Urteil des BVerwG vom 31.01.2002

Politische Verfolgung, Staatliche Verfolgung, Armenien, Anhörung

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 14.02 (1 PKH 4.02)
OVG 13 LB 1198/01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Januar 2002
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht
E c k e r t z - H ö f e r , die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. E i c h b e r g e r
beschlossen:
Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Beschluss des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
12. Oktober 2001 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
G r ü n d e :
Die beantragte Prozesskostenhilfe kann den Klägern nicht
bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus
den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166
VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig. Die geltend
gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache und der Verletzung von
Verfahrensrecht (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) sind nicht den
Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend
dargelegt.
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Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klä-
rungsbedürftige Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung
aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht
entnehmen. Die Beschwerde wirft im Zusammenhang mit der vom
Berufungsgericht verneinten Gruppenverfolgung yezidischer
Reli-gionszugehöriger in Armenien die Frage auf, ob die
Annahme eines Verfolgungsprogramms voraussetze, dass dieses
unmittelbar darauf angelegt sei, alle Angehörigen der
Minderheit in asyl-erheblichen Rechtsgütern zu verletzen, oder
ob hierfür nicht auch eine mittelbare Verletzung einer
Minderheit mit starker Intensität ausreiche, mit dem Ziel,
diese dauerhaft zu unterdrücken. Sie zeigt aber auch nicht
ansatzweise auf, inwieweit sich aufgrund der tatsächlichen
Feststellungen des Berufungsgerichts, die für das
Revisionsverfahren bindend sind (§ 137 Abs. 2 VwGO), die Frage
nach einem staatlichen Verfolgungsprogramm überhaupt stellen
würde. Denn für eine unmittelbare staatliche Gruppenverfolgung
der Yeziden durch den armenischen Staat gibt es nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts, das insoweit in
zulässiger Weise auf die Ausführungen des erstinstanzlichen
Urteils Bezug nimmt, keinerlei Anhaltspunkte (vgl. Urteil des
Verwaltungsgerichts, UA S. 10 f.). Auch die Beschwerde selbst
beruft sich an anderer Stelle (Beschwerdebegründung S. 3,
4. Absatz) nur auf eine mittelbare staatliche Verfolgung, weil
der armenische Staat bei Übergriffen gegen Yeziden
grundsätzlich nicht schutzbereit sei. Im Übrigen sind die mit
der Frage nach dem Vorliegen einer Gruppenverfolgung zusam-
menhängenden Rechtsfragen in der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt (vgl. etwa die
Urteile vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200
und vom 30. April 1996 - BVerwG 9 C 170.95 - BVerwGE 101,
123). Dies gilt auch für die Frage, unter welchen
Voraussetzungen eine von privaten Dritten betriebene (Gruppen-
)Verfolgung dem Staat als mittelbare (Gruppen-)Verfolgung
zugerechnet werden kann (vgl. etwa Urteile vom 15. Mai 1990
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- BVerwG 9 C 17.89 - BVerwGE 85, 139, 142 ff. und vom 24. Juni
1990 - BVerwG 9 C 46.89 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 130;
BVerwGE 80, 315, 335 und 83, 216, 235). Einen weiteren
Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
Auch die von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen der Ver-
letzung des rechtlichen Gehörs und des Verstoßes gegen die ge-
richtliche Aufklärungspflicht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m.
§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG und § 86 Abs. 1 VwGO)
genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO.
Soweit die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe das Vor-
bringen der Kläger zu ihrer individuellen Verfolgung in dem
Antrag auf Zulassung der Berufung nicht in der gebotenen Weise
zur Kenntnis genommen und erwogen, zeigt sie keine Umstände
auf, die einen solchen Verfahrensverstoß ergeben. Den Gründen
der Berufungsentscheidung lässt sich vielmehr entnehmen, dass
das Berufungsgericht sich ausdrücklich mit diesem ergänzenden
Vorbringen der Kläger im Berufungsverfahren auseinander
gesetzt hat (BA S. 3 f.). Von einer Nichtberücksichtigung
dieses Vortrags kann daher nicht gesprochen werden.
