Urteil des BVerwG vom 01.09.2014

Kosovo, Sicherheit, Gefahr, Gefährdung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 13.14
OVG 12 B 11.12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. September 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 11. April 2014 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestütz-
te Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssa-
che (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Die Beschwerde wirft als grund-
sätzlich bedeutsam die Fragen auf,
„ob ein in Deutschland geborener Ausländer, der seit sei-
ner Geburt und seit Jahrzehnten nirgendwo anders als im
Bundesgebiet seinen Lebensmittelpunkt hat, in ein für sei-
ne dauernde Aufenthaltsnahme bestimmtes Land, dessen
Staatsangehörigkeit für ihn nur gemutmaßt wird, ausge-
wiesen werden darf, ohne dass ein urkundlicher Nachweis
(z.B. in Form eines Personalausweises, Reisepasses oder
Staatsangehörigkeitszeugnisses) darüber vorliegt, dass er
die Staatsangehörigkeit dieses Landes tatsächlich besitzt
oder dass er auf sonstiger verlässlicher rechtlicher Grund-
lage dort wenn nicht ein Freizügigkeitsrecht so zumindest
ein auf Dauer gestelltes Aufenthaltsrecht und zudem die
rechtliche Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen
dieses Landes gewährt bekommt oder dass er soweit eine
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staatsrechtliche Gleichstellung nicht gegeben ist, sich zu-
mindest auf völkerrechtlich verbindliche Schutzvorkehrun-
gen zur Sicherung seiner sozialen Existenz als Fremder
berufen kann.“
Diese Frage rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung wegen grundsätzli-
cher Bedeutung, da sie sich in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen
würde. Die Beschwerde unterstellt mit ihrer Fragestellung, das Berufungsgericht
habe die Staatsangehörigkeit des Klägers „nur gemutmaßt“. Indes hat das Be-
rufungsgericht festgestellt, dass der Kläger die Staatsangehörigkeit des Kosovo
besitzt oder sie zumindest durch die Aufnahme in das Staatsangehörigkeitsre-
gister ohne Weiteres erwerben kann (UA S. 21 Mitte). Zudem haben die Behör-
den nicht nur des Kosovo, sondern auch Serbiens sich zur Aufnahme des Klä-
gers bereit erklärt (UA S. 26). An diese tatsächliche Feststellung, gegen die
keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben worden sind (s.u. 3.), wäre
das Bundesverwaltungsgericht in dem erstrebten Revisionsverfahren gemäß
§ 137 Abs. 2 VwGO gebunden.
Aus den gleichen Gründen scheidet die Zulassung auch mit Blick auf die im
Anschluss gestellte Frage aus, die von fehlenden persönlichen Beziehungen
des Klägers zu dem Land der „ihm zugeschriebenen Staatsangehörigkeit“ und
damit den aus seiner Sicht bestehenden völkerrechtlichen Voraussetzungen
eines innerstaatlich anzuerkennenden Staatsangehörigkeitserwerbs ausgeht,
obwohl das Berufungsgericht festgestellt und weiter ausgeführt hat, dass der
Kläger auch über soziale und kulturelle, gegebenenfalls auch über entfernte fa-
miliäre Bindungen zum Herkunftsland seiner Eltern sowie über Kenntnisse der
albanischen Sprache verfügt (UA S. 20). Die von dem Kläger herangezogenen
völkerrechtlichen Bedenken gegen einen ipso-iure-Erwerb einer Staatsangehö-
rigkeit ohne völkerrechtlich hinreichenden Bezug zu einem bestimmten Staat
lassen der Klärung bedürftige Bedenken auch gegen einen Antragserwerb nicht
einmal ansatzweise erkennen. Angesichts der erklärten Aufnahmebereitschaft
(auch) der Republik Kosovo läge in einem Antragserwerb auch kein dem Kläger
nicht abzuverlangendes Verhalten, mit dem die Rechtmäßigkeit der Auswei-
sungsverfügung erst bewirkt wird, sondern eine angesichts des familiären Hin-
tergrunds ohne Weiteres zumutbare Möglichkeit, etwaige, auch mit der Be-
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schwerde geltend gemachten Folgeprobleme nach einer Abschiebung in die
Republik Kosovo abzuwenden.
2. Soweit die Beschwerde auf eine Abweichung der angegriffenen Entschei-
dung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gestützt wird,
führt sie ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich
bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz
benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesver-
waltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvor-
schrift widersprochen hat (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 15. April 2013
- BVerwG 1 B 22.12 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 66 = NVwZ-RR
2013, 774, jeweils Rn. 21). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde
nicht.
