Urteil des BVerwG vom 19.03.2003

Änderung der Verhältnisse, Ordre Public, Widerruf, Rechtskraft

B
U
N
D
E
S
V
E
R
W
A
L
T
U
N
G
S
G
E
R
I
C
H
T
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 146.02
OVG 8 LB 8/02
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. März 2003
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M a l l m a n n , die Richterin am Bundesverwaltungs-
gericht B e c k und den Richter am Bundesverwaltungs-ge-
richt Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Beschluss des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
12. Februar 2002 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
G r ü n d e :
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde hält die - vom Berufungsgericht nicht erör-
terte - Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"ob ...neben § 73 AsylVfG auch die §§ 48, 49 VwVfG mit der
sodann getroffenen Folgerung, dass Anhaltspunkte für eine
Ermessensreduzierung auf null nicht ersichtlich seien, in
Bezug auf die mögliche Rechtskraft/Bestandskraft des Ur-
teils Auswirkungen haben konnten".
Sie legt aber nicht - wie erforderlich - dar, inwiefern die
Frage nach der Anwendbarkeit von §§ 48, 49 VwVfG neben § 73
AsylVfG entscheidungserheblich und klärungsbedürftig sein
soll. Für das Berufungsgericht war diese Frage nicht entschei-
dungserheblich, da es in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG eine aus-
reichende Rechtsgrundlage für den angefochtenen Widerruf der
Asylanerkennung und der Feststellung des Vorliegens der Vor-
aussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gesehen hat. Es brauchte
folgerichtig auf die Frage, ob der Widerruf auch auf eine an-
- 3 -
dere Rechtsgrundlage hätte gestützt werden können, nicht ein-
zugehen. Inwiefern sich die Frage gleichwohl in dem angestreb-
ten Revisionsverfahren stellen sollte, lässt sich der Be-
schwerde nicht entnehmen. Abgesehen davon ist in der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt, dass
jedenfalls die Rücknahmevorschrift des § 48 VwVfG neben § 73
AsylVfG Anwendung findet (Urteil vom 19. September 2000
- BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80, 88). Ebenso sind im Üb-
rigen die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft einer gerichtlich
ausgesprochenen Verpflichtung zur Asylanerkennung bei nach-
träglicher Änderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat rechts-
grundsätzlich geklärt (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG
9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30). Einen weitergehenden Klärungsbe-
darf aus Anlass des vorliegenden Falles zeigt die Beschwerde
nicht auf.
2. Die von der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage,
"ob die Bezugnahme auf eine Verfügung, die den Parteien zu-
gegangen ist, ... i.S. der Verfahrensordnung ausreicht,
Rechtskraftwirkungen durch ein Urteil, das sich auf eine
derartige Verfügung bezieht, auszulösen",
kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Sie bezieht sich
ersichtlich auf das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsge-
richts, nicht aber auf die Entscheidung des Berufungsgerichts,
die allein Gegenstand einer revisionsgerichtlichen Überprüfung
sein kann.
3. Die Beschwerde sieht eine "nichtentschiedene grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache" ferner darin, dass der neue Vortrag
des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, die Kläger
hätten über ihre Volkszugehörigkeit getäuscht und seien in
Wahrheit nicht Albaner, sondern Roma, von Amts wegen in das
Berufungsverfahren hätte eingeführt werden müssen. Die damit
aufgeworfene Frage ist indes keine rechtsgrundsätzlich zu klä-
rende Frage von allgemeiner Bedeutung, sondern eine Einzel-
- 4 -
fallfrage, die nicht zur Zulassung der Revision nach § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen kann. Soweit die Beschwerde damit der
Sache nach eine Gehörsrüge wegen Nichtberücksichtigung wesent-
lichen Parteivorbringens erheben will, sind auch hierfür die
Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht erfüllt. Die
Beschwerde legt bereits nicht dar, dass das Berufungsgericht
wesentliches Vorbringen der K l ä g e r nicht berücksich-
tigt habe. Auf die Nichtberücksichtigung von Vorbringen der
Gegenseite kann die Beschwerde sich aber nicht berufen, zumal
sie nicht zu erkennen gibt, dass sich die Kläger diesen Vor-
trag über ihre Volkszugehörigkeit zu Eigen gemacht hätten. Ab-
gesehen davon zeigt die Beschwerde auch nicht auf, inwiefern
es bei einer Zugehörigkeit der Kläger zur Volksgruppe der Roma
zu einer für sie günstigeren Entscheidung hätte kommen können.
