Urteil des BVerwG vom 16.07.2004

Ausnahmefall, Menschenrechte, Egmr, Emrk

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 20.04
VGH 11 S 973/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juli 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht R i c h t e r und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 10. September 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, die sich auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache stützt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde hält zunächst die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob bei
Ausländern der zweiten Generation, die in Deutschland geboren und aufgewachsen
sind und wegen Drogendelikten im Sinne des § 47 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AuslG verur-
teilt worden sind, ein Ausnahmefall gemäß § 47 Abs. 2 AuslG dann vorliegt, wenn
der betreffende Ausländer die Voraussetzungen zur Absolvierung einer Drogenthe-
rapie geschaffen hat, diese jedoch im Hinblick auf § 35 BtMG noch nicht antreten
konnte. Diese von der Beschwerde aufgeworfene Frage und das mit ihr zusammen-
hängende weitere Beschwerdevorbringen werden den gesetzlichen Darlegungsan-
forderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht. Abgesehen davon,
dass sich die Frage nicht verallgemeinerungsfähig beantworten lässt, zeigt die Be-
schwerde nicht auf, dass sich die Frage in einem Revisionsverfahren stellen würde.
Selbst wenn von einem Ausnahmefall auszugehen wäre, bleibt die nach innerstaatli-
chem Ausländerrecht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG) und nach gemeinschaftsrechtlichen
bzw. assoziationsrechtlichen Maßstäben zu entscheidende Frage, ob der Kläger
aufgrund seines persönlichen Verhaltens weiterhin eine hinreichend konkrete und
schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt. Auf
diese Frage geht die Beschwerde nicht ein. Sie lässt sich zu Gunsten des Klägers
nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen des Berufungsgerichts (UA S. 13)
erst nach erfolgreichem Abschluss und nicht schon vor Beginn einer Drogentherapie
beurteilen. Da der Kläger mit einer derartigen Therapie weder zum Zeitpunkt der be-
hördlichen Ausweisungsentscheidung noch zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung
begonnen hatte, ist nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich, inwiefern es in
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einem Revisionsverfahren auf den von der Beschwerde angesprochenen Fragen-
komplex entscheidungserheblich ankommen könnte. Die mit Schriftsatz vom 14. Juli
2004 mitgeteilten neuen Tatsachen können im Verfahren der Nichtzulassungsbe-
schwerde keine Berücksichtigung finden.
Die Beschwerde hält ferner die Frage für grundsätzlich bedeutsam, wann eine Aus-
weisung unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 EMRK ist. Auch diese Frage lässt
sich nicht generalisierend beantworten und ist damit einer rechtsgrundsätzlichen Klä-
rung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich. Im Übrigen sind in der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesverfassungsgerichts und des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte rechtliche Maßstäbe entwickelt
worden, die eine Beurteilung der angesprochenen Frage ermöglichen (vgl. Urteil des
Senats vom 29. September 1998 - BVerwG 1 C 8.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG
1990 Nr. 16; Urteil des Senats vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 C 17.94 - Buchholz,
a.a.O., § 48 AuslG 1990 Nr. 10; Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats des BVerfG
vom 1. März 2004 - 2 BvR 1570/03 - mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtspre-
chung des EGMR).
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 2. Halbs.
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
ergibt sich aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F. i.V.m. § 72 GKG i.d.F. des Kosten-
rechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I 718).
Eckertz-Höfer Richter Prof. Dr. Dörig