Urteil des BVerwG vom 12.06.2003

Berg, Republik Aserbaidschan, Auskunft, Herkunft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 123.03
OVG 1 L 103/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juni 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2002 wird verworfen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Beigeladenen ist unzulässig. Sie beruft sich zwar auf die Revisions-
gründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der
Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3
i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO), legt aber die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer
Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt (vgl. auch den den
Bevollmächtigten des Beigeladenen und den übrigen Verfahrensbeteiligten bekannten
Beschluss vom 11. April 2003 - BVerwG 1 B 82.03).
Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob Berg-Karabach für aserbaid-
schanische Staatsangehörige aserbaidschanischer Abstammung ohne familiäre oder andere
Kontakte in Berg-Karabach eine zumutbare inländische Fluchtalternative darstellt" (Be-
schwerdebegründung S. 1). Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage
des revisiblen Rechts aufgeworfen wird. Eine derartige Frage lässt sich der Beschwerde
nicht entnehmen. Die von ihr aufgeworfene Frage, ob das Gebiet von Berg-Karabach eine
geeignete Fluchtalternative darstellt, zielt nicht auf eine bestimmte klärungsfähige Rechtsfra-
ge, sondern betrifft die den Tatsachengerichten vorbehaltene Feststellung und Würdigung
der tatsächlichen Verhältnisse in Berg-Karabach. Dies gilt auch für die von der Beschwerde
hierzu angesprochenen weiteren Fragen, ob Personen nicht karabachischer Herkunft wie der
Beigeladene in Berg-Karabach aufgenommen werden (Beschwerdebegründung S. 3) und ob
ihnen im Falle ihrer Aufnahme die Gefahr droht, zu militärischen Kriegseinsätzen herange-
zogen zu werden (Beschwerdebegründung S. 2). Auch mit der Frage, "ob Berg-Karabach
asylrechtlich als zu Aserbaidschan gehörendes Inland zählt" (Beschwerdebegründung S. 1),
wendet sich die Beschwerde - wie die weiteren Ausführungen hierzu zeigen - in erster Linie
gegen die tatrichterliche Einschätzung der politischen Verhältnisse. Sie stellt nicht in Frage,
dass Berg-Karabach völkerrechtlich zur Republik Aserbaidschan gehört, meint aber, dass für
die asylrechtliche Beurteilung allein die faktische Verfestigung der staatlichen Verhältnisse
maßgeblich sei (Beschwerdebegründung S. 2). Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtsfrage
nicht aufgezeigt.
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Die Beschwerde hält weiter für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob bei einem Fehlen des
wirtschaftlichen Existenzminimums in Berg-Karabach Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1
AuslG mit der Begründung verwehrt werden kann, dass auch in Aserbaidschan das wirt-
schaftliche Existenzminimum nicht gesichert wäre" (Beschwerdebegründung S. 9).
Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich
sein soll. Dazu hätte aber Veranlassung bestanden, da das Berufungsurteil darauf beruht,
dass "der Beigeladene in Berg-Karabach vor einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung hin-
reichend sicher" ist (UA S. 17). Die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum unterstell-
ten Fehlen des Existenzminimums erfolgen nur hilfsweise. Das Oberverwaltungsgericht
macht aber deutlich, dass seine Erörterungen eine wirtschaftliche Notlage - "entgegen der
Auffassung des Senats" – lediglich unterstellen (UA S. 21).