Soweit die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe in
seiner Anhörungsmitteilung nach § 130 a VwGO lediglich auf die
Rechtsprechung des Senats zur Gruppenverfolgung von Yeziden in
Armenien hingewiesen, aber keinerlei Angaben über die
Beurteilung des individuellen Verfolgungsvorbringens der
Kläger gemacht, ist damit eine Gehörsverletzung ebenfalls
nicht aufgezeigt. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ist es
nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Anhörung zum
Beschlussverfahren nach § 130 a VwGO unmissverständlich
erkennen lässt, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zu
entscheiden beabsichtigt (Urteil vom 21. März 2000 - BVerwG
9 C 39.99 - BVerwGE 111, 69). Diesen Anforderungen genügte das
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Anhörungsschreiben des Berufungsgerichts, mit dem den
Beteiligten die Absicht mitgeteilt wurde, "die Berufung im
Beschlusswege zurückzuweisen". Eines weitergehenden Hinweises
auf die zu erwartende Beurteilung des individuellen
Verfolgungsvorbringens der Kläger hätte es allenfalls dann
bedurft, wenn diese für die Kläger aufgrund des bisherigen
Prozessverlaufs überraschend gewesen wäre. Hiervon kann
vorliegend angesichts der Tatsache, dass sowohl das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als auch das
Verwaltungsgericht die Angaben der Kläger zu 1 und 2 über ihre
Vorverfolgung als unglaubhaft angesehen haben, nicht die Rede
sein.
Soweit die Beschwerde eine Gehörsverletzung darin sieht, dass
das Berufungsgericht im Beschlusswege nach § 130 a VwGO ent-
schieden hat, ohne den Klägern Gelegenheit zu geben, sich
nochmals im Rahmen einer mündlichen Verhandlung den
"tatsächlich nicht bestehenden Widersprüchen" des
individuellen Verfolgungsvorbringens zu stellen, wird auch
damit ein Verfahrensmangel nicht aufgezeigt. Ob das
Berufungsgericht den ihm nach § 130 a VwGO eröffneten Weg der
Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung
beschreitet, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das nur
auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen hin
überprüfbar ist (stRspr; z.B. Beschluss vom 10. April 1992
- BVerwG 9 B 142.91 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 5). Einen
solchen Ermessensfehler legt die Beschwerde nicht dar. Das
Berufungsgericht hat das individuelle Verfolgungsvorbringen
der Kläger in Übereinstimmung mit dem Bundesamt und
insbesondere in Übereinstimmung mit dem auf einer eingehenden
persönlichen Anhörung der Kläger zu 1 und 2 beruhenden Urteil
des Verwaltungsgerichts wegen zahlreicher Widersprüche und Un-
gereimtheiten für unglaubhaft gehalten. Inwiefern bei dieser
Sachlage zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die Gelegenheit
zur schriftlichen Äußerung für die anwaltlich vertretenen
Kläger nicht ausreichend gewesen und eine erneute persönliche
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Anhörung geboten gewesen sein sollte, macht die Beschwerde
nicht deutlich. Sie wendet sich in Wahrheit gegen die ihrer
Ansicht nach unzutreffende Würdigung des tatsächlichen
Vorbringens der Kläger durch das Berufungsgericht. Darauf kann
aber eine Gehörsrüge nicht gestützt werden.
Die Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht
ist ebenfalls nicht ordnungsgemäß erhoben. Die Beschwerde
macht zwar geltend, das Berufungsgericht hätte eine
Stellungnahme des Auswärtigen Amtes dazu einholen müssen, ob
der Kläger zu 1 in Armenien tatsächlich polizeilich gesucht
wird und dass dies politisch motiviert ist. Sie legt aber
nicht - wie erforderlich - dar, inwiefern sich dem
Berufungsgericht ausgehend von seiner tatsächlichen und
rechtlichen Würdigung eine solche, von den Klägern selbst
nicht beantragte Beweiserhebung von Amts wegen hätte
aufdrängen müssen, obwohl sich nach Auffassung des Gerichts
weder aus dem - unglaubhaften - Vorbringen der Kläger zu 1 und
2 noch aus dem von ihnen vorgelegten Dokument, dessen Echtheit
das Berufungsgericht unterstellt hat, Anhaltspunkte für eine
politische Verfolgung ergaben.
Soweit die Beschwerde mit ihrem Vorbringen zur Gruppenverfol-
gung von Yeziden in Armenien sinngemäß auch rügen will, dass
das Berufungsgericht nicht die hierzu beantragten weiteren
Auskünfte oder Sachverständigengutachten eingeholt habe, führt
dieses Vorbringen ebenfalls nicht auf eine Verletzung der ge-
richtlichen Aufklärungspflicht. Das Berufungsgericht hat die
Einholung weiterer Sachverständigengutachten mit der
Begründung abgelehnt, dass die bereits vorliegenden, in das
Verfahren eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der
Verfolgungslage ausreichten, und sich insoweit im Wesentlichen
auf die Ausführungen in dem angefochtenen
verwaltungsgerichtlichen Urteil bezogen. Inwiefern dies
prozessrechtlich zu beanstanden sein soll, legt die
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Beschwerde, die auf diese Begründung auch nicht ansatzweise
eingeht, nicht dar.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der
Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F.
Eckertz-Höfer Beck Dr. Eichberger