Urteil des BVerwG vom 17.09.2005

Erlass, Abschiebung, Duldung, Asylbewerber

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 13.05 (1 PKH 7.05)
VGH A 2 S 265/02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. September 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 6. Dezember 2004 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil seine
Beschwerde - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - keine hin-
reichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Die Beschwerde, die sich nur noch auf den Anspruch auf Feststellung von Abschie-
bungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bezieht, hat keinen Erfolg. Die
geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache, der Divergenz und eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3
VwGO) sind zum Teil schon nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
entsprechend dargetan, zum Teil liegen sie nicht vor.
I. Die Beschwerde wendet sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass
dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses auf der
Grundlage einer verfassungskonformen Anwendung von § 53 Abs. 6 AuslG nicht
zustehe, weil die derzeitige Erlasslage in Baden-Württemberg irakischen Staatsan-
gehörigen - wie dem Kläger - einen anderweitigen gleichwertigen Schutz vor der Ab-
schiebung in den Irak biete. Die Beschwerde rügt in diesem Zusammenhang zu-
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nächst, dass der Berufungsbeschluss von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 - (BVerwGE 114, 379) abweiche (§ 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO). Nach diesem Urteil hindere eine anderweitige ausländerrechtliche Er-
lasslage die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, "weil
und sofern sie dem einzelnen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor
Abschiebung vermittelt". Weiter habe das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:
"Es widerspräche allerdings dem Schutzkonzept des Asylverfahrens- und des
Ausländergesetzes, den Asylbewerber mit Rücksicht auf noch unentschiedene
sonstige Bleiberechte und Duldungsansprüche oder wegen eines vorüber-
gehenden faktischen Vollstreckungshindernisses ohne zielstaatsbezogene
Schutzentscheidung nach § 53 Abs. 6 AuslG zu lassen."
Daraus ergebe sich, dass ein dem Abschiebungsschutz im Sinne des § 53 AuslG
gleichwertiger Schutz nicht schon dann gegeben sei, wenn der Ausländer nur wegen
der bloßen Undurchführbarkeit seiner Abschiebung nicht abgeschoben werden kön-
ne. Demgegenüber habe das Berufungsgericht in seinem von ihm in Bezug genom-
menen Urteil vom 16. September 2004 - A 2 S 471/02 - (juris) ausgeführt, die Frage,
ob der Aufenthalt des Betroffenen wegen rechtlicher oder bloß tatsächlicher Ab-
schiebungshindernisse geduldet werde, sei insoweit nicht entscheidungserheblich.
Es habe hierzu ausgeführt,
aus dem Nachrang der verfassungskonformen Anwendung von § 53 Abs. 6
AuslG folge deren "Nichtanwendung dann, wenn der Ausländer bereits eine
den vergleichbar wirksamen Abschiebungsschutz vermittelnde Duldung besitzt
oder diese ihm aufgrund der ausländerrechtlichen Erlasslage gewährt wird
oder gewährt werden muss". Deshalb komme es auch "nicht darauf an, ob der
Schutz auf rechtlichen - insbesondere inlandbezogenen - Abschiebungshin-
dernissen, die auch die Zumutbarkeit der freiwilligen Rückkehr ausschließen,
oder lediglich auf faktischen Abschiebungshindernissen beruht".
Auf dieser Abweichung beruhe der angefochtene Beschluss. Denn bei Beachtung
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hätte das Berufungsgericht
nicht offen lassen dürfen, ob der Erlass in Baden-Württemberg lediglich einen Ab-
schiebungsschutz wegen des Vorliegens von tatsächlichen Abschiebungshindernis-
sen biete oder aber einen rechtlichen Abschiebungsschutz, wie er gerade dem § 53
Abs. 6 AuslG einschließlich der verfassungskonformen Anwendung dieser Norm
zugrunde liege. In der Tat vermittle der Erlass in Baden-Württemberg irakischen
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Staatsangehörigen auch nur einen Anspruch auf Drei-Monats-Duldungen "wegen
(derzeit) fehlender Rückführungsmöglichkeiten" in den Irak, also allein aus tatsächli-
chen Gründen, wobei er ausdrücklich die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise un-
terstelle.
