Urteil des BVerwG vom 22.02.2010

Daten, Verarbeitung, Eugh, Dienstanweisung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 21.09
OVG 17 A 805/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Februar 2010
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Juni 2009 wird
verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger, ein in Deutschland niedergelassener österreichischer Staatsange-
höriger, begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Löschung der im Auslän-
derzentralregister über ihn gespeicherten Daten. Das Verwaltungsgericht hat
der Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsge-
richt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mehrere Fragen zur
Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbots und der
Richtlinie 95/46/EG (Datenschutzrichtlinie) vorgelegt. Mit Urteil vom 16. De-
zember 2008 (Rs. C-524/06) hat der EuGH die Vorlagefragen dahin beantwor-
tet, dass ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten von Unions-
bürgern, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats sind, wie
das mit dem Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZRG) eingerichtete
System, nur dann dem im Licht des Verbots jeder Diskriminierung aus Gründen
der Staatsangehörigkeit ausgelegten Erforderlichkeitsgebot gemäß Art. 7
Buchst. e der Richtlinie 95/46/EG entspricht, wenn es nur die Daten enthält, die
für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften für die damit betrauten
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nationalen Behörden erforderlich sind und sein zentralisierter Charakter eine
effizientere Anwendung dieser Vorschriften in Bezug auf das Aufenthaltsrecht
von Unionsbürgern erlaubt, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats
sind. Nicht erforderlich im Sinne von Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46/EG
sind die Speicherung und Verarbeitung von namentlich genannte Personen
betreffenden personenbezogenen Daten im Rahmen eines Registers wie des
Ausländerzentralregisters zu statistischen Zwecken. Art. 12 Abs. 1 EG ist ferner
dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Bekämpfung
der Kriminalität ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten zu er-
richten, das nur Unionsbürger erfasst, die keine Staatsangehörigen dieses Mit-
gliedstaats sind.
Das Bundesministerium des Innern hat daraufhin das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge als Registerbehörde und das Bundesverwaltungsamt mit Erlass
vom 12. Februar 2009 angewiesen, beim Kläger und anderen Unionsbürgern zu
beachten, dass
1. zukünftig nur noch diejenigen Daten im Ausländerzen-
tralregister gespeichert sein dürfen, die für die Anwendung
aufenthaltsrechtlicher Vorschriften durch die hierfür zu-
ständigen deutschen Behörden erforderlich sind,
2. die Übermittlung dieser Daten nur an öffentliche Stellen
zulässig ist, wenn sie zur Anwendung aufenthaltsrechtli-
cher Vorschriften oder zu statistischen Zwecken erfolgt,
wobei die Übermittlung zu statistischen Zwecken nur in
anonymisierter Form erfolgen darf und
3. ein Zugriff auf diese Daten bis auf weiteres nicht zuläs-
sig ist, wenn er allein zum Zwecke der Kriminalitätsbe-
kämpfung erfolgt; das gilt insbesondere für Gruppenaus-
künfte nach § 12 AZRG.
Mit Urteil vom 24. Juni 2009 hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abge-
wiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die vom Gerichtshof aufgestellten
Bedingungen für die Speicherung von Daten von Unionsbürgern in einem zent-
ralen Ausländerzentralregister seien erfüllt. In Bezug auf den Kläger seien nur
Daten gespeichert, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften
erforderlich seien. Aus der Einschränkung zulässiger Nutzungszwecke durch
den Gerichtshof erwachse dem Kläger kein Löschungsanspruch. Die Unterbin-
dung einer Nutzung der Daten zu anderen Zwecken sei nicht durch Löschung,
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sondern durch ein Verbot einer mit ihrer Zweckbestimmung nicht zu vereinba-
renden Weiterverarbeitung zu erreichen. Für einen hierauf gerichteten Ver-
pflichtungsantrag, den der Kläger nicht gestellt habe, dürfte allerdings das er-
forderliche Rechtsschutzinteresse fehlen. Die ergangene Dienstanweisung stel-
le die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben sicher. Dass deren
Beachtung nicht gewährleistet wäre, sei weder vorgetragen noch ersichtlich.
