Urteil des BVerwG vom 12.06.2003

Berg, Republik Aserbaidschan, Aufklärungspflicht, Existenzminimum

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 129.03
OVG 1 L 249/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juni 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
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Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungs-
gerichts vom 12. Dezember 2002 wird verworfen.
Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Beigeladenen ist unzulässig. Sie beruft sich zwar auf die Revisions-
gründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der
Verfahrensmängel der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO) und der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), legt aber die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer
Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt (vgl. auch den
den Bevollmächtigten der Beigeladenen und den übrigen Verfahrensbeteiligten bekannten
Beschluss vom 11. April 2003 - BVerwG 1 B 82.03 -).
Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob Berg-Karabach für aserbaid-
schanische Staatsangehörige aserbaidschanischer Abstammung ohne familiäre oder andere
Kontakte zu Berg-Karabach eine zumutbare inländische Fluchtalternative darstellt" (Be-
schwerdebegründung S. 1). Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage
des revisiblen Rechts aufgeworfen wird. Eine derartige Frage lässt sich der Beschwerde
nicht entnehmen. Die von ihr aufgeworfene Frage, ob das Gebiet von Berg-Karabach eine
geeignete Fluchtalternative darstellt, zielt nicht auf eine bestimmte klärungsfähige Rechts-
frage, sondern betrifft die den Tatsachengerichten vorbehaltene Feststellung und Würdigung
der tatsächlichen Verhältnisse in Berg-Karabach. Dies gilt auch für die von der Beschwerde
hierzu angesprochene weitere Frage, ob Berg-Karabach für die Beigeladenen überhaupt
erreichbar ist - etwa durch Einreise über Armenien (Beschwerdebegründung S. 2). Auch mit
der Frage, "ob Berg-Karabach asylrechtlich als zu Aserbaidschan gehörendes Inland zählt"
(Beschwerdebegründung S. 1), wendet sich die Beschwerde - wie die weiteren Ausführun-
gen hierzu zeigen - in erster Linie gegen die tatrichterliche Einschätzung der politischen Ver-
hältnisse. Sie stellt nicht in Frage, dass Berg-Karabach völkerrechtlich zur Republik Aserbai-
dschan gehört, meint aber, dass für die asylrechtliche Beurteilung allein die faktische Verfes-
tigung der staatlichen Verhältnisse maßgeblich sei (Beschwerdebegründung S. 2). Mit die-
sem Vorbringen wird eine Rechtsfrage nicht aufgezeigt.
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Die Beschwerde hält weiter für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob bei einem Fehlen des
wirtschaftlichen Existenzminimums in Berg-Karabach Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1
AuslG mit der Begründung verwehrt werden kann, dass auch in Aserbaidschan das wirt-
schaftliche Existenzminimum nicht gesichert wäre" (Beschwerdebegründung S. 6).
Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich
sein soll. Dazu hätte aber Veranlassung bestanden, da das Berufungsurteil darauf beruht,
dass "die Beigeladenen in Berg-Karabach vor einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung
hinreichend sicher" sind (UA S. 16). Die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum un-
terstellten Fehlen des Existenzminimums erfolgen nur hilfsweise. Das Oberverwaltungsge-
richt macht aber deutlich, dass seine Erörterungen eine wirtschaftliche Notlage - "entgegen
der Auffassung des Senats" – lediglich unterstellen (UA S. 20).
Die Beschwerde sieht in zwei Punkten eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht
(Beschwerdebegründung S. 4), legt jedoch nicht - wie erforderlich - dar, dass es für die Ent-
scheidung des Rechtsstreits unter Zugrundelegung der insoweit maßgeblichen Auffassung
des Berufungsgerichts auf die als aufklärungsbedürftig bezeichneten Tatsachen ankommt.
Die Beigeladenen rügen zunächst, das Gericht gehe davon aus, dass abgelehnte Asylbe-
werber bei ihrer Rückkehr nach Berg-Karabach über nicht unerhebliche Barmittel verfügten,
habe die Beigeladenen, die vermögenslos seien, aber nicht zu ihren Vermögensverhältnis-
sen befragt. Dies stelle einen Aufklärungsmangel und eine Verletzung des rechtlichen Ge-
hörs dar (Beschwerdebegründung S. 4). Die Beschwerde rügt weiter, es fehle auch an ge-
richtlichen Ermittlungen, über welche Beträge Rückkehrer aus Deutschland verfügen müss-
ten, um sich eine sichere Existenz in Berg-Karabach aufzubauen (Beschwerdebegründung
S. 4). Die Beschwerde legt jedoch nicht dar, dass es auf entsprechende Sachverhaltsermitt-
lungen für die Entscheidung des Rechtsstreits überhaupt ankommt. Hierzu hätte insbeson-
dere deshalb Veranlassung bestanden, weil das Berufungsgericht - die Entscheidung selb-
ständig tragend - das wirtschaftliche Existenzminimum für Rückkehrer nach Berg-Karabach
allgemein schon deshalb als gesichert sieht, weil Überwiegendes dafür spreche, dass ar-
beitsfähige Neuankömmlinge in der Lage sein werden, in der karabachischen Arbeitswelt
Fuß zu fassen (UA S. 19). Das Gericht verweist insoweit auf die verhältnismäßig niedrige
Arbeitslosenquote (6,5 %) und die insgesamt positive Zukunftsprognose hinsichtlich der wirt-
schaftlichen Entwicklung. Wegen der durch den Krieg entstandenen vielfältigen und immer
noch vorhandenen Gebäudeschäden gelte dies insbesondere für den Vater und Lebensge-
fährten der Beigeladenen, der bereits früher als Maurer gearbeitet habe.
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Soweit sich die Beschwerde im Weiteren gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung beim
Vergleich der Lebensverhältnisse in Berg-Karabach mit denen im übrigen Aserbaidschan
wendet (Beschwerdebegründung S. 4 bis 6), zeigt sie damit einen Verfahrensmangel im
Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht auf.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß
§ 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2
AsylVfG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig