Urteil des BVerwG vom 10.02.2006

Änderung der Verhältnisse, Widerruf, Irak, Existenzminimum

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 133.05
VGH 23 B 05.30584
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Februar 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:
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Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 13. Oktober 2005 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
und einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist
unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen an die Darlegung der geltend
gemachten Zulassungsgründe aus § 133 Abs. 3 VwGO.
Die grundsätzliche Bedeutung sieht die Beschwerde darin, dass nach ihrer Auffas-
sung die Entscheidung des Berufungsgerichts "in mehrfacher Hinsicht rechtsfehler-
haft" ist (Beschwerdebegründung II.5, S. 8), ohne allerdings eine konkrete, verallge-
meinerungsfähige Frage des revisiblen Rechts zu benennen und aufzuzeigen, auf
der das angefochtene Urteil beruht und die im Interesse der Rechtseinheit der
rechtsgrundsätzlichen Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht bedarf. Der Be-
schwerde lässt sich ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO daher nicht entnehmen.
Soweit die Beschwerde das Berufungsurteil angreift, weil es davon ausgehe, "dass
die Voraussetzungen des jetzigen § 60 Abs. 1 AufenthG nachträglich weggefallen
seien und der Widerruf der Feststellungen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG damit rechtmäßig sei" (a.a.O. S. 3), macht sie lediglich geltend, bereits diese
Auffassung sei "nicht frei von Rechtsfehlern", weil die Richtlinie 2004/83/EG (sog.
Qualifikationsrichtlinie) Vorwirkungen "insbesondere bei der Anwendung des § 60
Abs. 1 AufenthG" entfalte und diese "bereits jetzt zu beachten" seien (a.a.O. S. 4);
obwohl der Prozessbevollmächtigte der Kläger hierauf in der Berufungsverhandlung
hingewiesen habe, finde sich in dem angegriffenen Urteil "nicht die geringste Anmer-
kung" dazu. Damit wird eine klärungsbedürftige Rechtsfrage unter Auseinanderset-
zung mit dem Inhalt des angefochtenen Urteils nicht aufgezeigt. Vor allem fehlt es an
der Darlegung, welche "Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG" (a.a.O. S. 3) im Wege
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der Vorwirkung sich im Einzelnen ergeben sollen und inwiefern sich deren Nichtbe-
achtung auf das angegriffene Urteil ausgewirkt habe. Der pauschale Hinweis darauf,
die "vom Vorsitzenden Richter in der Urteilsbegründung" mitgeteilte Rechtsauffas-
sung sei "grob fehlerhaft", kann die Darlegung einer bestimmten Rechtsfrage, auf der
das angefochtene Urteil beruhen kann, nicht ersetzen.
Entsprechendes gilt für die Ausführungen der Beschwerde (unter II.2 und 3, S. 4 ff.)
dazu, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung unter Berücksichtigung von
Art. 11 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie und Art. 1 C Nr. 5 GFK bestimmte Anforde-
rungen oder Grundsätze für einen zulässigen Widerruf hätte zugrunde legen und
dann "feststellen müssen, dass es eine in diesem Sinne gefestigte Situation, welche
eine Rückkehr der Kläger in den Irak zumutbar erscheinen lässt, dort derzeit nicht
gibt" (a.a.O. S. 5). Hierzu - und soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang
die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG
benennt - wird nicht dargelegt, ob und ggf. in welcher Beziehung im Einzelnen das
angefochtene Urteil einen abweichenden Maßstab gebildet oder angewandt hat und
gerade deshalb zu einem anderen, für die Kläger ungünstigen Ergebnis gelangt ist.
