Urteil des BVerwG vom 26.02.2003

Illegale Ausreise, Rüge, Sicherheit, Wahrscheinlichkeit

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 200.02
VGH 23 B 02.30139
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Februar 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
Die Beschwerden des Beteiligten und der Beklag-
ten gegen die Nichtzulassung der Revision in
dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 8. Mai 2002 werden zurückgewiesen.
Der Beteiligte und die Beklagte tragen die Kos-
ten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Beteiligten, mit der er die Revisionszulas-
sungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde rügt zunächst, das Berufungsgericht weiche mit
der Beurteilung, dass für einen aus dem Zentralirak stammenden
Asylbewerber in einem vom UNHCR betreuten Flüchtlingslager im
Nordirak das erforderliche Existenzminimum am Ort der inländi-
schen Fluchtalternative nicht gewährleistet sei, von den in
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu entwi-
ckelten Maßstäben ab. Jedenfalls bedürften diese Fragen der
grundsätzlichen höchstrichterlichen Klärung. Der Senat lässt
offen, ob diese Rügen ordnungsgemäß erhoben sind und wie sie
ggf. in der Sache zu bewerten sind (vgl. in diesem Zusammen-
hang auch Beschluss vom 31. Juli 2002 - BVerwG 1 B 128.02 -
zur Veröffentlichung vorgesehen).
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Denn die Beschwerde kann jedenfalls deshalb nicht zur Zulas-
sung der Revision führen, weil das Berufungsurteil auf eine
zweite, selbständig tragende Begründung gestützt ist, gegen
die die Beschwerde keine durchgreifenden Zulassungsgründe gel-
tend macht. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Aufent-
halt in einem Lager des UNHCR sei dem Kläger - unabhängig von
der Frage des Existenzminimums - auch vor dem Hintergrund ei-
nes für möglich gehaltenen Wiedereinmarsches der zentraliraki-
schen Machthaber in den Nordirak nicht zumutbar, weil der La-
geraufenthalt den irakischen Behörden hinreichende Verdachts-
momente für die illegale Ausreise, den Auslandsaufenthalt und
die Asylantragstellung liefere, die zu asylrelevanten straf-
rechtlichen Konsequenzen führen könnten (UA S. 15 f.). Die Be-
schwerde macht geltend, das Berufungsgericht sei bei der
"durch nichts belegten" Annahme eines möglichen Wiedereinmar-
sches zentralirakischer Truppen in den Nordirak von der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen
an die asylrechtliche Prognose abgewichen. Es habe nicht in
nachprüfbarer und nachvollziehbarer Weise die Umstände offen
gelegt, aus denen es nach seiner Überzeugung auf eine ernst-
hafte und nicht ganz fern liegende Gefahr für die Zukunft, wie
sie auch beim Maßstab der hinreichenden Sicherheit vor politi-
scher Verfolgung erforderlich sei, geschlossen habe. Damit ist
eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO indes
nicht dargetan. Die Beschwerde zeigt keinen abstrakten Rechts-
satz aus der angegriffenen Entscheidung auf, mit dem sich das
Berufungsgericht in Widerspruch zu den angeführten Rechtssät-
zen des Bundesverwaltungsgerichts gesetzt hat. So geht sie
nicht auf die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht in
Bezug genommene eigene ständige Rechtsprechung und die hierzu
zitierten Urteile ein und vermag schon aus diesem Grunde nicht
darzutun, inwiefern das Berufungsgericht einen von der höchst-
richterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz aufge-
stellt haben soll. Auch mit ihren übrigen Ausführungen wendet
sich die Beschwerde vor allem gegen die ihrer Ansicht nach un-
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zureichende Überzeugungsbildung des Gerichts im Einzelfall,
ohne damit einen Revisionszulassungsgrund aufzuzeigen.
Die Beschwerde der Beklagten, mit der sämtliche Revisionszu-
lassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO geltend gemacht werden,
bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
Die Beklagte rügt ähnlich wie der Beteiligte, das Berufungsge-
richt sei bei seiner "Hypothese" eines für möglich gehaltenen
Wiedereinmarsches zentralirakischer Truppen in den Nordirak
von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den
Anforderungen an die asylrechtliche Prognose abgewichen. Damit
ist - wie bei der Beschwerde des Beteiligten - eine Divergenz
gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan. Auch die Beklag-
te zeigt hinsichtlich dieser zweiten, selbständig tragenden
Begründung keinen abstrakten Rechtssatz aus der angefochtenen
Berufungsentscheidung auf, mit dem sich das Berufungsgericht
in Widerspruch zu den angeführten Rechtssätzen des Bundesver-
waltungsgerichts gesetzt hat. So geht sie gleichfalls nicht
auf die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht in Bezug
genommene eigene ständige Rechtsprechung und die hierzu zi-
tierten Urteile ein und vermag schon aus diesem Grunde nicht
darzutun, inwiefern das Berufungsgericht einen von der höchst-
richterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz aufge-
stellt haben soll.