Die behauptete Divergenz liegt nicht vor. Die Beschwerde zieht aus dem zum Aus-
gangspunkt ihrer Rüge gemachten Rechtssatz aus dem Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 12. Juli 2001 (a.a.O., S. 386) einen zu weitgehenden Schluss, in-
dem sie ihn auch auf den Fall einer ausländerrechtlichen Erlasslage erstrecken und
Abschiebestopp-Erlasse nur dann als anderweitigen Schutz anerkennen will, wenn
sie nicht allein wegen eines vorübergehenden faktischen Vollstreckungshindernisses,
also wegen der tatsächlichen Undurchführbarkeit von Abschiebungen, erlassen
worden sind. Eine solche Aussage lässt sich indes der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts bei genauerer Betrachtung nicht entnehmen. Die Ur-
teilsgründe befassen sich zunächst (a.a.O., S. 384) mit den Fällen, in denen eine
verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG unter Durchbrechung der
Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auf jeden Fall geboten ist, nämlich dann,
wenn der einzelne Asylbewerber sonst gänzlich schutzlos bliebe, d.h., wenn seine
Abschiebung in den gefährlichen Zielstaat ohne Eingreifen des Bundesamts oder der
Verwaltungsgerichte tatsächlich vollzogen würde, und wenn der Abschiebung zwar
anderweitige Hindernisse entgegenstehen, diese aber keinen gleichwertigen Schutz
bieten, der dem entspricht, den der Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach
§ 54 AuslG hätte oder den er bei Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erreichen
könnte. Dann wird in dem folgenden Absatz (a.a.O., S. 385) ausgeführt, dass ebenso
wie bei einem Erlass nach § 54 AuslG, der nicht auf die Gewährung von ver-
fassungsrechtlich gebotenem humanitären Abschiebungsschutz beschränkt ist, auch
jede andere ausländerrechtliche Erlasslage die Durchbrechung der Sperrwirkung des
§ 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG hindert, weil und sofern sie dem einzelnen Ausländer einen
vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. Ebenso wie bei § 54
AuslG kommt es dabei ausschließlich darauf an, ob der Erlass im maßgeblichen
Zeitpunkt besteht und anzuwenden ist. In den folgenden Absätzen (a.a.O., S. 385 f.)
wird erörtert, welche sonstigen individuellen Schutzmöglichkeiten oder Vollstre-
ckungshindernisse außerhalb der bereits erwähnten Erlasslage ausreichen, um eine
verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG auszuschließen. Nur und
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erst in diesem Zusammenhang wird ausgeführt, dass für einen solchen Ausschluss
ein vorübergehendes faktisches Vollstreckungshindernis ebenso wenig ausreicht wie
noch unentschiedene sonstige Bleiberechte und Duldungsansprüche. Dieser Ge-
sichtspunkt kann deshalb nicht, wie die Beschwerde meint, auch auf den Fall bezo-
gen werden, in denen ein Abschiebestopp-Erlass der obersten Landesbehörde vor-
liegt, der eine mindestens dreimonatige Duldung des Asylbewerbers zur Folge hat.
Bei Vorliegen einer solchen Erlasslage kommt es nach der erkennbaren Auffassung
des Bundesverwaltungsgerichts nicht darauf an, ob der Erlass auf der faktischen
Undurchführbarkeit von Abschiebungen oder auf sonstigen Gründen beruht. Dies
wird auch durch die nachfolgende Subsumtion in dem Urteil (a.a.O., S. 387) bestä-
tigt. Darin wird ein Anspruch der dortigen Klägerin auf Feststellung von Abschie-
bungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG verneint, weil sie nach der damals bestehenden
- ausdrücklich auf § 55 AuslG gestützten - Erlasslage einen unbedingten Anspruch
auf eine widerrufliche Duldung mit einjähriger Geltungsdauer hatte. Dabei wurde
nicht geprüft, ob der Abschiebestopp-Erlass ausschließlich auf die tatsächliche
Unmöglichkeit des Vollzugs von Abschiebungen zurückzuführen war. Da sich dem
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der von der Beschwerde behauptete
Rechtssatz bezüglich einer ausländerrechtlichen Erlasslage demnach nicht entneh-
men lässt, fehlt es auch an einer Abweichung der berufungsgerichtlichen Entschei-
dung von diesem Urteil.