II
Die Beschwerde ist unzulässig. Der allein geltend gemachte Revisionszulas-
sungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO entsprechenden Weise dargelegt.
Die Beschwerde ist der Auffassung, dass das Oberverwaltungsgericht von der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union abweiche. Um einen
grundsätzlichen Klärungsbedarf unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung
von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darzutun,
hätte die Beschwerde aufzeigen müssen, welche von dieser Rechtsprechung
abweichenden Rechtssätze das Oberverwaltungsgericht aufgestellt hat und
inwieweit diese geeignet sein könnten, die mit der erwähnten Rechtsprechung
erreichte Klärung wieder in Frage zu stellen und deshalb Anlass zu einer
Klärung in einem Revisionsverfahren - gegebenenfalls verbunden mit einer er-
neuten Vorabentscheidung des Gerichtshofs - zu geben (vgl. Beschluss vom
17. Juli 2008 - BVerwG 9 B 15.08 - NVwZ 2008, 1115). Dies hat die Beschwer-
de versäumt. Stattdessen begnügt sie sich damit, angebliche Rechtsanwen-
dungsfehler des Oberverwaltungsgerichts aufzuzeigen, die als solche das Re-
visionsverfahren nicht eröffnen können.
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Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf ist auch nicht im Zusammenhang mit der
von der Beschwerde aufgeworfenen Frage,
„ob eine Dienstanweisung durch das Bundesministerium
des Innern geeignet ist, eine gemäß der Rechtsprechung
des EuGH zweckwidrige Speicherung und Verarbeitung
von personenbezogenen Daten eines Unionsbürgers zu
vermeiden“,
dargelegt. Nach Auffassung der Beschwerde verkenne das Berufungsgericht,
dass die personenbezogenen Daten des Klägers auch zu statistischen Zwecken
und zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung gespeichert seien. Selbst wenn
eine zentrale Datenerfassung zum aufenthaltsrechtlichen Status grundsätzlich
zulässig sei, dürfe das Kriterium der Praktikabilität als Rechtfertigung für eine
Datenerfassung nicht herangezogen werden. Aus der Einschränkung zulässiger
Nutzungszwecke erwachse dem Kläger ein Löschungsanspruch. Die
Unterbindung einer Datennutzung durch andere Behörden könne eine zweck-
widrige Datennutzung nicht ausschließen. Ein bloßes Verbot per Verwaltungs-
anweisung sei daher nicht geeignet. Solange der Gesetzgeber eine zweckwid-
rige Speicherung und Verarbeitung der Daten nicht verbiete, könne eine
zweckwidrige Datenerfassung und -nutzung nur durch Löschung vermieden
werden. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde eine
grundsätzlich klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts, die in dem er-
strebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre, nicht auf.
Das Berufungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die im Ausländer-
zentralregister gespeicherten Daten des Klägers für die Anwendung aufent-
haltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind und der zentralisierte Charakter
des Ausländerzentralregisters eine effizientere Anwendung aufenthaltsrechtli-
cher Vorschriften ermöglicht als ein alternativ in Betracht kommender Rückgriff
auf die dezentralisierten Melderegister der Länder. Die Beschwerde legt nicht
dar, inwiefern diese Schlussfolgerung in gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht
grundsätzlichen Klärungsbedarf aufwirft. Es liegt auf der Hand und bedarf kei-
ner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass sich die nach der Rechtspre-
chung des Gerichtshofs gemeinschaftsrechtlich zulässige Speicherung von Da-
ten, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind,
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entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht auf anonyme Daten, sondern
auf namentlich genannte Personen betreffende Daten bezieht. Die weiter ver-
tretene Auffassung, das „Kriterium der Praktikabilität“ dürfe als Rechtfertigung
für eine (zentrale) Datenerfassung nicht herangezogen werden, findet in dem
Urteil des EuGH keine Grundlage. Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, warum
es gemeinschaftsrechtlich geboten sein sollte, vor einer den Vorgaben des Ge-
richtshofs entsprechenden gesetzlichen Neuregelung der zulässigen Verarbei-
tungszwecke der Daten von Unionsbürgern auch die Speicherung von Daten zu
dem gemeinschaftsrechtlich zulässigen Zweck der Anwendung der aufenthalts-
rechtlichen Vorschriften als unzulässig zu erachten.
