Urteil des BVerwG vom 23.07.2002

Sri Lanka, Politische Verfolgung, Rüge, Aufklärungspflicht

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 205.02
VGH 10 UE 3756/96.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juli 2002
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht
E c k e r t z – H ö f e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. März
2002 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
G r ü n d e :
Die auf eine "Verletzung der Aufklärungspflicht" nach § 86
Abs. 1 VwGO sowie auf eine "Verletzung der Anforderungen an die
richterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 VwGO" ge-
stützte Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den An-
forderungen an die Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes
nach § 132 Abs. 2, § 133 Abs. 3 VwGO.
Die Beschwerde sieht eine "Verletzung der genannten Verfahrens-
vorschriften" (Beschwerdebegründung S. 2) zunächst darin, dass
das Berufungsgericht einen ergänzenden Lagebericht des Auswär-
tigen Amtes vom 31. August 2001 zu Sri Lanka "trotz Aufführung
in der Erkenntnisliste im Urteil weder erwähnt noch erwogen"
habe. Dieser Bericht bestätige "die Folterpraxis in Sri Lanka"
im Zusammenhang mit dem Anschlag der LTTE auf den Flughafen
Colombo im Juli 2001 und widerlege "die Behauptungen des Hessi-
schen Verwaltungsgerichtshofs über Colombo als inländische
Fluchtalternative" (Beschwerdebegründung S. 2). Mit diesem Vor-
trag wird aus mehreren Gründen keine zulässige Revisionszulas-
sungsrüge erhoben. Die gerügte angebliche Überspannung der An-
forderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nach § 108
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Abs. 1 VwGO bezeichnet keinen Verfahrensmangel im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und auch keine – allenfalls noch denk-
bare – klärungsfähige sowie klärungsbedürftige Grundsatzfrage
im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zur Auslegung des ein-
schlägigen Verfahrensrechts. Eine Aufklärungsrüge wird nicht
den insoweit zu stellenden Anforderungen entsprechend darge-
legt. Zu dem behaupteten Verstoß gegen den Amtsermitt-
lungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO hätte die Beschwerde sub-
stantiiert darlegen müssen, hinsichtlich welcher tatsächlichen
Umstände im Einzelnen sich weitere Ermittlungen anhand welcher
Beweismittel mit welchem Beweisergebnis hätten aufdrängen müs-
sen (vgl. etwa den Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B
261.97 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26 = NJW 1997,
3328). Das legt die Beschwerde nicht dar, abgesehen davon, dass
sie sich auch mit den ausführlichen (ergänzenden und aktuali-
sierten) Erwägungen im angefochtenen Urteil zu dem angesproche-
nen Folterproblem (UA S. 12 ff., 15 ff. bis 20) nicht - wie er-
forderlich - im Einzelnen auseinander setzt und nicht darauf
eingeht, dass sich das Berufungsgericht hierbei auch auf einen
späteren, nach dem ergänzenden Lagebericht des Auswärtigen Am-
tes vom 31. August 2001 ergangenen Lagebericht stützt. Entgegen
dem Eindruck, den die Beschwerde erweckt, beziehen sich die an-
gegriffenen Ausführungen im Berufungsurteil ferner nicht etwa
unmittelbar auf die Bewertung des Großraums Colombo als inlän-
dische Fluchtalternative, sondern zunächst und in erster Linie
auf die Feststellung des Berufungsgerichts, "dass tamilischen
Volkszugehörigen heute und in naher Zukunft in keinem Lan-
desteil Sri Lankas mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gruppen-
gerichtete politische Verfolgung" aus ethnischen Gründen droht
(UA S. 12).