4. Die Beschwerde wirft ferner zu § 73 AsylVfG die Frage auf,
"ob es nicht - in Anbetracht der hier gegebenen Situation -
Auswirkungen als Folge der zunächst getroffenen positiven
Asylentscheidungen geben muss in der Weise, dass parallel
zu den bislang in der Rechtsprechung benutzten Abstufungs-
kriterien ("Wahrscheinlichkeitsgrade") bei bereits aner-
kannten Asylbewerbern ein herabgestuftes Anforderungsmaß
beim Widerruf angewendet werden muss. Dies würde bedeuten,
dass nicht schon allein die Änderung einer Sach- und
Rechtslage den Asylwiderruf auslöst, sondern die zu tref-
fende Prognose in Bezug auf die Rückkehr in das Heimatland
dergestalt sein muss, dass Gefährdungen, wie sie vielfältig
auch im angefochtenen Beschluss angeführt werden, mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen
sein müssen."
Auch insoweit genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanfor-
derungen. Das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner bisheri-
gen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass bei der Entschei-
dung über den Widerruf der Asylberechtigung dieselben Progno-
semaßstäbe anzuwenden sind wie bei der Entscheidung über die
Anerkennung und dass (nur) im Falle einer Vorverfolgung der
herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab auch bei Prüfung der
Widerrufsvoraussetzungen nach § 73 AsylVfG gilt (Urteile vom
- 5 -
24. November 1998 - BVerwG 9 C 53.97 - Buchholz 402.25 § 73
AsylVfG Nr. 3 S. 7 - insoweit in BVerwGE 108, 30 nicht abge-
druckt - und vom 24. November 1992 - BVerwG 9 C 3.92 -
Buchholz a.a.O. Nr. 1). Die Beschwerde setzt sich hiermit
nicht in der durch § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Weise
auseinander und macht nicht ersichtlich, dass die aufgeworfene
Frage der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf.
5. Soweit die Beschwerde schließlich im Hinblick auf die Blei-
berechtsregelungen der Länder in Altfällen die Frage für
grundsätzlich bedeutsam hält,
"inwieweit es der ordre public zulässt, bei der zuvor be-
schriebenen ausländerrechtlichen Gesamtlage die Asylaner-
kennung dann zu widerrufen, wenn a) über Zeitablauf ein be-
reits langer Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland
erreicht wurde und b) die Prognose der Entwicklung im Her-
kunftsland noch offen ist in der Weise, dass verschiedenste
Risiken (s.o.) bestehen, die zwar nicht die Qualität des
'sehenden Auges' i.S. der Rechtsprechung zu § 53 AuslG ha-
ben, aber dennoch entsprechend gewichtet werden müssten
(vorliegend: Existenzsicherungsproblematik 'auf Dauer';
Menschenrechtsproblematik; Ungewissheit der weiteren poli-
tischen Entwicklung u.s.w., s.o)",
wirft sie keine konkrete Rechtsfrage zu den hier in Streit
stehenden asylverfahrensrechtlichen Rechtsgrundlagen auf, son-
dern hebt auf die aufenthaltsrechtliche Situation der Kläger
ab, über die im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden
ist. Die Frage, ob die den Klägern aufgrund der Asylanerken-
nung erteilten Aufenthaltsgenehmigungen nach Abschluss dieses
Verfahrens widerrufen werden oder ihnen aus anderen Rechts-
gründen ein ausländerrechtliches Bleiberecht zusteht, wird von
der Ausländerbehörde nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des
Widerrufsbescheides der Beklagten zu entscheiden sein.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5
Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
- 6 -
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83 b Abs.
1 AsylVfG nicht erhoben. Der
Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Dr. Mallmann Beck Prof. Dr. Dörig