Urteil des BVerwG vom 10.06.2005

Postulationsfähigkeit, Vertreter, Revisionsgrund, Form

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 149.04
OVG 3 L 198/00
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Juni 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und R i c h t e r
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklen-
burg-Vorpommern vom 27. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die allein auf einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Be-
schwerde bleibt erfolglos.
Die Beschwerde macht geltend, es liege ein absoluter Revisionsgrund im Sinne von
§ 138 Nr. 4 VwGO vor. Der Kläger sei im Berufungsverfahren nicht entsprechend
den Erfordernissen des § 67 VwGO vertreten gewesen, weil die Zulassung seines
damaligen Bevollmächtigten zur Rechtsanwaltschaft im Laufe des Verfahrens wider-
rufen worden sei. § 67 VwGO diene dem Schutz des einzelnen Rechtssuchenden.
Hieraus entstünden subjektive Rechte, die wiederum durch § 138 Nr. 4 VwGO ge-
schützt würden.
Damit und mit ihrem weiteren Vorbringen macht die Beschwerde einen Verfahrens-
fehler nicht ersichtlich. Ist der Prozessbevollmächtigte - etwa wegen Fehlens der
Anwaltseigenschaft bei Vertretungszwang (§ 67 VwGO) - nicht postulationsfähig, so
bewirkt dies nicht, dass der betroffene Beteiligte nicht nach Vorschrift des Gesetzes
im Sinne von § 138 Nr. 4 VwGO vertreten war. Der Beteiligte hat dann lediglich die
für die betreffende Prozesshandlung vorgeschriebene Form verfehlt (vgl. BAG, NJW
1991, 1252 zum Fehlen eines absoluten Revisionsgrundes im Sinne des § 551 Nr. 5
ZPO a.F. = § 547 Nr. 4 ZPO n.F.; Eichberger in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
VwGO § 138 Rn. 115; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 138 Rn. 23; Neumann in:
NK-VwGO § 138 Rn. 254; vgl. auch BFH/NV 2003, 175). Das Erfordernis einer be-
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sonderen Postulationsfähigkeit dient dem öffentlichen Interesse an einem geordneten
Gang des Verfahrens und dem Interesse des Beteiligten an ordnungsgemäßer Bera-
tung. Um diese Zwecke zu erreichen, schreibt das Gesetz eine bestimmte Form des
prozessualen Handelns vor. Es liegt jedoch in der Verantwortung des - selbst oder
durch einen gesetzlichen Vertreter - handlungsfähigen Beteiligten, eine vertre-
tungsberechtigte Person auszuwählen, die für ihn vor Gericht wirksam handeln kann.
Besitzt der von dem Beteiligten ausgewählte Vertreter diese Fähigkeit nicht, so be-
ruht ein Urteil gegen den Beteiligten nicht darauf, dass dem Beteiligten verwehrt
wurde, in Bezug auf das Verfahren sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben. Es
beruht vielmehr darauf, dass der ausgewählte Vertreter die von ihm geschuldete
Leistung nicht erbracht hat, weil er die dazu erforderliche Befähigung nicht besaß.
Konnte der Beteiligte diesen Mangel nicht erkennen, kann er unter Umständen einen
Schadensersatzanspruch gegen seinen Vertreter haben (vgl. BAG, a.a.O.). Die Be-
schwerde zeigt weder in einer den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO entsprechenden Weise auf noch ist sonst ersichtlich, inwiefern unter
den Umständen des vorliegenden Falles - der Prozessbevollmächtigte verlor die Zu-
lassung als Rechtsanwalt und damit die Postulationsfähigkeit erst während des Be-
rufungsverfahrens (nach Erteilung der Zustimmung zur Entscheidung ohne mündli-
che Verhandlung; vgl. dazu unten) - anderes gelten sollte.
Auch mit ihrem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde einen Verfahrensfehler im
Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht schlüssig auf. Soweit sie dahin zu verste-
hen sein sollte, dass sie (auch) auf eine durch den erwähnten Verlust der Anwaltszu-
lassung entstandene Unterbrechung des Verfahrens abhebt (vgl. § 173 VwGO, § 244
ZPO), macht sie mangels Darlegung der erforderlichen Einzelheiten des berufungs-
gerichtlichen Verfahrens nicht ersichtlich, inwiefern das Berufungsgericht hier an
einer abschließenden Entscheidung gehindert gewesen sein sollte. Namentlich geht
sie nicht auf den Umstand ein, dass der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers
erst nach der am 27. August 2003 erteilten Zustimmung zur Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung aufgrund des am 6. Dezember 2003 rechtskräftig ge-
wordenen Widerrufs der Anwaltszulassung (vgl. das in Kopie vorgelegte Schreiben
der Rechtsanwaltskammer vom 29. September 2004) die Fähigkeit verloren hat, die
Vertretung des Klägers fortzuführen. Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass im
Falle einer nach dem Verzicht auf mündliche Verhandlung entstandenen Verfah-
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rensunterbrechung im Sinne von § 244 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 FGO das Urteil in
entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO erlassen und bekannt gemacht
werden kann (BFHE 163, 410 = NJW 1991, 2792). Es bedarf hier keiner abschlie-
ßenden Entscheidung, ob dem zu folgen ist, da die Beschwerde insoweit schon
mangels der hinreichenden Darlegung eines Verfahrensfehlers keinen Erfolg haben
kann.
Ebenso wenig zeigt die Beschwerde Umstände auf, aus denen sich ein Verfahrens-
fehler im Hinblick auf die Zustellung des Berufungsurteils schlüssig ergibt. Auch
wenn man davon ausgeht, dass eine ordnungsgemäße Zustellung an den früheren
Bevollmächtigten des Klägers am 10. August 2004 nicht mehr erfolgen konnte, macht
die Beschwerde nicht ersichtlich, inwiefern das Urteil, das der Kläger offenbar
erhalten hat, nicht nach § 56 Abs. 2 VwGO, § 189 ZPO als zugestellt gilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Richter
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Verfahrensrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VwGO §§ 67, 138 Nr. 4
ZPO
§§ 244, 249 Abs. 3, § 547 Nr. 4
Stichworte:
Absoluter Revisionsgrund; Postulationsfähigkeit; Unterbrechung des Verfahrens;
Vertretungszwang.
Leitsatz:
Hatte ein Beteiligter einen Prozessbevollmächtigten bestellt, dem die erforderliche
Postulationsfähigkeit fehlt, so führt dies nicht dazu, dass der Beteiligte nicht nach
Vorschrift des Gesetzes im Sinne von § 138 Nr. 4 VwGO vertreten war.
Beschluss des 1. Senats vom 10. Juni 2005 - BVerwG 1 B 149.04
I. VG Schwerin vom 03.08.2000 - Az.: VG 7 A 1108/99 -
II. OVG Greifswald vom 27.04.2004 - Az.: OVG 3 L 198/00 -