Die Beschwerde sieht das rechtliche Gehör des Beigeladenen dadurch als verletzt an, dass
seinen Beweisanträgen auf Einholung von Auskünften zur Gefahr von Übergriffen der kara-
bachischen Bevölkerung gegen ihn wegen der aserbaidschanischen Herkunft seines Vaters
und zum fehlenden staatlichen Schutz hiergegen nicht entsprochen wurde. Ergänzend zur
Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Mai 2002 hätte vom Auswärtigen Amt klargestellt
werden müssen, ob sich die Auskunft auch auf Personen beziehe, deren Vater aserbaid-
schanischer Herkunft sei (Beschwerdebegründung S. 5). Die Beschwerde zeigt nicht auf,
dass das Berufungsgericht das ihm bei der Entscheidung über die Einholung ergänzender
amtlicher Auskünfte grundsätzlich zustehende tatrichterliche Ermessen (vgl. dazu etwa Be-
schluss vom 27. März 2000 - BVerwG 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60 =
InfAuslR 2000, 412) mit dem Hinweis auf die bereits beigezogenen Erkenntnisquellen feh-
lerhaft ausgeübt habe. Das Berufungsgericht hat in den Entscheidungsgründen u.a. darge-
legt, dass nach der zitierten Auskunft des Auswärtigen Amtes Personen armenischer Prä-
gung wie der Beigeladene bei Bekanntwerden einer (halb-)aserbaidschanischen Herkunft
nicht mit staatlichen Übergriffen zu rechnen hätten. Dem Auswärtigen Amt seien keine Fälle
bekannt, wonach eventuelle Übergriffe Dritter nach Stellung einer Strafanzeige nicht von
staatlicher Stelle verfolgt oder geahndet wurden. Die Befürchtung des Beigeladenen, dass
sich die Auskunft nur auf Personen beziehe, deren Mutter Aserbaidschanerin sei, treffe nicht
zu. Dies ergebe sich bereits aus dem Klammersatz im vorletzten Absatz, der deutlich mache,
dass die Auskunft sogar armenisch geprägte Personen betreffe, die "vollaserbaidscha-
nischer Herkunft" seien (UA S. 14). Die Beschwerde setzt sich mit dieser Argumentation des
Berufungsgerichts nicht auseinander und legt nicht dar, inwiefern vor diesem Hintergrund
weitergehender Klärungsbedarf bestehen soll. Hierzu hätte auch deshalb Veranlassung be-
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standen, weil das Berufungsgericht ergänzend auf Auskünfte der Deutsch-Armenischen Ge-
sellschaft sowie von Dr. Koutcharian verweist, die zum gleichen Ergebnis kommen (UA
S. 15).
Die Beschwerde sieht in weiteren Punkten eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungs-
pflicht (Beschwerdebegründung S. 6 ff.), legt jedoch nicht - wie erforderlich - dar, dass es für
die Entscheidung des Rechtsstreits unter Zugrundelegung der insoweit maßgeblichen Auf-
fassung des Berufungsgerichts auf die als aufklärungsbedürftig bezeichneten Tatsachen
ankommt. Die Beschwerde rügt zunächst, das Gericht gehe davon aus, dass abgelehnte
Asylbewerber bei ihrer Rückkehr nach Berg-Karabach über nicht unerhebliche Barmittel ver-
fügten, es habe den Beigeladenen, der vermögenslos sei, aber nicht zu seinen Vermögens-
verhältnissen befragt. Dies stelle einen Aufklärungsmangel und eine Verletzung des rechtli-
chen Gehörs dar (Beschwerdebegründung S. 6). Die Beschwerde rügt weiter, es fehle auch
an gerichtlichen Ermittlungen, über welche Beträge Rückkehrer aus Deutschland verfügen
müssten, um sich eine sichere Existenz in Berg-Karabach aufzubauen (Beschwerdebegrün-
dung S. 7). Die Beschwerde legt jedoch nicht dar, dass es auf entsprechende Sachverhalts-
ermittlungen für die Entscheidung des Rechtsstreits überhaupt ankommt. Hierzu hätte insbe-
sondere deshalb Veranlassung bestanden, weil das Berufungsgericht - die Entscheidung
selbständig tragend - das wirtschaftliche Existenzminimum für Rückkehrer nach Berg-
Karabach allgemein schon deshalb als gesichert sieht, weil Überwiegendes dafür spreche,
dass arbeitsfähige Neuankömmlinge in der Lage sein werden, in der karabachischen Ar-
beitswelt Fuß zu fassen (UA S. 20). Das Gericht verweist insoweit auf die verhältnismäßig
niedrige Arbeitslosenquote (6,5 %) und die insgesamt positive Zukunftsprognose hinsichtlich
der wirtschaftlichen Entwicklung. Das gelte angesichts der vielfältigen Gebäudeschäden ins-
besondere für den Beigeladenen, der früher als Maurer gearbeitet habe.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b
Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig