Urteil des BVerwG vom 23.05.2006

Christliche Religion, Genfer Flüchtlingskonvention, Hund, Kirche

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 124.05
VGH 14 B 01.30599
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Mai 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund, Richter und
Prof. Dr. Dörig
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 26. Juli 2005 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt den allein geltend gemachten Revisi-
onszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO genügenden Weise dar.
Die Klägerin, eine 1999 nach Deutschland eingereiste iranische Staatsangehö-
rige, wendet sich mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde gegen die auf die Beru-
fung des Beteiligten im Berufungsurteil ausgesprochene Abweisung ihrer in ers-
ter Instanz nur noch auf asyl- und ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz
nach § 51 Abs. 1, § 53 AuslG (jetzt § 60 AufenthG) gerichteten Klage auch in-
soweit, als das Verwaltungsgericht ihr asylrechtlichen Abschiebungsschutz
nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) zugesprochen hatte, weil
sie in Deutschland zum christlichen Glauben übergetreten ist und deshalb bei
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einer Rückkehr in den Iran verfolgt würde. Die in erster Instanz mit dem Verfah-
ren der Klägerin verbundene Klage ihrer Tochter (der damaligen Klägerin zu 2),
die nicht zum christlichen Glauben übergetreten ist, hat das Verwaltungsgericht
rechtskräftig insgesamt als unbegründet abgewiesen.
1. Die Beschwerde meint zunächst, „die grundsätzliche Bedeutung der Angele-
genheit und die Fehlerhaftigkeit des angegriffenen Urteils“ ergebe sich daraus,
dass sich die Klägerin in Deutschland der „internationalen Gemeinde Christi“,
einer freikirchlichen evangelischen Gemeinschaft, angeschlossen habe, die im
Iran „nicht als offizielle christliche Religion“ anerkannt werde, die vom Gesetz
geschützt sei (Beschwerdebegründung unter 5., S. 4 f.). Der Verwaltungsge-
richtshof habe in seiner Entscheidung „nicht ausreichend zwischen der im Iran
akzeptierten armenischen christlichen Kirche bzw. der katholischen Kirche und
freikirchlichen evangelischen Gemeinden unterschieden.“ Damit wird eine klä-
rungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage im Sinne von § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt. Vielmehr wendet sich die Beschwerde mit ihrem
Vorbringen im Gewande der Grundsatzrüge lediglich gegen die dem Tatsa-
chengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts und
seine Gefahrenprognose, ohne eine rechtliche Grundsatzfrage zu benennen
und ohne einen insoweit noch denkbaren Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) - etwa der verfahrensfehlerhaft unterlassenen weiteren Aufklärung - zu
bezeichnen.
2. Die Beschwerde macht weiter geltend, es sei von grundsätzlicher Bedeutung,
„ob der Begriff der Religion in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Lichte von Art. 10
Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (des Rates vom 29. April 2004, ABl
der EU 2004 L Nr. 304, S. 12) auch religiöse Betätigungen im öffentlichen
Bereich erfasst“ bzw. „ob durch die Richtlinie 2004/83/EG auch schon für die
Übergangszeit bis 10.10.2006 der Begriff des religiösen Existenzminimums …
auch die religiöse Betätigung im öffentlichen Bereich erfasst“ (Beschwerde-
begründung unter 6., S. 5 ff.). Sie führt hierzu aus, der VGH habe diese Frage
mit der Erwägung verneint, dass sich ein weitergehender Schutzanspruch des
Einzelnen im Hinblick auf eine über den Kernbereich der Religionsausübung
hinausgehende Glaubensbetätigung insbesondere auch nicht aus der ange-
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führten Richtlinie ergebe. Der Verwaltungsgerichtshof verkenne mit der „Ver-
neinung der Berücksichtigung der Umsetzung bis zum 10.10.2006 die entspre-
chenden europarechtlichen Anforderungen und die anzuwendende Ausle-
gungsregelung betreffend § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.“ Das ergebe sich in
Anwendung der Maßstäbe aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften - EuGH - (Urteile vom 24. Oktober 1996,
Rs C 72/95, vom 13. Oktober 1990, Rs C 106/89 und vom 18.12.1997,
Rs C 129/96) zu den Pflichten der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von
Richtlinien. Bei Bejahung der bezeichneten Grundsatzfrage „würde die von der
Klägerin in Anspruch genommene öffentliche Religionsausübung und Missio-
nierung im Iran auch unter den Schutzbereich von § 60 AufenthG fallen.“
Auch mit diesem Vorbringen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssa-
che im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargetan. Insbesondere zeigt
die Beschwerde nicht auf, warum die in der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts sowohl zu
Art. 16a GG als auch zu § 51 Abs. 1 AuslG geklärte Frage, wann ein
Eingriff in die Religionsfreiheit, deren Schutzbereich auch die öffentliche
Ausübung des Glaubens umfasst, vorliegt (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom
20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 m.w.N.), im Fall der
Klägerin erneut klärungsbedürftig geworden sein soll. Die Beschwerde befasst
sich auch nicht damit, inwiefern sich ein solcher Klärungsbedarf aus der Neu-
fassung des § 60 Abs. 1 AufenthG im Vergleich zu dem früheren § 51 Abs. 1
AuslG ergeben soll, und nimmt auch nicht in den Blick, dass schon die bisherige
Rechtsprechung die Anforderungen der - nunmehr vom Gesetz ausdrücklich in
Bezug genommenen - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) berücksichtigt hat
(vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. S. 22). Dass sich „im Lichte“ der Richtli-
nie 2004/83/EG nunmehr etwas Abweichendes ergeben soll, behauptet die Be-
schwerde zwar, führt es aber auch nicht ansatzweise unter Auseinandersetzung
mit der bisherigen Rechtsprechung näher aus. Ob die der Sache nach zugleich
mittelbar als klärungsbedürftig angesprochene Frage, ob das Berufungsgericht
Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG bereits vor Ablauf der
Umsetzungsfrist (und in welcher Weise) hätte beachten müssen, hinreichend
bezeichnet ist, kann dahingestellt bleiben. Sie würde sich in dem angestrebten
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Revisionsverfahren nämlich nicht selbständig, sondern nur im Zusammenhang
- als Vorfrage - mit der Auslegung des § 60 Abs. 1 AufenthG stellen. Ebenfalls
offen bleiben kann, ob die Beschwerde mit der pauschalen Behauptung in der
Beschwerdeschrift, die Klägerin wolle auch im Iran ihren Glauben öffentlich
ausüben und missionieren, ausreichend darlegt, dass sich aus Art. 10 Abs. 1
Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG nicht nur allgemein ein weitergehender
Flüchtlingsschutz, sondern in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG auch und
gerade für die Klägerin in Bezug auf eine künftige religiöse Betätigung nach
Rückkehr in den Iran ein Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling ergeben soll,
wenn man - wie in dem erstrebten Revisionsverfahren geboten (§ 137 Abs. 2
VwGO) - die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen
(Verfolgungsvortrag und Verfolgungsprognose) zugrunde legt.
3. Die Beschwerde enthält keine Zulassungsrügen hinsichtlich der Ablehnung
des hilfsweise beantragten aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach
§ 60 Abs. 2, 5 und 7 AufenthG (BA S. 11).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Hund Richter Prof. Dr. Dörig
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