Urteil des BVerwG vom 19.10.2006

Schutz der Ehe, Garantie, Angemessenheit, Anerkennung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 175.06
OVG 3 L 52/98
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19.Oktober 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter
am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Mecklenburg-Vorpommern vom 13. Juli 2006 wird verwor-
fen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig. Sie legt einen Revisionszulassungs-
grund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht in einer den Anforderungen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
„ob bei überlangen und damit verfassungswidrigen Ver-
fahren als Entscheidungszeitpunkt nach § 77 AsylVfG
nicht der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, son-
dern der Zeitpunkt anzunehmen ist, nach welchem über
das Verfahren bei angemessener Dauer entschieden
worden wäre.“
Sie macht geltend, über den Asylantrag der Kläger vom Februar 1996 und den
Ablehnungsbescheid vom Mai 1996 sei vom Oberverwaltungsgericht erst nach
mehr als 10 Jahren entschieden worden. Hätte das Gericht über die im Juli
1999 zugelassene Berufung der Kläger in angemessener Zeit entschieden, hät-
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te es aufgrund des von ihm als wahr unterstellten Vortrags des Klägers zu 1
das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zugunsten der Kläger hinsichtlich
Armeniens feststellen müssen. Die überlange Verfahrensdauer verstoße gegen
das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 20 Abs. 3 GG und den be-
sonderen Schutz der Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG.
Damit ist eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt. Dass bei der Beurteilung des An-
spruchs auf Abschiebungsschutz nach § 60 AufenthG der Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung oder - bei Entscheidung ohne mündliche Verhand-
lung - der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt wird, maßgeblich ist, ergibt
sich unmittelbar aus § 77 Abs. 1 AsylVfG und bedarf keiner Klärung in einem
Revisionsverfahren. Auch nach materiellem Recht kommt es auf die zum Zeit-
punkt einer Rückkehr bestehende Verfolgungssituation an. Der Umstand, dass
für die Kläger während des Laufs des Gerichtsverfahrens möglicherweise zu
einem früheren Zeitpunkt eine günstigere Sachlage bestanden hat, findet da-
nach keine Berücksichtigung. Weder die Garantie effektiven Rechtsschutzes
(Art. 19 Abs. 4 GG) noch Art. 6 Abs. 1 GG verleihen den Klägern einen An-
spruch darauf, dass abweichend von der gesetzlichen Bestimmung bei der Prü-
fung des Abschiebungsschutzes auf einen früheren Zeitpunkt abgestellt wird.
Die Beschwerde übersieht zum einen, dass die Kläger aufgrund des mit einem
Asylantrag verbundenen vorläufigen Aufenthaltsstatus in dem fraglichen Zeit-
raum rechtlich und tatsächlich Schutz vor einer drohenden Verfolgung erhalten
haben. Zum anderen verkennt sie, dass auch eine zeitnähere Entscheidung im
Berufungsverfahren, wenn sie denn zugunsten der Kläger ausgefallen wäre,
diesen wegen der Pflicht zum unverzüglichen Widerruf (vgl. § 73 AsylVfG) keine
unentziehbare Rechtsposition verschafft hätte (vgl. Beschlüsse vom 30. Mai
2001 - BVerwG 1 B 114.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 246 und vom
8. Mai 2000 - BVerwG 9 B 189.00 - Buchholz 11 Art. 16a GG Nr. 30).
Auch ein noch denkbarer Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beru-
hen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), wird mit dem Beschwerdevorbringen we-
der ausdrücklich geltend gemacht noch schlüssig bezeichnet. Zwar folgt aus
der Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG auch, dass
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Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit zu gewähren ist. Bei Prüfung der
Angemessenheit der Verfahrensdauer ist aber neben den durch die Verfah-
rensdauer etwa bedingten Nachteilen vor allem auch zu berücksichtigen, in-
wieweit der Betroffene durch Betreiben seiner Rechtssache oder auf sonstige
Weise auf eine kürzere Verfahrensdauer tatsächlich hingewirkt hat (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 19. Juli 2001 - 2 BvR 2078/00 - juris). Die Beschwerde legt
hierzu schon nicht dar, dass die Kläger bereits im Berufungsverfahren auf eine
möglichst zügige Bearbeitung gedrängt haben. Im Übrigen zeigt sie - wie oben
ausgeführt - auch nicht auf, welche gewichtigen Nachteile den Klägern durch
die Verfahrensdauer entstanden sind. Ebenso fehlt es an einem schlüssigen
Vortrag im Beschwerdeverfahren dazu, dass den Klägern bis zu einem
bestimmten früheren Zeitpunkt, zu dem über die Sache spätestens hätte ent-
schieden werden müssen, ein Anspruch auf Anerkennung zugestanden hätte.
Dies ergibt sich weder aus der Wahrunterstellung des Vortrags des Klägers
zu 1 über die Schießerei im Jahr 1994 durch das Berufungsgericht noch aus
sonstigen Feststellungen im Berufungsurteil.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig
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