Urteil des BVerwG vom 19.10.2005
Bundesamt, Serbien, Montenegro, Kosovo
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 16.05
VGH 7 UE 3377/03.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Oktober 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsge-
richtshofs vom 29. November 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
und auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
ob für die Anwendbarkeit von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - jetzt § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG - auch dann Raum ist, wenn es aufgrund einer aktuellen und
anhaltenden historischen Situation geboten erscheint, dass die oberste Lan-
desbehörde aus humanitären oder zur Wahrung der politischen Interessen der
Bundesrepublik Deutschland anordnet, dass die Abschiebung von Ausländern
aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten
Ausländergruppen in bestimmte Staaten ausgesetzt wird, die oberste Landes-
behörde sich jedoch beharrlich weigert, eine dahingehende Anordnung zu tref-
fen.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeu-
tung nicht. Soweit sie sich auf die Auslegung der zum Zeitpunkt der Berufungsent-
scheidung noch geltenden Bestimmungen von § 53 Abs. 6, § 54 AuslG bezieht, ist
sie durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits rechtsgrund-
sätzlich geklärt (vgl. grundlegend das auch vom Berufungsgericht zitierte Urteil vom
17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324; seither stRspr). Danach
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kann das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge) nicht dazu verpflichtet werden, zugunsten eines
Asylbewerbers festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Ermessensent-
scheidung gemäß § 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG (Anordnung eines allgemeinen
Abschiebestopps durch die oberste Landesbehörde) gegeben sind. Die Gewährung
von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt vielmehr das Bestehen
individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer lediglich auf allgemeine
Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, wird Abschiebungsschutz aus-
schließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörden nach § 54
AuslG gewährt. Einen Anspruch auf Ermessensbetätigung der obersten Landesbe-
hörde hat der Ausländer nicht. Nur dann, wenn ihm kein Abschiebungsschutz nach
§ 53 Abs. 1, 2, 3, 4 und 6 Satz 1 AuslG zusteht, er aber gleichwohl nicht abgescho-
ben werden darf, weil die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
wegen einer extremen Gefahrenlage die Gewährung von Abschiebungsschutz gebie-
ten, ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform einschränkend dahin auszule-
gen, dass eine Entscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht ausgeschlossen
ist (vgl. die amtlichen Leitsätze des Urteils vom 17. Oktober 1995, a.a.O.). Von die-
sen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung ausgegan-
gen und hat das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage für die Kläger sowohl im
Kosovo als auch im übrigen Serbien und in Montenegro geprüft und verneint. Ein er-
neuter oder weitergehender rechtlicher Klärungsbedarf zu dieser Frage lässt sich der
Beschwerde nicht entnehmen. Dass bezüglich der von der Beschwerde ebenfalls
angeführten Vorschriften von § 60 Abs. 7, § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die mit
Wirkung vom 1. Januar 2005 an die Stelle von § 53 Abs. 6, § 54 AuslG getreten sind
und - soweit hier erheblich - wörtlich den bisherigen Bestimmungen entsprechen, et-
was anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich. Dies wird auch von der Beschwerde
nicht behauptet. Im Übrigen könnte eine allein § 60 Abs. 7, § 60 a AufenthG betref-
fende Frage nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung füh-
ren, weil sie sich nur auf eine nach der Berufungsentscheidung in Kraft getretene
neue Rechtsgrundlage beziehen würde (vgl. Beschluss des Senats vom 30. März
2005 - BVerwG 1 B 11.05 - NVwZ 2005, 709).
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2. Die von der Beschwerde außerdem erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des
rechtlichen Gehörs genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO. Der Vorwurf der Beschwerde, das Berufungsgericht habe die von den
Klägern aufgeworfene Rechtsfrage zu Regelungsgehalt und Tragweite des § 54
AuslG nicht behandelt, trifft nicht zu. Wie sich bereits aus den Ausführungen zur
Grundsatzrüge ergibt, hat das Berufungsgericht sich mit der von den Klägern ange-
sprochenen Rechtsfrage zur Auslegung von § 53 Abs. 6, § 54 AuslG in den Ent-
scheidungsgründen auseinander gesetzt, indem es sich der ständigen Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts unter Bezugnahme u.a. auf die Grundsatz-
entscheidung vom 17. Oktober 1995 (a.a.O.) insoweit angeschlossen hat (BA
S. 13 f.). Von einer verfahrensfehlerhaften Nichtberücksichtigung entscheidungser-
heblichen Vorbringens der Kläger kann angesichts dessen nicht die Rede sein.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig
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