Urteil des BVerwG vom 05.01.2007
Sicherheit, Ausstellung, Rüge, Hund
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 121.06 (1 PKH 53.06)
VGH 3 UE 176/04.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Januar 2007
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter
beschlossen:
Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozess-
kostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Gunther Specht,
35037 Marburg, beigeordnet.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 18. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor
(§ 166 VwGO, §§ 114 ff., 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) und auf Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde
hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde rügt eine Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 9. September 1997 - BVerwG 9 C 43.96 - (BVerwGE 105, 204
<211 f.>), ohne allerdings aus dem längeren Zitat der Entscheidungsgründe
einen einzelnen Rechtssatz präzise zu benennen oder herauszuarbeiten und
ihm einen entgegengesetzten, sich in einen rechtsgrundsätzlichen Widerspruch
hierzu setzenden Rechtssatz in der Entscheidung des Berufungsgerichts ge-
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genüberzustellen. Insoweit fehlt es bereits an der ordnungsgemäßen Darlegung
der behaupteten Divergenz nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
a) Die Beschwerde wendet sich mit ihrer Rüge zunächst dagegen (Beschwer-
debegründung S. 1 und S. 2), dass das Berufungsgericht es habe dahinstehen
lassen, ob der Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise eine inländische Fluchtalter-
native gehabt haben könnte, da er heute eine solche Ausweichmöglichkeit im
Endeffekt nicht hätte. Sie macht hierzu geltend, die Frage der Vorverfolgung
könne nur dann offengelassen werden, wenn für die Gegenwart eine beachtli-
che Wahrscheinlichkeit landesweiter Verfolgung oder aber eine beachtlich
wahrscheinliche regionale Verfolgung ohne zumutbare inländische Fluchtalter-
native anzunehmen sei. Damit zeigt die Beschwerde lediglich eine ihrer Ansicht
nach fehlerhafte Rechtsanwendung auf, aber keinen Rechtssatzwiderspruch
wie für die Divergenzrüge erforderlich. Das gilt in gleicher Weise, soweit sie in
diesem Zusammenhang ferner rügt, es entspreche auch „nicht den Vorgaben
des Bundesverwaltungsgerichts, regionale und örtlich begrenzte Gruppenver-
folgung, so wie es das Berufungsgericht ganz offensichtlich tut, gleichzusetzen“
(Beschwerdebegründung S. 2 am Ende).
Zur Vermeidung von Missverständnissen bemerkt der Senat hierzu allerdings,
dass das Berufungsurteil insoweit tatsächlich unklar ist und die Prüfung einer in-
ländischen Fluchtalternative für den Fall der Rückkehr des Klägers an sich im
Widerspruch zur Annahme des Verwaltungsgerichtshofs steht, der Kläger sei
als Tschetschene in Tschetschenien einer (dann wohl lediglich „örtlich begrenz-
ten“) Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen und bis heute ausgesetzt (UA
S. 14/15), während der Verwaltungsgerichtshof an anderer Stelle dagegen von
einer „regionalen“ Gruppenverfolgung aller ethnischen Tschetschenen in
Tschetschenien auszugehen (UA S. 17 Abs. 1) oder beides gleichzusetzen (UA
S. 11 Abs. 2) scheint (vgl. hierzu auch den Beschluss des Senats vom 4. Janu-
ar 2007 - BVerwG 1 B 47.06 -). Darin mag zwar ein Rechtsfehler liegen, eine
ausdrückliche oder konkludente Abweichung von der zitierten Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung
selbst ausdrücklich zugrunde gelegt hat (UA S. 11), ist indessen von der Be-
schwerde jedenfalls nicht dargetan.
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b) Soweit die Beschwerde eine weitere Abweichung von der (angeführten)
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geltend macht, weil das Beru-
fungsgericht angenommen habe, eine inländische Fluchtalternative setze den
legalen Zugang zum Arbeitsmarkt und diversen Sozialleistungen wie Bildungs-
einrichtungen voraus (Beschwerdebegründung S. 4), ist nicht dargetan, dass
die Entscheidung hierauf beruhen kann. Das Berufungsgericht hat nämlich eine
inländische Fluchtalternative an allen anderen Orten der Russischen Föderation
zusätzlich mit der Erwägung ausgeschlossen (UA S. 35), dass der Kläger nach
derzeit geltender Rechtslage gezwungen wäre, sich vor einer Ansiedlung am
Ort der inländischen Fluchtalternative vorübergehend nach Tschetschenien zu
begeben, um dort einen gültigen Auslandspass zu beantragen, der Voraus-
setzung nicht nur für eine Registrierung am Ort der inländischen Fluchtalterna-
tive sei, sondern „auch im Übrigen für einen zumutbaren Aufenthalt dort, da
Tschetschenen ohne gültige Ausweispapiere verstärkt damit rechnen müssen,
anlässlich stattfindender Polizeikontrollen verhaftet und ggf. in asylrelevanter
Weise behandelt zu werden“. Hierauf geht die Beschwerde im vorliegenden
Zusammenhang nicht - wie für die ordnungsgemäße Darlegung einer entschei-
dungserheblichen Divergenz erforderlich - ein.
c) Die Beschwerde konstruiert eine Abweichung schließlich noch daraus, dass
das Berufungsgericht angenommen habe, es sei dem Kläger angesichts der
fortbestehenden Gefahrenlage in Tschetschenien nicht zumutbar, auch nur für
wenige Tage dorthin zwecks der Ausstellung eines Inlandspasses zurückzukeh-
ren. Dadurch offenbare es einen Grundsatz zur hinreichenden Sicherheit vor
Verfolgung, der nicht im Einklang mit der (zitierten) Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts zum Maßstab der hinreichenden Sicherheit stehe.
Mit dieser Rüge wendet sich die Beschwerde letztlich lediglich im Gewande der
Divergenzrüge gegen die dem Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und
Würdigung des Sachverhalts, ohne die behauptete Maßstabsabweichung dar-
zutun. Die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, dass dem Kläger nicht
zugemutet werden kann, auch nur vorübergehend zur Ausstellung eines In-
landspasses nach Tschetschenien zurückzukehren, „da nicht mit der erforderli-
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chen Gewissheit ausgeschlossen werden kann, dass er dort keinen asylrele-
vanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein“ werde (UA S. 36 f.), lassen
einen grundsätzlichen Maßstabswiderspruch im Hinblick auf den herabgestuften
Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Übrigen auch nicht erkennen.
2. Soweit die Beschwerde ferner eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeu-
tung darin sehen will (Beschwerdebegründung S. 5/6), „ob oder unter welchen
grundsätzlichen Voraussetzungen eine auch nur kurzzeitige Rückkehr ins Ver-
folgungsgebiet im Hinblick auf das Kriterium der notwendigen Sicherheit vor
Verfolgung im Rahmen einer anzunehmenden inländischen Fluchtalternative
‚unzumutbar’ sein könnte“, wird eine erneute oder weiterführende Klärungsbe-
dürftigkeit des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs der hinreichenden
Sicherheit nicht aufgezeigt. Auch insoweit wendet sich die Beschwerde letztlich
lediglich im Gewande der Grundsatzrüge gegen die von ihr als falsch bekämpf-
te tatrichterliche Gefahrenprognose.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Eckertz-Höfer Hund Richter
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