2.1 Die Beschwerde macht insoweit geltend, das Berufungsgericht habe die
Ausweisung des Klägers auf § 53 Nr. 1 AufenthG gestützt und ihm besonderen
Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 AufenthG zugebil-
ligt, so dass die Ausweisung nach Satz 2 der Vorschrift nur aus schwerwiegen-
den Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig sei. Sodann stel-
le es auf § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ab, wonach solche Gründe in der Regel
in den Fällen des § 53 AufenthG vorlägen und prüfe, ob hier eine Ausnahme
von der Regel gegeben sei. Die dafür von ihr als maßgeblich angesehene Fra-
ge, ob auch in Zukunft durch neue Verfehlungen des Klägers eine schwere Ge-
fährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung drohe und von ihm eine be-
deutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgehe, bejahe die Vorinstanz
unter Würdigung der begangenen Straftaten. Demzufolge sei der Kläger nach
§ 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen. Nach Abschluss der
Regel-Ausnahme-Überprüfung nehme das Berufungsgericht die Frage nach
einer Ausnahme von der Regel gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG noch ein-
mal auf und stelle als weiteren Maßstab in den Raum, ob sich die Ausweisung
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als unverhältnismäßig und damit nicht gerechtfertigt im Sinne von Art. 8 EMRK
bzw. Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG erweise und deshalb zu unterbleiben
habe.
Die Beschwerde rügt, diese Vorgehensweise widerspreche den Maßgaben des
Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 23. Oktober 2007 (BVerwG 1 C
10.07 - BVerwGE 129, 367). Dort habe das Bundesverwaltungsgericht unter
Verweis auf die im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländer
entschieden, dass das Regel-Ausnahme-Schema in Fällen, in denen durch
Art. 6 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs.1 EMRK geschützte Belange zu
berücksichtigen seien, unzureichend und eine Ermessensentscheidung not-
wendig sei. Demgegenüber stünden in der gestuften Prüfung des Berufungsge-
richts die strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers im Hauptaugenmerk, de-
nen dadurch eine übermäßige Bedeutung beigemessen werde. Denn vorange-
stellte Ausführungen zu den Straftaten, der Delinquenz und der Gefahrenpro-
gnose ließen eine Ermessensentscheidung zulasten des Ausländers erwarten
und stünden einer unvoreingenommenen ergebnisoffenen Wertung entgegen.
Mit diesem Vorbringen genügt die Beschwerde schon nicht den Anforderungen
an die Darlegung einer Abweichung gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Sie vernachlässigt, dass das Berufungsgericht seiner Ent-
scheidung ausdrücklich die von der Beschwerde herangezogene Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde gelegt hat (UA S. 16) und
rügt im Gewande der Divergenzrüge damit allenfalls eine - vermeintlich - fehler-
hafte Anwendung nicht bestrittener Rechtsgrundsätze.
Überdies ist das Berufungsgericht nicht von der Rechtsprechung des beschlie-
ßenden Senats abgewichen. Denn das Berufungsgericht hat das von der Be-
schwerde angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober
2007 (a.a.O.) nicht nur zitiert (UA S. 16), sondern ist ihm auch in der Sache ge-
folgt. Die Annahme der Beschwerde, die genannte Entscheidung des Senats
stehe bei den im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern
der vom Berufungsgericht sukzessiv durchgeführten Stufenprüfung der Auswei-
sung entgegen und gebiete unmittelbar eine Ermessensentscheidung, trifft nicht
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zu. Denn der besondere Ausweisungsschutz modifiziert sowohl die Tatbe-
standsvoraussetzungen einer Ausweisung durch die zusätzliche qualifizierte
Hürde des Vorliegens schwerwiegender Gründe (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG)
als auch die Rechtsfolgeseite des § 53 und § 54 AufenthG durch Herabstufung
der zwingenden zur Regelausweisung bzw. der Regel- zur Ermessensauswei-
sung (§ 56 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG). Deshalb verlangt die in § 53 und
§ 56 Abs. 1 Satz 2 bis 4 AufenthG vorgegebene Systematik für den Erlass einer
Ausweisung in Fällen, in denen ein zwingender Ausweisungsgrund vorliegt und
der Ausländer besonderen Ausweisungsschutz genießt, zu dessen Gunsten
zwei prinzipiell voneinander unabhängige Regel-Ausnahme-Prüfungen:
- Zum einen ist die Tatbestandsvoraussetzung des Vorliegens schwerwiegen-
der Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2
AufenthG anhand der gesetzlichen Regel des Satzes 3 der Vorschrift zu unter-
suchen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung richtet sich diese
Prüfung nach dem Maßstab, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft
eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue
Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeut-
same Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Dazu bedarf es der tatrichter-
lichen Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Umstände im jeweiligen
Einzelfall, aus denen sich eine hinreichend wahrscheinliche Gefahr der Wieder-
holung gleichartiger Straftaten ergeben soll (Urteil vom 31. August 2004
- BVerwG 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356 <362 f.> m.w.N.). Kommt der Tatrich-
ter zu dem Ergebnis, dass die gesetzliche Regelvermutung des Vorliegens
schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56
Abs. 1 Satz 3 AufenthG widerlegt ist, ist die in 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ent-
haltene Tatbestandsvoraussetzung nicht erfüllt und eine Ausweisung scheidet
aus.
