Urteil des BVerwG vom 14.07.2010

Aufenthaltserlaubnis, Zugang, Verwaltungshandeln, Aeuv

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 13.10
VGH 11 S 562/08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juli 2010
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
- 2 -
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 11. März 2010 wird zurückge-
wiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) und das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)
gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde hält in rechtlicher Hinsicht zunächst für grundsätzlich klä-
rungsbedürftig,
„ob sich aus Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 ein Anspruch auf
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis entsprechend der
‚überschießenden’ Geltungsdauer einer Arbeitserlaubnis
ergibt“,
ohne in diesem Zusammenhang in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erfor-
derlichen Weise darzulegen, inwiefern diese Frage nach der Grundsatzent-
scheidung des Senats vom 8. Dezember 2009 - BVerwG 1 C 16.08 - (zur Ver-
öffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) weiterhin
klärungsbedürftig ist. Soweit die Beschwerde darauf hinweist, der Senat habe in
dieser Entscheidung ausdrücklich offengelassen, ob er nach der Entscheidung
des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Gattoussi an
seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte, wonach nach deutschem Recht
eine unbefristete Arbeitsgenehmigung kein von der Aufenthaltserlaubnis unab-
hängiges, gleichsam überschießendes Recht auf Fortführung einer nichtselbst-
ständigen Erwerbstätigkeit vermittele, übersieht sie, dass sich die von ihr in die-
sem Zusammenhang zitierten Auszüge aus dem Urteil vom 8. Dezember 2009
1
2
- 3 -
(Rn. 18) auf die bis zum 31. Dezember 2004 geltende Rechtslage beziehen. In
Bezug auf die seitdem geltende neue Rechtslage hat der Senat indes ent-
schieden, dass sich eine vor dem 1. Januar 2005 erteilte unbefristete Arbeitser-
laubnis mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 in eine
verwaltungsinterne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Aufnahme
einer Beschäftigung umgewandelt hat, wenn der Ausländer - wie hier - zu die-
sem Zeitpunkt im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war, die ihn uneinge-
schränkt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte, und damit als Grund-
lage für eine ausnahmsweise mögliche aufenthaltsrechtliche Wirkung des Dis-
kriminierungsverbots in Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 von vornherein ausscheidet
(Urteil vom 8. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 22). Eine Zulassung der Revision we-
gen grundsätzlicher Bedeutung kommt insoweit auch nicht mit Blick auf die Vor-
lagepflicht letztinstanzlicher Gerichte nach Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EGV) in
Betracht. Nachdem der Gesetzgeber etwaige sich aus der bisherigen Rechtsla-
ge ergebende unionsrechtliche Zweifel ausgeräumt hat, bestünde in einem
künftigen Revisionsverfahren keine Notwendigkeit zur Einholung einer Vorab-
entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union.
Auch die von der Beschwerde in Bezug auf ein etwaiges Aufenthaltsrecht aus
Art. 6 ARB 1/80 aufgeworfene Frage,
„ob es bei der Verwirklichung der Folgenbeseitigung einer
rechtswidrig nicht erteilten verlängerten Aufenthaltser-
laubnis auf die Tatbestandsvoraussetzungen zum Zeit-
punkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Bescheid des
Landratsamts H. vom 14. Februar 2006) oder auf den
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsa-
cheninstanz ankommt“,
rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Insoweit fehlt es ebenfalls an einer näheren Darlegung der Klärungsbedürftig-
keit der aufgeworfenen Frage. In diesem Zusammenhang setzt sich die Be-
schwerde weder mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum
maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Ver-
pflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels (vgl.
Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329) noch mit
dem Inhalt eines Anspruchs auf Folgenbeseitigung auseinander. Es ist in der
3
- 4 -
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass der Betroffene
im Wege der Folgenbeseitigung keinen Anspruch hat, so gestellt zu werden,
wie er stünde, wenn der behördliche Fehler nicht passiert wäre. Anders als im
Sozialrecht, das bei der Verletzung behördlicher Auskunfts- und Hinweispflich-
ten einen Anspruch auf Herstellung desjenigen Zustands kennt, der entstanden
wäre, wenn sich der Sozialleistungsträger von vornherein rechtmäßig verhalten
hätte, kann auf dem Gebiet des allgemeinen Verwaltungsrechts unrechtmäßi-
ges Verwaltungshandeln oder Unterlassen nur im Rahmen zulässigen Verwal-
tungshandelns ausgeglichen werden (vgl. Urteil vom 24. März 1988 - BVerwG
3 C 48.86 - BVerwGE 79, 192). Gegenstand eines Folgenbeseitigungsan-
spruchs ist daher nicht die Einräumung derjenigen Rechtsposition, die der Be-
troffene bei rechtsfehlerfreiem Verwaltungshandeln erlangt haben würde. Der
Anspruch auf Folgenbeseitigung, der ein Verschulden der Behörde nicht vor-
aussetzt, ist nur auf die Wiederherstellung des ursprünglichen, durch hoheitli-
chen Eingriff veränderten Zustands gerichtet. Mangels gesetzlicher Vorschriften
kann er nicht zu einem darüber hinausgehenden Erfolg führen (Beschluss vom
16. Juni 1986 - BVerwG 2 B 67.86 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 160
m.w.N.). Folgerichtig könnte dem Kläger, nachdem das Berufungsgericht zu
dem Ergebnis gekommen ist, dass der Kläger bei Ablauf der ihm zum Zwecke
des Ehegattennachzugs erteilten Aufenthaltserlaubnis allenfalls nach Art. 6
Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 ein Recht auf Aufenthalt zur Weiterbeschäfti-
gung beim gleichen Arbeitgeber erworben hatte, über einen Folgenbeseiti-
gungsanspruch nur eine Aufenthaltserlaubnis zur Fortsetzung dieses Arbeits-
verhältnisses erteilt werden, was ihm aber nicht weiterhelfen würde, da dieses
Arbeitsverhältnis nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht mehr
besteht (vgl. UA S. 9) und eine Weiterbeschäftigung dort auch nicht möglich ist
(UA S. 8). Die Beschwerde legt nicht dar, inwiefern ein Revisionsverfahren hier
zu weiteren grundsätzlichen Erkenntnissen führen könnte.
