Urteil des BVerwG vom 24.04.2003

Politische Verfolgung, Rechtliches Gehör, Anhörung, Puk

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 201.02
OVG 9 A 3957/99.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. April 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 22. März 2002 wird zurückgewie-
sen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
G r ü n d e :
Die auf Verfahrensmängel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ge-
stützte Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde beanstandet, das Oberverwaltungsgericht habe
rechtsfehlerhaft gemäß § 130 a VwGO durch Beschluss ohne münd-
liche Verhandlung über die Berufung entschieden. Es habe damit
§ 130 a VwGO fehlerhaft angewandt, gegen den Anspruch der Klä-
ger auf rechtliches Gehör verstoßen und den Untersuchungs-
grundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Das Verwaltungsge-
richt habe den Klägern Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1
AuslG gewährt, weil es eine Gruppenverfolgung kurdischer
Volkszugehöriger aus dem Nordirak durch die irakische Zentral-
regierung bejaht habe. Im Hinblick darauf hätten die Kläger
auch ihre Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Ver-
handlung in erster Instanz erteilt. Das Oberverwaltungsgericht
habe die Berufung des Bundesbeauftragten gegen das erstin-
stanzliche Urteil zugelassen, weil es für Kurden aus dem Nord-
irak eine inländische Fluchtalternative in diesem Gebiet ange-
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nommen habe. Insofern sei es im Berufungsverfahren entschei-
dend darauf angekommen, dass die Kläger geltend gemacht hät-
ten, ihnen drohe auch in den kurdischen Autonomiegebieten po-
litische Verfolgung durch den irakischen Staat, vor allem des-
wegen, weil der Kläger zu 1, ein kritischer oppositioneller
Schriftsteller und Journalist, ein hochrangiges Mitglied der
PUK gewesen sei. Im Hinblick auf diesen Vortrag hätte das
Oberverwaltungsgericht nicht nach § 130 a VwGO verfahren dür-
fen, sondern hätte die Kläger persönlich in mündlicher Ver-
handlung anhören müssen.
Mit diesem Vorbringen ist ein Verfahrensmangel im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht aufgezeigt. Ob das Berufungsge-
richt den ihm durch § 130 a VwGO eröffneten Weg des verein-
fachten Berufungsverfahrens beschreitet, steht in seinem
pflichtgemäßen Ermessen, das nur auf sachfremde Erwägungen und
grobe Fehleinschätzungen hin überprüfbar ist. Ein derartiger
Fehler lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen.
Zunächst ist die Anwendung dieses Verfahrens nicht schon des-
halb ausgeschlossen, weil im erstinstanzlichen Verfahren im
Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO
keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat (vgl. Beschluss
vom 22. Dezember 1998 - BVerwG 9 B 347.98 - Buchholz 310
§ 130 a VwGO Nr. 31). Insoweit genügt es, wenn den Beteiligten
die Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung eröffnet war.
Auch der Umstand, dass es aufgrund anderer tatsächlicher und
rechtlicher Würdigung des Berufungsgerichts nunmehr - anders
als in erster Instanz - auf das individuelle Vorbringen der
Kläger ankam, steht einer Entscheidung im vereinfachten Beru-
fungsverfahren nicht von vornherein entgegen. Etwas anderes
würde nur dann gelten, wenn es sich dem Berufungsgericht auf-
grund der Umstände des Einzelfalles hätte aufdrängen müssen,
die Kläger in einer mündlichen Verhandlung anzuhören, um sich
einen persönlichen Eindruck von ihnen zu verschaffen. Derarti-
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ge Umstände legt die Beschwerde indes nicht dar. Sie verweist
lediglich darauf, dass die Kläger einer Entscheidung im Be-
schlussverfahren widersprochen hätten und dass ihnen auch in
den kurdischen Autonomiegebieten politische Verfolgung durch
den irakischen Staat drohe, vor allem deswegen, weil der Klä-
ger zu 1 ein hochrangiges Mitglied der PUK gewesen sei. Sie
zeigt aber nicht unter Auseinandersetzung mit der Begründung
der Berufungsentscheidung auf, dass das Berufungsgericht, das
dieses Vorbringen u.a. mangels jeglicher Substantiierung als
unglaubhaft angesehen hat (BA S. 8 f.), sich seine Überzeugung
nicht allein aufgrund des Protokolls der Anhörung der Kläger
zu 1 und 2 vor dem Bundesamt und der schriftsätzlichen Äuße-
rungen im gerichtlichen Verfahren hätte verschaffen können
(zur grundsätzlichen Zulässigkeit eines solchen Vorgehens vgl.
zuletzt Beschluss des Senats vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B
392.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 = NVwZ 2002, 1381
m.w.N.). Sie legt weder dar, dass das Berufungsgericht ent-
scheidend auf die Glaubwürdigkeit der Kläger abgestellt hat,
die in aller Regel nicht ohne einen persönlichen Eindruck des
Gerichts beurteilt werden kann (vgl. hierzu neben dem eben ge-
nannten Beschluss den Beschluss vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B
37.02 – Buchholz a.a.O. Nr. 260 = AuAS 2002, 263), noch zeigt
sie auf, dass sich dem Berufungsgericht aus sonstigen Gründen
eine mündliche Anhörung der Kläger hätte aufdrängen müssen.
Sie geht auf die vom Berufungsgericht angeführte fehlende Sub-
stantiierung der Angaben und die aufgezeigten Ungereimtheiten
im Vorbringen der Kläger nicht ein und gibt auch nicht zu er-
kennen, inwiefern sie in der Lage gewesen wären, die Mängel
ihres Vorbringens bei einer persönlichen Anhörung auszuräumen.
Auch im Berufungsverfahren haben die Kläger im Übrigen ihre
Angaben nicht schriftsätzlich ergänzt oder vervollständigt,
obwohl ihr Vorbringen insoweit bereits im Bescheid des Bundes-
amts als nicht nachvollziehbar und unglaubhaft angesehen wor-
den war und das Berufungsgericht sie in dem gerichtlichen An-
hörungsschreiben nach § 130 a VwGO unter Setzung einer Aus-
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schlussfrist ausdrücklich zur abschließenden Angabe von Tatsa-
chen und Beweismitteln u.a. zur Vorverfolgung und zum Bestehen
einer inländischen Fluchtalternative aufgefordert hatte. Warum
die Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren unter
diesen Umständen verfahrensfehlerhaft gewesen sein soll, lässt
sich der Beschwerde nicht entnehmen.
Soweit die Beschwerde ferner einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1
EMRK rügt, verkennt sie, dass diese Vorschrift in asyl- und
ausländerrechtlichen Verfahren der vorliegenden Art keine An-
wendung findet (vgl. Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG 1 C
15.01 - BVerwGE 116, 123 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der
Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer
Beck
Prof. Dr. Dörig