Urteil des BVerwG vom 21.05.2004

Rechtliches Gehör, Anhörung, Bundesamt, Versammlung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 207.03
OVG 2 L 119/00
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Mai 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und R i c h t e r
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des
Landes Sachsen-Anhalt vom 23. Mai 2003 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf einen Verfahrensverstoß (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde
ist unzulässig. Die angeführten Zulassungsgründe genügen nicht den Darlegungsan-
forderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Beschwerde rügt eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Mit ihrem Vorbringen, das Berufungsgericht habe zu
Unrecht angenommen, dass sich die Klägerin "hinsichtlich ihrer Verhaftung in Wider-
sprüche verwickelt" habe, zeigt die Beschwerde indessen eine Gehörsverletzung
nicht schlüssig auf.
Auch wenn man die Beschwerde dahin versteht, dass sie insoweit der Sache nach
die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts rügt, führt dies zu
keinem anderen Ergebnis. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind
regelmäßig revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen
Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung der
Tatsacheninstanz kann daher ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO grundsätzlich nicht begründet werden. Ein Verfahrensverstoß kommt nur aus-
nahmsweise in Betracht, etwa wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvoll-
ständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Ent-
scheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen und deshalb seiner
Überzeugungsbildung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt (vgl.
Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209> und Be-
schlüsse vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO
Nr. 266 = NVwZ-RR 1996, 359 und vom 20. August 2003 - BVerwG 1 B 463.02 -).
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Für eine derart grobe und eindeutige Verletzung des Gebots der freien Beweiswürdi-
gung lässt sich der Beschwerde nichts entnehmen. Hinsichtlich der Flucht der Kläge-
rin legt die Beschwerde ohne weitere Erläuterung einen "Ablauf" dar, der sich "wi-
derspruchsfrei aus den mündlichen Verhandlungen" ergebe. Diese Darlegung steht
indessen im Widerspruch zu wesentlichen Teilen der Ausführungen der Klägerin im
Verfahren vor den Tatsacheninstanzen. U.a. hat diese in der mündlichen Verhand-
lung vor dem Verwaltungsgericht ausweislich der Niederschrift vom 21. Februar 2000
ausgeführt, sie sei "bereits vor der Versammlung am 13.1. verhaftet" worden; am
Tage der Verhaftung seien dann "drei Leute" zu ihr ins Haus gekommen, mit denen
sie zum Militärfahrzeug hinausgegangen und dann verhaftet worden sei. Die Be-
schwerde legt nunmehr dar, die Klägerin habe bei einer Versammlung der UFC ca.
eine Woche vor dem 13. Januar 1997 erklärt, man solle sich nicht an den Feierlich-
keiten des 13. Januar 1997 beteiligen. An diesem Tag sei sie dann festgenommen
worden. Vor allem aber setzt sich die Beschwerde mit der vom Berufungsgericht
vorgenommenen eingehenden Würdigung der in wesentlichen Punkten widersprüch-
lichen Darlegungen der Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die An-
erkennung ausländischer Flüchtlinge am 6. Mai 1997 sowie bei den mündlichen Ver-
handlungen im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren (UA S. 8) nicht auseinander.
Nicht nachvollziehbar ist die Darlegung der Beschwerde, es habe sich bei dem Vor-
bringen der Klägerin nur um zeitlich unterschiedliche Ereignisse oder andere Formu-
lierungen gehandelt. Auch hinsichtlich der Umstände der Flucht aus dem Gefängnis
zeigt die Beschwerde keine grobe und eindeutige Verletzung des Gebots der freien
Beweiswürdigung im oben erwähnten Sinn auf. Soweit das Berufungsgericht auf die
erstmalige Schilderung von - vom bisherigen Vortrag abweichender - Einzelheiten in
der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2003 abgestellt hat (angebliche Forderung
des Fluchthelfers, mit ihr zu schlafen), verweist die Beschwerde im Übrigen lediglich
auf Umstände, die zum Zeitpunkt ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 6. Mai
1997, d.h. rund sechs Jahre vor der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsge-
richt bestanden hätten.
Die Beschwerde macht weiter geltend, die Stellungnahme des Diplom-Psychologen,
der die Klägerin langfristig behandelt habe, sei vom Berufungsgericht nicht gewürdigt
worden. Zu Unrecht halte das Berufungsgericht diese Stellungnahme - unter Hinweis
auf die Widersprüchlichkeit des (in der Stellungnahme verwerteten) Vorbringens der
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Klägerin - "für ungeeignet, als Indiz in diesem Verfahren zu dienen, da es (richtig: sie,
d.h. die Stellungnahme) nicht mit der erforderlichen Sicherheit die Umstände
bestätigen könne". Der Sachverstand des gerade auf die Behandlung von Folterop-
fern spezialisierten Psychologen sei dabei nicht berücksichtigt worden.
Damit zeigt die Beschwerde eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtli-
ches Gehör ebenfalls nicht schlüssig auf. Sie macht nämlich nicht in einer den ge-
setzlichen Darlegungsanforderungen entsprechenden Weise ersichtlich, dass das
Berufungsgericht die in Rede stehende Stellungnahme vom 13. Januar 1998 nicht
zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Richter