Urteil des BVerwG vom 16.06.2005

Abweisung, Kenntnisnahme, Beschränkung, Rechtskraft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 173.04
VGH 7 UE 332.01.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juni 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 24. August 2004 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die allein auf die Abschiebungsandrohung bezogene Beschwerde der Kläger ist un-
zulässig. Die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) und der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) werden nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
1. Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "ob Satz 1 des Teno-
rierungsabschnittes unter Ziff. 1 des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom
28. Oktober 1999 rechtskräftig geworden ist oder nicht". Wie sich aus den weiteren
Ausführungen ergibt, zielt sie damit der Sache nach auf die Frage, ob der Antrag des
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten auf Zulassung der Berufung ("die Be-
rufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts … zuzulassen, soweit der Klage im
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Hinblick auf die Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG stattgegeben worden ist, sowie
unter Abänderung des Urteils die Klage insoweit abzuweisen") und die entsprechen-
de Berufungszulassung so auszulegen sind, dass das Rechtsmittel auf die Feststel-
lung zu § 51 Abs. 1 AuslG beschränkt war, und das Berufungsgericht deshalb nicht
mehr berechtigt war, das verwaltungsgerichtliche Urteil auch hinsichtlich der Aufhe-
bung der Abschiebungsandrohung zu überprüfen und abzuändern.
Damit ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon deshalb nicht auf-
gezeigt, weil die Beschwerde nur die Auslegung des im vorliegenden Einzelfall ge-
stellten Berufungsantrags und keine der Verallgemeinerung zugängliche Rechtsfrage
anspricht, die im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts in
dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Im Übrigen ist das Be-
rufungsgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Abschiebungs-
androhung Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. Zwar steht es
grundsätzlich zur Disposition des Bundesbeauftragten als Rechtsmittelführer, inwie-
weit er die der Klage des Asylbewerbers stattgebende Entscheidung des Verwal-
tungsgerichts angreifen will. Es wäre ihm daher möglich gewesen, die Aufhebung der
Abschiebungsandrohung durch das Verwaltungsgericht hinzunehmen und seinen
Berufungsantrag entsprechend zu beschränken. Entgegen der Ansicht des Beru-
fungsgerichts handelt es sich nämlich insoweit nicht um ein vom Verwaltungsgericht
nicht zu bescheidendes Hilfsbegehren, das im Berufungsverfahren des Bundesbe-
auftragten unabhängig von dessen Antrag automatisch wieder auflebt, wenn das
Hauptbegehren des Asylbewerbers in zweiter Instanz keinen Erfolg hat. Für eine
- danach mögliche - Beschränkung des Berufungsbegehrens des Bundesbeauftrag-
ten auf die Änderung der Entscheidung zu § 51 Abs. 1 AuslG unter gleichzeitiger
Hinnahme der Aufhebung der Abschiebungsandrohung ergeben sich indes hier keine
Anhaltspunkte. Für die Auslegung der Anträge im Rechtsmittelverfahren ist ebenso
wie im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. § 88 VwGO) das Rechtsschutzbegehren,
nicht aber der Wortlaut der Anträge entscheidend; letztere sind anhand des erkenn-
baren Begehrens auszulegen, wobei auch der Inhalt der Antragsschrift, mit der die
Zulassung der Berufung beantragt worden ist, heranzuziehen ist. Der Senat hat in
vergleichbaren Verfahren entsprechende Anträge des Bundesbeauftragten regelmä-
ßig dahingehend verstanden und behandelt, dass sie nicht nur auf die Beseitigung
des asylrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG, sondern auch
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auf die Abweisung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung gerichtet sind (vgl.