2. Die von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht
durch. Ein Verfahrensmangel ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn er so-
wohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner
rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. In diesem Sinne legt die Be-
4
- 5 -
schwerde insbesondere weder eine Verletzung der Aufklärungspflicht noch ei-
nen Verstoß gegen die Hinweispflicht schlüssig dar.
Soweit die Beschwerde der Auffassung ist, das Berufungsgericht hätte dem
Kläger im Zusammenhang mit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses und de-
ren Zugang einen Hinweis erteilen und ihn befragen müssen, weshalb der end-
gültige Auszug Ende August 2006 erfolgt sei, legt sie nicht dar, was der Kläger
in diesem Fall noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur
Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre. Auch setzt
sie sich nicht damit auseinander, dass das Berufungsgericht seine Entschei-
dung selbstständig tragend darauf gestützt hat, dass die Kündigung auch dann
als zugegangen anzusehen wäre, wenn der Kläger Ende August 2006 tatsäch-
lich ausgezogen sein sollte, ohne eine aktuelle Anschrift zu hinterlassen, da
anerkannt sei, dass sich der Adressat einer Willenserklärung nicht auf den feh-
lenden Zugang berufen könne, wenn er - wie hier - aufgrund eines bestehenden
konkreten Rechtsverhältnisses mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen
habe rechnen müssen, gleichwohl aber schuldhaft keine Vorkehrungen
getroffen habe, um eine Zugangsmöglichkeit zu eröffnen (UA S. 11).
Ein Verfahrensmangel ist auch nicht in Bezug auf die Ablehnung des vom Klä-
ger in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags auf Vernehmung seines
Bruders als Zeugen dargetan. Dieser Antrag war - entgegen der Darstellung in
der Beschwerdeschrift - nicht auf den Beweis der Tatsache gerichtet, dass ein
Kündigungsschreiben auch in Abwesenheit des Klägers nicht im Briefkasten
gewesen sei, sondern hatte die pauschale Behauptung zum Gegenstand, dass
dem Kläger keine Arbeitgeberkündigung schriftlich zugegangen sei. Im Übrigen
hat das Berufungsgericht den Antrag jedenfalls im Ergebnis zu Recht als unzu-
lässig abgelehnt. Denn er war nicht auf den Beweis einer konkreten Tatsache
gerichtet, sondern so unbestimmt, dass im Grunde erst die Beweiserhebung
selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen hätte auf-
decken können.
Bezüglich der gerügten Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht fehlt zu-
dem die Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlicher Umstände vom materiel-
5
6
7
- 6 -
len Standpunkt des Berufungsgerichts her weiterer Aufklärungsbedarf bestan-
den haben soll, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungs-
maßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, weshalb sich dem Gericht
insoweit eine weitere Aufklärung hätte aufdrängen müssen und welche tatsäch-
lichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklä-
rung voraussichtlich getroffen worden wären.
Das Berufungsurteil verstößt entgegen der Auffassung der Beschwerde schließ-
lich auch nicht gegen die Pflicht zur Gewährleistung des gesetzlichen Richters
(Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Kommt ein Gericht seiner Pflicht zur Vorlage an
den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV nicht nach,
liegt hierin zwar ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Beru-
fungsgericht war hier aber schon deshalb nicht zu einer Vorlage verpflichtet,
weil es nicht als letztinstanzliches Gericht entschieden hat. Außerdem hat der
Gesetzgeber - wie oben ausgeführt - mit der Neuordnung des Aufenthalts- und
Arbeitserlaubnisrechts etwaige sich aus der bisherigen Rechtslage ergebende
unionsrechtliche Zweifel inzwischen ausgeräumt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Eckertz-Höfer Prof. Dr. Dörig Fricke
8
9
10