Urteil des BVerwG vom 27.07.2006

Verfassungsschutz, Bekämpfung des Terrorismus, Daten, Bundesamt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 2.06
VGH 6 UE 3204/02.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juli 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 2. November 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die allein auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Be-
schwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht habe Beweisanträge des
Klägers zu Unrecht abgelehnt und wesentlichen Vortrag des Klägers nicht be-
achtet. Es habe dadurch den Kläger in seinem Anspruch auf Wahrung des
rechtlichen Gehörs verletzt (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Sie zeigt
die behaupteten Verfahrensmängel indes nicht in einer den Anforderungen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise auf.
Der Kläger hatte im gerichtlichen Verfahren als Beleg für seine exilpolitischen
Aktivitäten, aufgrund derer er Verfolgung bei einer Rückkehr in die Türkei be-
fürchtet, u.a. ein Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom
9. Juli 1999 vorgelegt, in dem ausgeführt wird, dass der Kläger dem Amt als
Aktivist der PKK in Hessen bekannt geworden und in dieser Eigenschaft am
5. Mai 1999 von einem Mitarbeiter des Amtes mit dem Ziel der Zusammenarbeit
angesprochen worden sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Ver-
waltungsgerichtshof hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers u.a. beantragt,
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eine amtliche Auskunft des Leiters des Bundesamtes für
Verfassungsschutz einzuholen
- zum Beweis dafür, dass die Türkei als Signaturstaat des
europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des
Terrorismus Zugriff auf die über den Kläger beim Bun-
desamt für Verfassungsschutz gespeicherten Daten hat,
- zum Beweis dafür, dass auch andere „Geheimdienste“
und das Bundeskriminalamt Zugriff auf die über den Klä-
ger beim Bundesamt für Verfassungsschutz gespeicher-
ten Daten haben und dass die türkischen Sicherheitsbe-
hörden auch dort über Verbindungsbeamte und auf
sonstige Weise Zugriff auf diese Daten haben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Beweisanträge mit der Begründung ab-
gelehnt, dass die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung für die Ent-
scheidung des Rechtsstreits unerheblich sei, da der Senat davon ausgehe,
dass alle Daten, die auf die im Antrag bezeichnete Weise zur Kenntnis türki-
scher Behörden gelangen könnten, diesen im vorliegenden Fall ohnehin im
Rahmen des Strafnachrichtenaustauschs oder über die Veröffentlichungen in
der Özgür Politika bekannt geworden seien (Sitzungsprotokoll vom 2. Novem-
ber 2005). Er bezog sich damit auf die rechtskräftige Verurteilung des Klägers
durch das Landgericht Koblenz vom 26. November 1997 wegen Zuwiderhand-
lung gegen ein vollziehbares Verbot nach § 18 Satz 2 VereinsG in Tateinheit
mit Nötigung, Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung (Beteiligung an ei-
ner Autobahnblockade durch kurdische Demonstranten im März 1994 sowie an
Gebietsversammlungen der verbotenen PKK zwischen Mai und Oktober 1995)
sowie auf zwei Zeitungsartikel in der Özgür Politika aus dem Jahre 1995 bzw.
2003, in denen der Kläger namentlich genannt wird. In dem letztgenannten Ar-
tikel wird über den misslungenen Anwerbeversuch des Verfassungsschutzes
bei dem Kläger berichtet und das Originalschreiben des Bundesamtes für Ver-
fassungsschutz vom 9. Juli 1999 abgebildet (Gerichtsakte Bl. 219 f.).
Die Beschwerde meint, der Beweisantrag hätte nicht abgelehnt werden dürfen.
Wenn man die Beweisbehauptung als wahr unterstelle, wäre auch davon aus-
zugehen, dass den türkischen Behörden bekannt sei, dass der Kläger beim
Bundesamt für Verfassungsschutz als Aktivist der PKK in Hessen geführt wer-
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de. Dann hätte das Gericht nicht zu dem Ergebnis gelangen können, dass es
sich bei dem Kläger um einen bloßen Mitläufer und Sympathisanten der PKK
handele, sondern davon ausgehen müssen, dass die türkischen Behörden ihm
eine Mitgliedschaft in der PKK unterstellten. Nach den im Urteil selbst aufge-
stellten Kriterien, wonach die türkischen Strafverfolgungsbehörden in der Regel
nur Interesse an der Verfolgung im Ausland begangener Gewalttaten bzw. ihrer
konkreten Unterstützung hätten, wozu auch die Mitgliedschaft in der PKK gehö-
re, hätte der Berufung dann stattgegeben werden müssen. Dem Berufungsge-
richt sei daher offenbar der Vortrag des Klägers über das Schreiben des Bun-
desamtes für Verfassungsschutz, den es im Tatbestand des Urteils noch er-
wähnt habe, „verloren gegangen“.