Die Rügen der Beklagten, die sich auf Gefahren durch das zent-
ralirakische Regime beziehen und damit auch im Zusammenhang
mit der zweiten Begründung des Berufungsgerichts stehen, grei-
fen nicht durch. Dies gilt zunächst für die Rüge, das Beru-
fungsgericht sei hinsichtlich des Prognosemaßstabs inzident
von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewi-
chen; es habe angenommen, der Kläger sei unverfolgt aus dem
Zentralirak ausgereist, sei dann aber offenbar gleichwohl
nicht vom Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, sondern
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vom Erfordernis hinreichender Sicherheit ausgegangen. Dieser
Vorwurf trifft nicht zu. Das Berufungsgericht ist in dem von
der Beklagten angesprochenen Fragenbereich mehrfach ausdrück-
lich vom Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
ausgegangen und hat sich hierbei auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts bezogen (UA S. 5, 7, 9 und 11; vgl.
auch UA S. 12 und 13). Wie die von der Beschwerde zitierte
Passage auf S. 10 des Berufungsurteils im Einzelnen zu verste-
hen ist und ob das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang den
von ihm herangezogenen Rechtssatz des Bundesverwaltungsge-
richts zutreffend angewendet hat, kann auf sich beruhen. Für
einen ausdrücklichen oder konkludenten Rechtssatzwiderspruch
ist unter den gegebenen Umständen jedenfalls nichts ersicht-
lich. Aus denselben Gründen geht auch der Vorwurf ins Leere,
dem Berufungsurteil fehle hinsichtlich der "Nichtanwendung des
beachtlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes" eine Begründung im
Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO. Nicht tragfähig ist schließlich
der Vorwurf unzureichender Sachaufklärung bzw. fehlerhafter
Überzeugungsbildung. Die Beschwerde meint, das Berufungsge-
richt hätte sich im Zusammenhang mit der Frage von Amnestien
mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 20. März 2002
auseinander setzen müssen. Tatsächlich befindet sich im Beru-
fungsurteil eine eingehende Auseinandersetzung mit diesem La-
gebericht (UA S. 11; vgl. ferner UA S. 5, 6, 9, 10, 12
und 13). Die Beschwerde rügt ferner, das Berufungsgericht hät-
te sich mit der divergierenden Ansicht des Oberverwaltungsge-
richts Koblenz auseinander setzen müssen. Auch hierzu finden
sich im Berufungsurteil Ausführungen (UA S. 16 f.). Im Übrigen
würde diese Rüge auch nicht auf einen Verfahrensmangel im Sin-
ne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen, weil damit ein Fehler
in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung geltend gemacht wird,
der revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht,
sondern dem materiellen Recht zuzuordnen ist (vgl. Beschluss
vom 6. Dezember 1995 - BVerwG 9 B 525.95 - ).
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Da die Beklagte hinsichtlich der zweiten, selbständig tragen-
den Begründung des Berufungsgerichts keine durchgreifenden Zu-
lassungsgründe geltend macht, bedarf es keiner Erörterung, wie
die Rügen, die sich gegen den ersten Begründungsstrang rich-
ten, zu bewerten sind. Dies gilt vor allem für die Divergenz-
und die Grundsatzrüge hinsichtlich der Frage des erforderli-
chen Existenzminimums am Ort der inländischen Fluchtalternati-
ve. Dies gilt aber auch für die Rüge unzureichender Sachauf-
klärung bzw. fehlerhafter Überzeugungsbildung. Die Beschwerde
meint, das Berufungsgericht hätte bei der Frage des Existenz-
minimums auf die abweichende Rechtsprechung des Oberverwal-
tungsgerichts Magdeburg eingehen müssen. Auch dieser Vorwurf
trifft weder zu (vgl. UA S. 8, 10, 13, 14 und 15) noch führt
er auf einen Verfahrensmangel.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5
Satz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der
Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Richter Beck