- Nur wenn schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
vorliegen, wird der Ausländer gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel
ausgewiesen. Die durch die genannte Vorschrift abgeschwächte Rechtsfolge
(ausweisung) muss jedoch nach der gesetzlichen Systematik ihrerseits im
Einzelfall darauf überprüft werden, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der zur Folge
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hätte, dass an die Stelle der Regel- eine Ermessensausweisung träte. Bei die-
ser Prüfung sind alle Umstände einer eventuellen strafgerichtlichen Verurteilung
sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in
§ 55 Abs. 3 AufenthG nicht abschließend (Urteil vom 19. November 1996 -
BVerwG 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 <253>) genannt werden (Urteile vom
26. Februar 2002 - BVerwG 1 C 21.00 - BVerwGE 116, 55 <64 f.> und vom
29. September 1998 - BVerwG 1 C 8.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990
Nr. 16 S. 48).
Nur zu der zuletzt genannten Abgrenzung von Regel und Ausnahme auf der
Rechtsfolgeseite gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG verhält sich das von der
Beschwerde angeführte Urteil des Senats vom 23. Oktober 2007 (a.a.O.) wenn
es ausführt (Rn. 24 bis 27): Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und
damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - liegt be-
reits dann vor, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der
Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers
eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Fal-
les gebieten. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen und hat die
vom Beklagten getroffene Ermessensentscheidung gemäß § 114 Satz 1 VwGO
überprüft. Das Vorbringen der Beschwerde, bei der gestuften Prüfung sei die
Ermessensentscheidung zu Lasten des Ausländers festgelegt, vernachlässigt
zudem, dass mit der Absenkung der Schwelle für das Vorliegen eines Ausnah-
mefalles die Ermessensentscheidung über die Ausweisung auch nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht negativ präjudiziert ist
und zwingend von der Ausweisung abzusehen wäre. Bei Annahme eines von
der Regel abweichenden Falles fehlt den Ausweisungsgründen nur das von
vornherein ausschlaggebende Gewicht, das ihnen der Gesetzgeber im Regelfall
zugemessen hat (Urteil vom 23. Oktober 2007 a.a.O. Rn. 27).
2.2 Soweit die Beschwerde die Divergenzrüge erhebt, da der Kläger vom Beru-
fungsgericht - alternativ zu einer Aufenthaltsnahme im Kosovo - darauf verwie-
sen werde, sich als serbischer Staatsangehöriger in Serbien aufhalten zu kön-
nen, fehlt es bereits an der ordnungsgemäßen Darlegung einer Abweichung
gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Beschwerde
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arbeitet weder einen Rechtssatz aus dem Berufungsurteil noch aus einer Ent-
scheidung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte heraus
(vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310
§ 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 = NVwZ-RR 1996, 712 <713> - zur Notwendig-
keit der Gegenüberstellung divergierender Rechtssätze).
2.3 Hinsichtlich der geltend gemachten Abweichung des Berufungsgerichts bei
der Prüfung von Duldungsgründen gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gilt
Entsprechendes. Mit dem Vorbringen, „(b)ei ausreichender Berücksichtigung
der angeführten Rechtsprechung des BVerwG wäre dem Kläger eine Duldung
für seinen vorläufigen weiteren Aufenthalt zuzusprechen gewesen“ und die Be-
rufungsentscheidung beruhe „auf der Außerachtlassung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung“, unterstreicht die Beschwerde, dass lediglich eine - vermeint-
lich - fehlerhafte Rechtsanwendung geltend gemacht wird.