Mit diesem Vorbringen legt die Beschwerde nicht - wie für eine Gehörsrüge er-
forderlich - dar, dass die Ablehnung des Beweisantrags im Prozessrecht keine
Stütze findet oder das Berufungsgericht sonst seine Pflicht zur Kenntnisnahme
und Erwägung wesentlichen Vorbringens des Klägers verletzt hat. Inwiefern die
- prozessrechtlich grundsätzlich zulässige - Ablehnung des Beweisantrags als
unerheblich als solche fehlerhaft gewesen sein soll, lässt sich der Beschwerde
nicht entnehmen. Sie behauptet selbst nicht, dass relevante Daten über den
Kläger beim Bundesamt für Verfassungsschutz gespeichert seien, die - entge-
gen der Annahme des Berufungsgerichts - über die Informationen aufgrund des
Strafnachrichtenaustauschs und der genannten Zeitungsartikel hinausgingen.
Sie bemängelt lediglich, dass das Berufungsgericht sich an seine in dem Ab-
lehnungsbeschluss vertretene Auffassung über die Unerheblichkeit der Be-
weisanträge in den Urteilsgründen nicht gehalten habe und insbesondere das
Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 9. Juli 1999 aus den
Augen verloren habe. Diese Vorwürfe kann die Beschwerde indes nicht anhand
der Urteilsgründe belegen. Der Umstand, dass das Berufungsgericht den Klä-
ger trotz dieses Schreibens im Ergebnis „nicht nach außen hin als aktives PKK-
Mitglied und/oder Anstifter oder Unterstützer separatistischer bzw. terroristi-
scher Aktivitäten, sondern lediglich als auf niedrigem Profil tätigen Sympathi-
santen“ eingestuft hat, dessen Strafverfolgung in der Türkei sich als unwahr-
scheinlich darstellt, lässt entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht den
Schluss zu, dass das Gericht sich in Widerspruch zu den Gründen seines Be-
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weisablehnungsbeschlusses gesetzt oder das Schreiben des Bundesamtes für
Verfassungsschutz unberücksichtigt gelassen hat. Denn bei dieser Bewertung
des Berufungsgerichts handelt es sich um eine Gesamtwürdigung der exilpoliti-
schen Betätigungen des Klägers im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. In
diesem Rahmen war das damals mehr als sechs Jahre zurückliegende Schrei-
ben des Bundesamtes für Verfassungsschutz nur eines von vielen Indizien, das
nach Auffassung des Berufungsgerichts ersichtlich nicht ausreichte, um den
Kläger in den Augen der türkischen Behörden auch derzeit noch als aktives
PKK-Mitglied und/oder Anstifter oder Unterstützer separatistischer bzw. terroris-
tischer Aktivitäten im Sinne der in dem Urteil genannten Anforderungen anzu-
sehen (UA S. 16 f.). Andere Umstände, aus denen sich ergeben soll, dass das
Berufungsgericht bei seiner Würdigung das fragliche Schreiben des Bundes-
amtes für Verfassungsschutz und die - als wahr unterstellte - Kenntnis der tür-
kischen Strafverfolgungsbehörden von diesem Schreiben nicht in seine Erwä-
gungen einbezogen hat, legt die Beschwerde weder dar noch sind sie sonst
erkennbar. Da das Berufungsgericht bei seiner Bewertung der Aktivitäten des
Klägers ausdrücklich auch auf den zweiten Zeitungsartikel in der Özgür Politika,
in dem über den misslungenen Anwerbungsversuch des Verfassungsschutzes
bei dem Kläger berichtet wird, eingegangen ist (UA S. 17) und sich diesem Arti-
kel auch der Wortlaut des Schreibens des Bundesamtes für Verfassungsschutz
vom 9. Juli 1999 entnehmen lässt, spricht alles dafür, dass das Berufungsge-
richt insoweit seine Kenntnisnahme- und Erwägungspflicht nicht verletzt hat.
Die Beschwerde wendet sich mit Ihren Vorwürfen daher in Wahrheit gegen die
ihrer Ansicht nach unzutreffende Einordnung und Bewertung des Schreibens
des Bundesamtes für Verfassungsschutz und insgesamt gegen die tatrichterli-
che Sachverhalts- und Beweiswürdigung der exilpolitischen Aktivitäten des Klä-
gers im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung, ohne damit einen Verfahrens-
mangel aufzuzeigen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Beck
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