Die Beschwerde weist in diesem Zusammenhang zwar zutreffend darauf hin,
dass das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot es einem Mitglied-
staat verwehrt, zur Bekämpfung der Kriminalität personenbezogene Daten von
Unionsbürgern in einem zentralen Ausländerregister zu verarbeiten, und dass
die Speicherung und Verarbeitung von namentlich genannte Personen betref-
fenden personenbezogenen Daten im Rahmen eines Registers wie des Aus-
länderzentralregisters zu statistischen Zwecken nicht erforderlich im Sinne von
Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46/EG ist. Sie legt aber nicht dar, warum die
Speicherung von Daten gemeinschaftsrechtlich insgesamt unzulässig ist, wenn
sie nach dem anzuwendenden nationalen Gesetz neben zulässigen auch ge-
meinschaftsrechtswidrigen Zwecken dient, die Behörden die zu weit gefassten
gesetzlichen Grundlagen in der Rechtsanwendung aber auf das gemeinschafts-
rechtlich Zulässige zurückführen. Dass vorrangiges Gemeinschaftsrecht in ei-
nem solchen Fall die Löschung der Daten gebietet, ist dem Urteil des Gerichts-
hofs vom 16. Dezember 2008 (a.a.O.) nicht zu entnehmen. Entsprechend sei-
ner ständigen Praxis (vgl. EuGH, Urteil vom 15. November 2007 - Rs.
C-162/06, International Mail Spain - Slg. 2007, I-9911 Rn. 24) hat er die ihm
unterbreiteten Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts eher abs-
trakt und allgemein beantwortet und es dem vorlegenden Gericht überlassen,
den bei ihm anhängigen Rechtsstreit unter Berücksichtigung der Antwort des
Gerichtshofs zu entscheiden. Dieses hat das nationale Recht - unter Beachtung
der Vorgaben des Gerichtshofs - gemeinschaftsrechtskonform auszulegen (vgl.
EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2004 - Rs. C-397/01 bis C-403/01, Pfeiffer u.a. -
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Slg. 2004, I-8835 Rn. 113 ff.). Ist dies nicht möglich, darf es wegen des Anwen-
dungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nationale Rechtsvorschriften nicht
anwenden, wenn und soweit diese mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind
(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 9. Juni 1971 - 2 BvR 225/69 - BVerfGE 31, 145
<169 f., 174 f.> und vom 22. Oktober 1986 --
<374 ff.>; BVerwG, Urteil vom 29. November 1990 - BVerwG 3 C 77.87 -
<158 ff.>).
Die Verpflichtung zur Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts gilt gleicher-
maßen für die Behörden. Die Beschwerde zeigt keine Gründe auf, warum die
- hier sogar durch eine Dienstanweisung verdeutlichte - Verpflichtung der natio-
nalen Behörden zur Beachtung des Gemeinschaftsrechts (in einer Übergangs-
zeit bis zu einer Änderung des Gesetzes über das Ausländerzentralregister)
grundsätzlich nicht geeignet sein soll zu erreichen, dass die Speicherung und
Nutzung der Daten des Klägers nur unter Beachtung der Vorgaben des Ge-
richtshofs erfolgt. Die schlichte Behauptung der Ungeeignetheit genügt zur Dar-
legung eines Klärungsbedarfs nicht.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass selbst eine dem Gemeinschaftsrecht
widersprechende Nutzung der Daten im Einzelfall keinen Löschungsanspruch
begründen würde. Denn zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Gemein-
schaftsrechts genügt die Möglichkeit, die aus dem Urteil des Gerichtshofs fol-
genden Beschränkungen - etwa im Wege einer Unterlassungsklage - durchzu-
setzen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
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