Insbesondere setzt sich die Beschwerde nicht damit auseinander, dass die Kläger
nach der Einschätzung des Berufungsgerichts "zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in
absehbarer Zukunft bei Rückkehr in den Irak infolge der inzwischen eingetretenen
grundlegenden Änderung der Verhältnisse" keinen Anspruch auf Abschiebungs-
schutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG (mehr) haben (UA S. 6.). Inwiefern dieser rechtli-
che Prüfungsansatz hinter dem zurückbleiben soll, was die Beschwerde fordert,
macht sie nicht deutlich. Außerdem ist in der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts inzwischen rechtsgrundsätzlich geklärt, wie § 73 Abs. 1 AsylVfG aus-
zulegen und anzuwenden ist (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C
21.04 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmt),
d.h. unter welchen Voraussetzungen allgemein ein Widerruf zulässig ist. Dass das
Berufungsgericht hiervon abweichende Maßstäbe gebildet und angewandt hat, die
hier eine Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt einer nachträglichen Di-
vergenz gebieten könnten, lässt sich den Ausführungen der Beschwerde schon man-
gels ausreichender Darlegung einer Grundsatzfrage ebenfalls nicht entnehmen. Eine
solche Divergenz liegt hinsichtlich der maßgeblichen rechtlichen Voraussetzungen
auch in der Sache nicht vor. Die Beschwerde wendet sich in Wahrheit in diesem Zu-
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sammenhang, wie ihre Ausführungen unter Bezugnahme auf frühere Schriftsätze im
Ausgangsverfahren erkennen lassen (a.a.O. S. 5 f.), vielmehr in erster Linie gegen
die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts zur Lage der Christen im Irak. Mit
der Behauptung, "nach diesem Stand der Er-
kenntnisse" könne "nicht ausgeschlossen werden, dass die Kläger im Falle einer
Rückkehr in den Irak wegen ihrer Religionszugehörigkeit Verfolgungsmaßnahmen
ausgesetzt" seien (Beschwerdebegründung S. 6), lässt sich die grundsätzliche Be-
deutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht begründen.
Die Beschwerde macht schließlich für eine Grundsatzbedeutung noch geltend (Be-
schwerdebegründung unter II. 4, S. 6 f.), die bisherige Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts zum religiösen Existenzminimum, von der auch das Berufungs-
gericht offensichtlich ausgehe, sei unter Beachtung von Art. 10 Abs. 1 lit. b der Quali-
fikationsrichtlinie "nicht mehr aufrecht zu erhalten". Abgesehen davon, dass die dem
Berufungsurteil unterstellte Sicht nicht belegt wird, zeigt die Beschwerde nicht auf,
inwiefern sich die von ihr damit angesprochene Frage, ob "auch die Behinderung
öffentlicher Glaubensbetätigung flüchtlingsrechtlich relevant ist" (a.a.O. S. 6), in dem
angestrebten Revisionsverfahren auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellun-
gen des Berufungsgerichts, an die das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich ge-
bunden ist (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO), überhaupt stellen würde und einer rechts-
grundsätzlichen Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht zugänglich wäre. In-
soweit hätte sich die Beschwerde nicht mit einem pauschalen Verweis auf die Fest-
stellungen in dem angegriffenen Urteil beschränken dürfen, sondern darlegen müs-
sen, aus welchen Feststellungen des Berufungsgerichts sich die behaupteten Ver-
folgungsgefahren bei einer Rückkehr (im vorliegenden Zusammenhang: durch eine
öffentliche Glaubensbetätigung) ergeben sollen. Das angefochtene Urteil enthält hier-
zu im Übrigen auch keine hinreichenden Feststellungen (vgl. UA S. 9 ff.); die in der
Beschwerde hierzu angeführten Tatsachen (Beschwerdebegründung S. 6 f.) sind im
Berufungsurteil nicht festgestellt.
Die Rüge eines Verfahrensmangels mit der Begründung, das Berufungsgericht "wäre
gehalten gewesen, die zitierte Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 zu berück-
sichtigen" (Beschwerdebegründung S. 8), entspricht nicht den Anforderungen an die
Darlegung eines Verfahrensfehlers. Die Beschwerde gibt hierzu nicht einmal an, ge-
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gen welche Grundsätze oder Vorschriften des Prozessrechts das Berufungsgericht
insoweit verstoßen haben soll.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Eckertz-Höfer Hund Richter
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