerde wendet sich ausschließlich gegen die Versagung von Abschie-
bungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG. In diesem Umfang ist das Urteil des Oberver-
waltungsgerichts mit begründeten Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) an-
gegriffen. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache
insoweit nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an
das Berufungsgericht zurück.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung zu § 53 Abs. 6 AuslG selbständig tra-
gend einerseits darauf gestützt, dass "nicht mit der erforderlichen Sicherheit vom
Vorliegen einer existenzbedrohlichen psychischen Erkrankung der Klägerin ausge-
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gangen werden" könne (UA S. 7), und andererseits - hilfsweise - darauf, dass eine
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder eine ähnlich schwere (psychische)
Erkrankung jedenfalls auch in Armenien ausreichend und für die Klägerin auch er-
reichbar (finanzierbar) medizinisch behandelt werden könne. Gegen beide Begrün-
dungen erhebt die Beschwerde durchgreifende Verfahrensrügen.
Die Beschwerde rügt zu Recht eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1
VwGO) dadurch, dass sich das Berufungsgericht mit seiner Hauptbegründung im
Ergebnis über die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen hinweggesetzt hat, ohne
den Sachverhalt weiter aufzuklären und ohne für eine selbständige abschließende
(medizinische) Beurteilung die erforderliche eigene Sachkunde zu besitzen und dar-
zulegen (vgl. etwa Beschluss vom 19. September 2001 - BVerwG 1 B 158.01 -
Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 315 m.w.N.; Beschluss vom 6. Juli 1999
- BVerwG 5 B 93.99 - und Beschluss vom 17. Juli 1996 - BVerwG 8 B 59.96 -
).
Auch hinsichtlich der zweiten, die Entscheidung selbständig tragenden (Hilfs-)Be-
gründung macht die Beschwerde im Ergebnis zu Recht einen Verfahrensrechtsver-
stoß geltend, weil das Berufungsgericht nicht alle wesentlichen Erkenntnisquellen
seiner Entscheidung nachprüfbar zugrunde gelegt hat. Darin liegt unter den hier ge-
gebenen Umständen eine Verletzung des verfahrensrechtlichen Gebots zur nach-
vollziehbaren Begründung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1
Satz 2 VwGO). Das ergibt sich hier, wie die Beschwerde im Einzelnen schlüssig dar-
legt, schon daraus, dass das Berufungsgericht die seinen Feststellungen möglicher-
weise entgegenstehenden, für die Tatsachenfeststellung im Asylverfahren typi-
scherweise aber besonders wichtigen Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu Ar-
menien - hier insbesondere den in das Verfahren eingeführten Lagebericht vom
16. Januar 2002 - als Erkenntnismittel nicht erwähnt und berücksichtigt hat (vgl. zur
Begründungspflicht in Asylverfahren etwa Beschluss vom 22. Juli 1999 - BVerwG 9 B
429.99 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 214 und Beschluss vom 12. Juli 1999
- BVerwG 9 B 374.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 43). Entsprechendes gilt hier
auch für die fehlende Auseinandersetzung mit weiteren in das Verfahren eingeführ-
ten Erkenntnisquellen, die nach den Darlegungen in der Beschwerdebegründung
wesentliche abweichende Erkenntnisse und Einschätzungen enthalten.
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Außerdem hat das Berufungsgericht den im Zeitpunkt seiner Entscheidung am
31. Juli 2003 zusätzlich vorhandenen neuesten Lagebericht vom 1. April 2003 ver-
fahrensfehlerhaft nicht herangezogen (vgl. Beschluss vom 9. Mai 2003 - BVerwG 1 B
217.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 329 = InfAuslR 2003, 359).
Eckertz-Höfer
Hund
Beck