Beschluss vom 9. Februar 2000 - BVerwG 9 B 31.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG
Nr. 29 unter Hinweis auf die auch in dem Berufungsbeschluss zitierten Entscheidun-
gen vom 28. April 1998 - BVerwG 9 C 2.98 - und vom 12. August 1999
- BVerwG 9 B 268.99 - sowie das unveröffentlichte Urteil des Senats vom
31. August 1998 - BVerwG 9 C 16.98 -). Der Senat hat hierzu bereits in seinem Urteil
vom 31. August 1998 zu einer nahezu gleichlautenden Antragstellung wie im vorlie-
genden Fall ausgeführt, dass sich daraus eine Beschränkung des Berufungsbegeh-
rens des Bundesbeauftragten in der von der Beschwerde angenommenen Weise
nicht ergebe. Die einschränkend beantragte Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils
("soweit") sei vielmehr so zu verstehen, dass keine vollständige Aufhebung des Ur-
teils beantragt werde, weil es bei der Abweisung des Asylbegehrens nach Art. 16 a
GG bleiben solle. Auch wenn der Antrag hinsichtlich des Umfangs der begehrten
Urteilsaufhebung lückenhaft erscheine, fehle es doch an jeglichem Anhaltspunkt da-
für, dass der Bundesbeauftragte die Klage nicht auch hinsichtlich der negativen
Feststellung zu § 53 AuslG und der Abschiebungsandrohung abgewiesen haben
wolle. Sein Begehren sei mit anderen Worten ersichtlich darauf gerichtet, dass die
Klage in vollem Umfang abgewiesen werde. Denn es wäre nicht verständlich, wenn
er es - trotz seiner Auffassung nach fehlender Voraussetzungen für Asyl- und Ab-
schiebungsschutz - bei der weitergehenden Aufhebung des Bescheides des Bun-
desamts durch das Verwaltungsgericht hätte bewenden lassen wollen. Aus seiner
Sicht habe keinerlei Anlass bestanden, "die lediglich auf dem Erfolg des Hauptan-
trags zu § 51 Abs. 1 AuslG beruhende Aufhebung hinzunehmen und diese rechts-
kräftig werden zu lassen" (Urteil vom 31. August 1998, a.a.O.). Dass es sich im vor-
liegenden Ausgangsverfahren, in dem die Aufhebung der Abschiebungsandrohung
durch das Verwaltungsgericht allein auf der vom Bundesbeauftragten beanstandeten
Zubilligung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG beruht, anders verhal-
ten sollte, ist weder vorgetragen noch erkennbar. Dies hat der Bundesbeauftragte
hier im Übrigen auch mit seinem Antrag auf Abweisung der Klage in vollem Umfang
in der Berufungsbegründung vom 19. Februar 2001 klargestellt und bestätigt.
2. Auch die von den Klägern hierzu erhobene Gehörsrüge genügt nicht den Darle-
gungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde meint, aus
den Ausführungen in der Berufungsentscheidung auf S. 26 ergebe sich, dass das
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Berufungsgericht den Einwand der Kläger, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung aufgrund der Rechtsmittelbeschränkung
des Bundesbeauftragten rechtskräftig geworden, nicht berücksichtigt und damit aus
dem Auge verloren habe.
Damit zeigt die Beschwerde indes keine Umstände auf, die - wie für eine Verletzung
des rechtlichen Gehörs erforderlich - auf eine fehlende Kenntnisnahme und Erwä-
gung wesentlichen Parteivorbringens schließen ließen. Grundsätzlich ist nämlich da-
von auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis
nehmen und in ihre Erwägung einbeziehen. Nur wenn die Umstände im einzelnen
Fall deutlich ergeben, dass das Gericht wesentliches Vorbringen eines Beteiligten
nicht berücksichtigt hat, kann darin eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegen. Allein
die Tatsache, dass das Berufungsgericht auf S. 26 seines Berufungsbeschlusses bei
seinen Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht mehr
ausdrücklich auf dieses Vorbringen der Kläger eingegangen ist, reicht hierfür nicht
aus. Die Beschwerde teilt nämlich nicht mit, dass den Prozessbevollmächtigten der
Kläger auf ihre Anfrage und ihr Vorbringen zum Umfang des Streitgegenstandes des
berufungsgerichtlichen Verfahrens hin (Schriftsätze vom 12. Juli und 23. Juli 2004)
vom Berichterstatter bereits mitgeteilt worden war, dass nach der ständigen Recht-
sprechung des Senats im Falle der Berufung des Bundesbeauftragten für Asylange-
legenheiten eine Überprüfung der Klage in vollem Umfang erfolge (gerichtliches
Schreiben vom 21. Juli 2004), und ihnen hierzu auf Anforderung ein entsprechender
Beschluss des Senats vom 5. Mai 2003 - 7 UE 375/01.A - zur Kenntnisnahme über-
sandt worden ist. Sie geht ferner nicht darauf ein, dass das Berufungsgericht bereits
bei der Prüfung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG auf
S. 23 des Berufungsbeschlusses auf die Frage einer etwa entgegenstehenden
Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils eingegangen ist und sich dabei
ausdrücklich auf den von ihm bereits übersandten Beschluss vom 5. Mai 2003 und
einschlägige Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu dieser Frage bezo-
gen hat. Diese Umstände machen deutlich, dass sich das Gericht sehr wohl mit der
Frage der etwaigen Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils befasst und den ent-
sprechenden Einwand der Kläger im Blick hatte, ihn aber angesichts seiner ständi-
gen - hier im Ergebnis auch mit der des Bundesverwaltungsgerichts übereinstim-
menden - Rechtsprechung nicht für durchgreifend erachtet hat.
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Abgesehen davon könnte die Gehörsrüge auch deshalb keinen Erfolg haben, weil
sich die Entscheidung des Berufungsgerichts aus den unter oben 1. genannten
Gründen jedenfalls im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO in entspre-
chender Anwendung).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig