Urteil des BVerwG vom 15.02.2006

Genfer Flüchtlingskonvention, Änderung der Verhältnisse, Widerruf, Anerkennung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 120.05
VGH 23 B 05.30393
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Februar 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und
R i c h t e r sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 13. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die grund-
sätzliche Bedeutung der Rechtssache wird nicht den Anforderungen des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt
voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen
wird. Eine solche zeigt die Beschwerde nicht auf. Die Beschwerde macht geltend,
grundsätzliche Bedeutung habe "die Frage der Vorwirkung der Richtlinie 2004/83/EG
des Rates vom 29.04.04 auf die Rechtmäßigkeit von Behördenentscheidungen der
BRD". Grundsätzlich bedeutsam sei darüber hinaus "die Frage, ob auch der Widerruf
nach § 73 Abs. 1 AsylVfG unter dem Lichte des Art. 1 A Nr. 2 GFK und des Art. 1 C
Nr. 5 Satz 1 GFK steht und welchen Niederschlag diese Tatsache ggf. bei der
Anwendung des § 73 AsylVfG in Behördenentscheidungen finden muss". Es stelle
sich die Frage, "ob (gemeint: nicht) allein der Erwerb der Flüchtlingseigenschaft unter
der Definitionsgewalt der Genfer Flüchtlingskonvention steht, sondern eben auch
deren Verlust und deshalb in den § 73 AsylVfG der Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK
hineinzulesen ist". Es sei insoweit zu unterstellen, dass es dem Willen des deutschen
Gesetzgebers entspreche, richtlinienkonformes Recht zu schaffen bzw. dass
Rechtsvorschriften richtlinienkonform ausgelegt würden.
Damit und mit dem weiteren Beschwerdevorbringen wird eine klärungsfähige und
klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen ent-
sprechenden Weise dargelegt. Soweit die Beschwerde die Frage der Vorwirkung der
Richtlinie 2004/83/EG für klärungsbedürftig hält, zeigt sie nicht - wie erforderlich - auf,
inwiefern das Bundesverwaltungsgericht in einem Revisionsverfahren aufgrund der
von der Vorinstanz festgestellten und nicht mit beachtlichen Rügen angegriffenen
Tatsachen diese Frage beantworten müsste. Das Berufungsgericht hat eine
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grundlegende Änderung der Verhältnisse im Irak bejaht; die Klägerin habe wegen
dieser Änderung bei einer Rückkehr in den Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in
absehbarer Zukunft keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1
AufenthG. Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, inwiefern sich insoweit bei An-
nahme einer Vorwirkung der Richtlinie 2004/83/EG in einem Revisionsverfahren ein
für die Klägerin günstigeres Ergebnis ergeben könnte. Soweit sich die Beschwerde
der Sache nach in der Art einer Berufungsbegründung gegen die ihrer Ansicht nach
unrichtige tatsächliche und rechtliche Würdigung in dem angegriffenen Urteil wendet,
kann sie damit die Zulassung der Revision nicht erreichen.
Soweit die Beschwerde für klärungsbedürftig hält, ob bzw. inwieweit die erwähnten
Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention im Rahmen von § 73 Abs. 1
AsylVfG zu berücksichtigen sind, kann dahinstehen, ob sie mit ihrem Vorbringen eine
konkrete entscheidungserhebliche rechtsgrundsätzliche Frage hinreichend aufzeigt.
Denn jedenfalls ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in-
zwischen rechtsgrundsätzlich geklärt, wie § 73 Abs. 1 AsylVfG auszulegen und an-
zuwenden ist (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - zur Veröffent-
lichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmt), d.h. unter welchen
Voraussetzungen allgemein ein Widerruf zulässig ist. Danach ist die Asyl- und
Flüchtlingsanerkennung insbesondere zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt
der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur
vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in sei-
nen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfol-
gungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen
ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Diese Vorschrift ent-
spricht ihrem Inhalt nach Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK. Der "Wegfall der Umstände" im
Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, aufgrund derer die Anerkennung erfolgte, meint
- ebenso im Rahmen von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - eine nachträgliche erhebliche
und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen
Verhältnisse. Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine
Rückkehr unzumutbar ist, ist danach beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsan-
erkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen, sondern im Rahmen der all-
gemeinen ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu berücksich-
tigen. Dass das Berufungsgericht hiervon abweichende Maßstäbe gebildet und an-
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gewandt hat, die eine Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt einer nach-
träglichen Divergenz gebieten könnten, lässt sich den Ausführungen der Beschwerde
ebenso wenig entnehmen, wie ein über die genannte Grundsatzentscheidung hi-
nausgehender Klärungsbedarf. Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern insoweit ein
weitergehender oder erneuter Klärungsbedarf bestehen soll. Im Übrigen argumentiert
die Beschwerde widersprüchlich, indem sie einerseits ausführt, die hier
maßgeblichen Rechtsvorschriften seien (schon jetzt) "richtlinienkonform" auszulegen,
andererseits aber von der "künftig zu beachtenden Richtlinie 2004/83/EG" spricht
(Beschwerdebegründung S. 2 Mitte und unten, S. 3 oben).
Die Beschwerde hält weiter die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig, ob
§ 73 Abs. 2 a AsylVfG auf Fälle anwendbar ist, in denen der Widerruf "vor der Ge-
setzesnovellierung" (d.h. vor Inkrafttreten der genannten Bestimmung am 1. Januar
2005) erfolgt ist. Auch insoweit führt die Beschwerde nicht auf eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich in dem er-
wähnten Urteil vom 1. November 2005 bereits entschieden, dass § 73 Abs. 2 a
AsylVfG auf vor dem 1. Januar 2005 ergangene Widerrufsentscheidungen keine
Anwendung findet. Das neu eingeführte mehrstufige Verfahren stellt danach eine
zukunftsbezogene Regelung dar. § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG erteilt mit der Formu-
lierung "die Prüfung … hat spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfecht-
barkeit der Entscheidung zu erfolgen" einen bindenden Auftrag an die Behörde, der
sich lediglich auf Fälle bezieht, in denen bei Inkrafttreten der Vorschrift weder ein
Widerruf noch eine Rücknahme der Anerkennung erfolgt ist. Der erkennbare Zu-
sammenhang mit dem ebenfalls am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen § 26
AufenthG verdeutlicht, dass es sich bei der Prüfungs- und Mitteilungspflicht des § 73
Abs. 2 a Satz 1 und 2 AsylVfG, an die die nach Satz 3 zu treffende Ermessensent-
scheidung anknüpft, um einen in die Zukunft gerichteten Auftrag an das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge handelt. Auch insoweit macht die Beschwerde keine
nachträgliche Divergenz und keinen weitergehenden Klärungsbedarf ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
Satz 1 RVG.
Dr. Mallmann Richter Beck
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