Urteil des BVerwG vom 21.07.2003

Ausweisung, Ausnahmefall, Emrk, Ermessen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 173.03
VGH 11 S 2336/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juli 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
26. März 2003 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren
auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die ausschließlich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen an die
Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig die Frage, "ob ein in Deutschland geborener Aus-
länder, der keinerlei Kontakte zu dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat, seit seiner Ge-
burt in Deutschland gelebt hat, und die Sprache seiner Staatsangehörigkeit nicht beherrscht,
durch die Herabstufung der Ist-Ausweisung zur Regel-Ausweisung ausreichend geschützt
wird, wenn andererseits aus den strafrechtlichen Verurteilungen hervorgeht, dass dieser
Ausländer die Straftaten gegen das Btm-G aufgrund einer schweren Suchtabhängigkeit be-
gangen hat". Die Beschwerde meint hierzu, das Verwaltungsgericht sei im Gegensatz zum
Berufungsgericht zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass im vorliegenden Fall nur noch
eine Ausweisung nach Ermessen möglich gewesen sei. Entgegen den Ausführungen des
Berufungsgerichts fehle es keineswegs an hinreichend sicher festgestellten tatsächlichen
Anhaltspunkten für die extreme Hilfsbedürftigkeit des Klägers für sein weiteres Leben. Zu
dem (leider) bei der rechtlichen Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung der an-
gegriffenen Verfügung sei der Kläger in hohem Maße heroinabhängig gewesen; wenn er
damals hätte in die Türkei ausreisen müssen, hätte dies geradezu verheerende Auswirkun-
gen auf ihn gehabt. Die Ausführungen im Berufungsurteil erweckten den Eindruck, als sei
der Kläger durch zwei isolierte Urteile zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt
worden. Es habe sich jedoch um eine Verurteilung gehandelt, in die ein anderes Strafer-
kenntnis einbezogen worden sei. Der Kläger sei der Auffassung, dass in seinem Falle atypi-
sche Umstände gegeben seien, die so bedeutsam seien, dass sie das Gewicht der gesetzli-
chen Regel beseitigten. Die Ausweisung widerspreche auch dem Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit und verletze die Rechte des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Die noch bestehen-
de Staatsangehörigkeit sei lediglich eine juristische Tatsache. Vielmehr sei der Kläger be-
reits seit langer Zeit faktisch zu einem Inländer geworden, so dass ihm ein Leben im Staat
seiner Staatsangehörigkeit nicht zuzumuten sei.
Mit diesem Vortrag wird eine bestimmte klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des
revisiblen Rechts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt. Unter welchen
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Voraussetzungen allgemein eine - wie hier - spezialpräventiv begründete Ausweisung eines
Ausländers, der einen der Ausweisungstatbestände nach § 47 Abs. 1 AuslG erfüllt und be-
sonderen Ausweisungsschutz nach § 47 Abs. 3 Satz 1, § 48 Abs. 1 AuslG genießt, verfügt
werden darf, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits grundsätzlich
geklärt (vgl. zuletzt etwa das Urteil des Senats vom 26. Februar 2002 - BVerwG 1 C 21.00 -
BVerwGE 116, 55). Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausgegangen; es hat
angenommen, dass im Falle des Klägers schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicher-
heit und Ordnung vorliegen, die seine Ausweisung nach den genannten Bestimmungen
rechtfertigen und dass auch keine Ausnahme von der Regel des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG
zu machen ist. Auch bei der Prüfung, ob - wie der Kläger mit seiner Grundsatzrüge geltend
macht - ein Ausnahmefall vorliegt, hat sich das Berufungsgericht auf die hierzu in der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze bezogen (vgl. UA
S. 13/14) und einen Ausnahmefall für den vorliegenden Einzelfall im Ergebnis verneint. In
Wahrheit gegen diese Einzelfallbewertung wendet sich die Beschwerde mit der erhobenen
Grundsatzrüge, ohne allerdings insoweit einen erneuten oder über die bisher in der Recht-
sprechung entwickelten Grundsätze hinausgehenden allgemeinen rechtlichen Klärungsbe-
darf aufzuzeigen, der es gebieten würde, dass sich das Bundesverwaltungsgericht im Inte-
resse der Rechtseinheit hiermit erneut befasst. Ob im Falle des Klägers eine Ausnahme von
der Regel des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG zu machen war, weil atypische Umstände vorliegen
oder eine Ausweisung des in Deutschland geborenen Klägers gegen Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8
EMRK und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, ist unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls zu bewerten und entzieht sich einer verallgemeinernden, rechts-
grundsätzlichen Entscheidung in dem angestrebten Revisionsverfahren.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf
§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Eckertz-Höfer
Hund
Richter