Urteil des BVerwG vom 27.07.2011

Staatenlosigkeit, Aufenthaltserlaubnis, Emrk, Verminderung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 15.11
OVG 3 B 10.09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juli 2011
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 8. April 2011 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerde-
verfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) und Divergenz (§132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt
ohne Erfolg, da sie bezüglich beider Zulassungsgründe nicht den Darlegungs-
anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.
1. Wird die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) begehrt, setzt die hinreichende Darle-
gung dieses Zulassungsgrunds gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Formu-
lierung einer bestimmten, höchstrichterlich ungeklärten und sowohl für das Be-
rufungsurteil als auch die angefochtene Revisionsentscheidung entscheidungs-
erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem
die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeu-
tung bestehen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B
261.97 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26). Diesen Darlegungsanforde-
rungen genügt das Vorbringen der Beschwerde nicht.
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Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
„ob die absehbare Einbürgerung minderjähriger Kinder für
den sorgeberechtigten ausreisepflichtigen Kindesvater
sowohl ein rechtliches Abschiebungshindernis darstellt
sowie die freiwillige Ausreise als unzumutbar erscheinen
lässt, so dass die Voraussetzungen … von § 25 Abs. 5
AufenthG vorliegen.“
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde schon keine
entscheidungserhebliche Rechtsfrage zur Auslegung des § 25 Abs. 5 AufenthG
auf. Denn auf der Grundlage der das Revisionsgericht bindenden tatrichterli-
chen Feststellungen des Berufungsgerichts kann - bezogen auf den maßgebli-
chen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht - nicht
von einer „absehbaren“ Einbürgerung der Kinder des Klägers nach Art. 2 des
Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Ver-
minderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. Septem-
ber 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (Gesetz zur Verminde-
rung der Staatenlosigkeit - StaatenlMindÜbkAG -) ausgegangen werden. Da-
nach ist ein seit Geburt Staatenloser auf seinen Antrag einzubürgern, wenn er
- neben weiteren Voraussetzungen - seit fünf Jahren rechtmäßig seinen dau-
ernden Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Diese Voraussetzung erfüllten die Kin-
der des Klägers im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsge-
richts schon in zeitlicher Hinsicht nicht. Außerdem bestehen nach den Feststel-
lungen des Berufungsgerichts Zweifel, ob die Kinder überhaupt staatenlos sind,
nachdem der Kläger in der Vergangenheit im Besitz eines libanesischen Reise-
passes war und daher die libanesische Staatsangehörigkeit besitzen und an
seine Kinder weitergegeben haben könnte (UA S. 15). Soweit die Beschwerde
dem entgegenhält, dass die libanesischen Behörden die Kinder im „Document
de Voyage“ (DDV) ihrer staatenlosen Mutter nicht eingetragen hätten, wenn der
Kindesvater libanesischer Staatsangehöriger wäre, wendet sie sich gegen die
den Tatsachengerichten vorbehaltene Sachverhalts- und Beweiswürdigung.
Dessen ungeachtet lässt sich das Bestehen eines aus Art. 6 GG und Art. 8
EMRK abgeleiteten inländischen Abschiebungs- und Ausreisehindernisses re-
gelmäßig - und so auch hier - nicht unabhängig von den besonderen Umstän-
den des jeweiligen Einzelfalls beurteilen und ist deshalb einer über den Einzel-
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fall hinausgehenden verallgemeinerungsfähigen Klärung in einem Revisionsver-
fahren nicht zugänglich.
2. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist
nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet,
wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entschei-
dung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einen in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten und die Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwen-
dung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer feh-
lerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundes-
verwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den
Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge
(vgl. Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O. m.w.N.).
In diesem Sinne legt die Beschwerde die behauptete Abweichung von der Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2009- BVerwG 1 C
40.07 - (BVerwGE 133, 72 = Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr. 26) bezüglich eines
Anspruchs nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht ordnungsgemäß dar. Nach
dieser Vorschrift kann eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 8 Abs. 1
und 2 AufenthG verlängert werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des
Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außerge-
wöhnliche Härte bedeuten würde. Die Beschwerde übersieht, dass die Voraus-
setzungen dieser Vorschrift im Fall des seit Jahren lediglich geduldeten Klägers
schon deshalb nicht vorliegen, weil er nicht die Verlängerung, sondern die
erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Eckertz-Höfer
Prof. Dr. Dörig
Fricke
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