3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
3.1 Die Beschwerde erhebt die Aufklärungsrüge gemäß § 86 Abs. 1 VwGO, da
es das Berufungsgericht versäumt habe, „eine kosovarische Staatsangehörig-
keit des Klägers auf ihre verlangten tatsächlichen Umstände hin zu klären.“ Den
in der Berufungsverhandlung gestellten Beweisantrag, ein staatsangehörigkeits-
rechtliches Sachverständigengutachten einzuholen, habe das Berufungsgericht
unter Verweis auf die eigene Sachkunde abgelehnt. Das Gericht verfehle seine
Aufklärungspflicht, wenn es ein solches Gutachten als entbehrlich qualifiziere
und im Berufungsurteil die im Beweisantrag bezeichneten völkerrechtlichen Be-
denken für einen Statuserwerb ausspare. Dieses Vorbringen lässt keine Verlet-
zung des § 86 VwGO erkennen.
Revisionsrechtlich ist die Ermittlung ausländischen Rechts sowie der ausländi-
schen Rechtspraxis nicht dem Bereich der Rechtserkenntnis zuzuordnen, son-
dern wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (stRspr; Urteil vom 7. April
2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 17). § 173 VwGO i.V.m.
§ 293 ZPO verpflichtet die Verwaltungsgerichte, ausländisches Recht unter
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Ausnutzung aller ihnen zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu
ermitteln. Dabei haben sie nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern
auch deren Umsetzung in der Rechtspraxis zu betrachten (Urteil vom 19. Juli
2012 - BVerwG 10 C 2.12 - BVerwGE 143, 369 Rn. 14 f.). Ob das vorinstanzli-
che Verfahren insoweit an einem Verfahrensmangel leidet, ist vom materiell-
rechtlichen Standpunkt der Tatsacheninstanz aus zu beurteilen, selbst wenn
dieser - wofür hier nichts ersichtlich ist - verfehlt sein sollte (stRspr; Urteil vom
14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> = Buchholz
451.171 § 7 AtG Nr. 5 S. 58).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist die Vorgehensweise des Beru-
fungsgerichts nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat seine Feststel-
lung, dass der Kläger die Staatsangehörigkeit des Kosovo besitzt oder sie zu-
mindest durch die Aufnahme in das Staatsangehörigkeitsregister ohne Weiteres
erwerben kann (UA S. 21), aufgrund einer eigenen Prüfung anhand des koso-
varischen Staatsangehörigkeitsgesetzes getroffen. Dabei hat es sich zur Ermitt-
lung der kosovarischen Rechtspraxis auf den Lagebericht des Auswärtigen Am-
tes vom 29. Januar 2014 gestützt. Schließlich hat es sein Prüfungsergebnis
dadurch bestätigt gesehen, dass die Mitarbeiterin der kosovarischen Behörden
dem Auswärtigen Amt speziell zu der Person des Klägers bestätigt hat, dass
dieser vom kosovarischen Innenministerium als „origin from Kosovo“ habe veri-
fiziert werden können und dass das Innenministerium seiner Einreise in den
Kosovo nicht widerspreche (VG Akte 19 K 186.10, Bl. 33 f.).
Die Beschwerde lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen es angesichts die-
ser Vorgehensweise bei der Ermittlung der Staatsangehörigkeit des Klägers für
die getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts einer verlässlichen Tat-
sachengrundlage ermangelt und aus welchem Grund ein Sachverständigengut-
achten einen tauglichen Beitrag zu einer weiteren gerichtlichen Vergewisserung
hätte leisten können. Ihr Vorbringen, über Art. 25 GG beachtliche völkerrechtli-
che Bedenken stünden der Annahme der kosovarischen Staatsangehörigkeit
entgegen, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich. Denn dieser normative
Einwand betrifft eine Rechtsfrage des revisiblen materiellen Rechts, die auf
dem Ergebnis der Auslegung und Anwendung ausländischen Rechts aufbaut
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und deshalb in revisionsrechtlicher Sicht nicht zur Tatsachenfeststellung gehört.
In der Sache trifft es zudem nicht zu, weil der Kläger nach den tatsächlichen
Feststellungen des Berufungsgerichts - wie ausgeführt (s.o. 1.) - über soziale
und kulturelle, gegebenenfalls auch über entfernte familiäre Bindungen zum
Herkunftsland seiner Eltern sowie über Kenntnisse der albanischen Sprache
verfügt. Daher stellen sich die geltend gemachten völkerrechtlichen Bedenken
- allzumal nach einem zugemuteten Antragserwerb der kosovarischen Staats-
angehörigkeit - nicht.
3.2 Die im Zusammenhang mit der Ablehnung des Duldungsbegehrens erho-
bene Aufklärungsrüge genügt nicht den Anforderungen an die Bezeichnung
einer Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO. Die Beschwerde bezeichnet weder ein
Beweisthema noch geeignete und erforderliche Aufklärungsmaßnahmen (vgl.
zu den Anforderungen: Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -
NJW 1997, 3328).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Prof. Dr. Kraft
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