II. Die von der Beschwerde weiter geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der
Sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforde-
rungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Die Beschwerde hält die Frage für
grundsätzlich bedeutsam,
"ob ein 'einfacher' Duldungsschutz nach Ausländerrecht, ggf. nach § 54 oder
auch nur § 55 Abs. 2 AuslG bei tatsächlichen Abschiebungshindernissen (wie
vom Gericht als möglich unterstellt!) rechtlich wirklich nach den Vorausset-
zungen und vor allem nach den Folgen gleichwertig ist mit dem der Feststel-
lung eines Abschiebehindernisses durch das Gericht oder das Bundesamt im
Rahmen eines entsprechenden Bescheids nach dem Asylverfahrensgesetz zu
§ 53 Abs. 6 AuslG".
Die Beschwerde meint, diese Frage sei noch nicht höchstrichterlich geklärt. Sie sei
deshalb zu verneinen, weil die Duldung nach dem hier maßgeblichen Erlass in
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Baden-Württemberg die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis aus-
schließe und deshalb hinter der gesetzlichen Duldung nach § 41 AsylVfG zurückblei-
be.
Damit ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon deshalb nicht dar-
gelegt, weil die Frage sich auf das zum 1. Januar 2005 außer Kraft getretene Aus-
ländergesetz, also auf ausgelaufenes Recht, bezieht und die Beschwerde nicht hin-
reichend darlegt, inwiefern sich dieselbe Frage in gleicher Weise nach neuem Recht
zu § 60 Abs. 7 AufenthG stellen würde. Hierzu hätte die Beschwerde u.a. darauf ein-
gehen müssen, dass es die gesetzliche Duldung nach § 41 Abs. 1 AsylVfG a.F. seit
Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht mehr gibt. Unabhängig davon war die
Frage, jedenfalls soweit sie sich auf den hier allein streitigen Duldungsschutz auf-
grund eines Abschiebestopp-Erlasses der obersten Landesbehörden bezieht, durch
die Entscheidung des Senats vom 12. Juli 2001, a.a.O., bereits geklärt (vgl. auch
Beschlüsse vom 10. September 2002 - BVerwG 1 B 26.02 - und vom 28. August
2003 - BVerwG 1 B 192.03 - Buchholz 402.240 § 54 AuslG Nr. 6 und 7). Danach
kommt es bei der Prüfung, ob die ausländerrechtliche Erlasslage einen vergleichbar
wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, nur auf die Schutzwirkung der gesetz-
lichen Duldung nach § 41 AsylVfG a.F. oder eines Erlasses nach § 54 AuslG im Hin-
blick auf eine drohende Abschiebung an, und nicht auf Folgewirkungen im Hinblick
auf eine etwaige spätere Verfestigung des Aufenthaltsrechts, wie etwa einen An-
spruch auf Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG.
III. Soweit die Beschwerde außerdem als Verfahrensmangel eine nicht ausreichende
Begründung des Berufungsbeschlusses rügt, weil es den Erlass des Baden-
Württembergischen Innenministeriums vom 29. Juli 2004 nicht vollständig zitiert habe
(Beschwerdebegründung S. 3), fehlt es schon an der erforderlichen Darlegung, dass
und warum es auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auf
die angeblich nicht zitierten Teile des Erlasses überhaupt ankommen sollte.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
Satz 1 RVG.
Eckertz-Höfer Hund Beck
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