Soweit
die Beschwerde die tatrichterlichen Fest-
stellungen deswegen angreift, weil das Berufungsgericht den
Großraum Colombo sonst nicht als hinreichend sichere Fluchtal-
ternative angesehen hätte (Beschwerdebegründung a.a.O. S. 2),
wird außerdem verkannt, dass das Berufungsgericht die Vernei-
nung eines Anspruchs des Klägers auf Asyl nach Art. 16 a GG und
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auf asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG
ausdrücklich nur hilfsweise und zusätzlich damit begründet,
dass entweder vorverfolgt ausgereisten Tamilen oder – unter-
stellt - in einzelnen Landesteilen noch immer gruppenverfolgten
tamilischen Volkszugehörigen jedenfalls "im Großraum Colombo
eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht", die
hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung gewährt (UA
S. 23). Da das Berufungsgericht sowohl eine Vorverfolgung des
Beigeladenen (UA S. 9 bis 12) als auch eine kollektive oder in-
dividuelle politische Verfolgung bei einer Rückkehr nach
Sri Lanka (UA S. 12 ff., 20 ff. und 22 f.) verneint hat, sind
die Ausführungen zum Bestehen einer inländischen Fluchtalterna-
tive mithin nicht entscheidungstragend; eine allein hierauf be-
zogene Zulassungsrüge kann auch deshalb keinen Erfolg haben. Im
Übrigen wendet sich die Beschwerde mit dieser ersten Rüge in
Wahrheit lediglich im Gewand der Verfahrensrüge gegen die dem
Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung des
Sachverhalts und die Gefahrenprognose, ohne einen Zulassungs-
grund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO aufzuzeigen.
Entsprechendes gilt für die beiden weiteren Rügen eine Verlet-
zung der Aufklärungspflicht (Beschwerdebegründung S. 2 am Ende
bis S. 3 und S. 3 ff.).
Soweit
die Beschwerde im Zusammenhang
mit der zweiten Rüge meint, das Urteil enthalte auf S. 24 un-
verständliche Ausführungen, verkennt sie den Sinn des zitierten
Satzes (S. 24 2. Absatz Satz 1):
"Sowohl die Tatsache, dass Geschwister des Beigeladenen
sich mittlerweile der LTTE angeschlossen haben als auch die
Tatsache, dass er selbst die LTTE mit Geldzahlungen unter-
stützt, führen zu der Annahme, ihm stehe heute die inländi-
sche Fluchtalternative im Großraum Colombo nicht mehr zur
Verfügung."
Wie sich aus dem anschließenden Satz der Entscheidungsgründe
- entgegen der Auffassung der Beschwerde in der ergänzenden
Stellungnahme vom 10. Juli 2002 - eindeutig ergibt, liegt der
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behaupteten Unverständlichkeit oder Widersprüchlichkeit ledig-
lich ein Schreibversehen zugrunde; richtig müsste es in dem zi-
tierten Satz heißen (vgl. ebenso den Nichtabhilfebeschluss vom
17. Juni 2002):
"Sowohl die Tatsache ... führen nicht zu der Annahme, ...".
Im Übrigen kommt es auf die Ausführungen zum Bestehen einer in-
ländischen Fluchtalternative mit dem insoweit strengeren Maß-
stab der hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung – wie ausge-
führt – nicht entscheidungstragend an; hiermit setzt sich die
Beschwerde schon nicht auseinander. Außerdem gilt auch inso-
weit, dass sich die Beschwerde in Wahrheit lediglich gegen die
von ihr für falsch gehaltene tatrichterliche Würdigung wendet,
die in dem angestrebten Revisionsverfahren grundsätzlich nicht
überprüfbar wäre. Auch die dritte Aufklärungsrüge entspricht
nicht den Anforderungen aus § 133 Abs. 3 Satz 3 V
wGO. Mit der
den tatrichterlichen Feststellungen entgegen gesetzten Behaup-
tung, der Kläger sei "sowohl wegen seiner Ausreise mit ge-
fälschtem Pass strafbar als auch wegen seiner Unterstützung der
LTTE in der Bundesrepublik", bei einer Rückkehr müsse er "mit
insgesamt zwanzig Jahren Strafhaft rechnen", lässt sich die Re-
visionszulassung nicht erreichen.
Soweit
die Beschwerde am Ende darauf hinweist, den Kläger er-
warte "somit" – nach der den Feststellungen des Berufungsge-
richts widersprechenden eigenen Gefahrenprognose der Beschwer-
de – "erniedrigende und menschenrechtswidrige Behandlung im
Sinne des Art. 3 EMRK", was "zu seiner Anerkennung ... führen"
müsse, wird eine weitere eigenständige Rüge wohl nicht erhoben.
Insoweit scheint die Beschwerde außerdem zu verkennen, dass die
Frage einer Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4
AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht Gegenstand des Ausgangsverfah-
rens gewesen ist.
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5
Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der
Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Hund Richter