Urteil des BVerwG vom 14.09.2006

Genfer Flüchtlingskonvention, Irak, Wiederaufleben, Widerruf

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 117.06 (1 PKH 41.06)
OVG 9 A 3536/05.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. September 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Prof. Dr. Dörig
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Juni 2006 wird
verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil
seine Beschwerde - wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt -
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Zulassungs-
gründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Divergenz
nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechen-
den Weise dar.
1. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulas-
sung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO.
a) Die Beschwerde hält zunächst die Frage für grundsätzlich bedeutsam, wel-
cher Prognosemaßstab zur Verfolgungsgefahr beim Widerruf der Asyl- und
Flüchtlingsanerkennung zugrunde zu legen ist (Beschwerdebegründung S. 2).
Sie legt allerdings nicht - wie erforderlich - die Entscheidungserheblichkeit der
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aufgeworfenen Frage dar. Das Berufungsgericht ist zu dem Ergebnis gekom-
men, dass der Kläger vor einem Wiederaufleben der Verfolgung durch das frü-
here Regime im Irak und vor einer gleichartigen Verfolgung im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend sicher ist (UA
S. 8) und ihm auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus
anderen Gründen droht (UA S. 10 ff.). Die Beschwerde legt nicht schlüssig dar,
inwiefern dem Kläger bei Verwendung eines anderen Prognosemaßstabs nach
den - von der Beschwerde nicht mit durchgreifenden Zulassungsrügen angegrif-
fenen - tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts Verfolgung im Sin-
ne von § 60 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AufenthG drohen könnte. Die Beschwerde er-
wähnt zwar die „höchst instabile Lage im Irak“, die mangelnde Vorhersehbarkeit
„welche Regierungsform unter welcher religiösen Führung den Irak in Zukunft
beherrschen“ werde und ob die Regierung schutzfähig und -willig „in Bezug auf
sämtliche verschiedenen Religionen und Ethnien“ sein werde (Beschwerdebe-
gründung S. 3). Damit wird aber eine dem Kläger drohende Verfolgung nicht
hinreichend substantiiert dargelegt.
Im Übrigen hat der Senat die Frage des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei Wi-
derrufsentscheidungen nach § 73 AsylVfG durch sein Urteil vom 18. Juli 2006
(BVerwG 1 C 15.05 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung
BVerwGE vorgesehen) weiter geklärt. Wie die Beschwerde zutreffend ausführt,
wurde in dem Urteil vom 1. November 2005 noch offen gelassen, welcher
Prognosemaßstab beim Widerruf gilt, wenn für die Zukunft befürchtete Verfol-
gungsmaßnahmen keinerlei Verknüpfung mehr mit den früheren aufweisen, die
zur Anerkennung geführt haben (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG
1 C 21.04 - DVBl 2006, 511, Rn. 17). Der Senat wendet nach seinem Urteil vom
18. Juli 2006 nunmehr den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit an,
wenn dem Betroffenen keine Verfolgungswiederholung im engeren Sinne droht,
sondern eine gänzlich neue und andersartige Verfolgung, die in keinem inneren
Zusammenhang mit der früheren mehr steht. Das entspricht den Grundsätzen
der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Anwend-
barkeit des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs bei erlittener Vorver-
folgung, die voraussetzt, dass ein innerer Zusammenhang zwischen erlittener
Vorverfolgung und der mit dem Asylbegehren geltend gemachten Gefahr erneu-
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ter Verfolgung dergestalt besteht, dass bei Rückkehr mit einem Wiederaufleben
der ursprünglichen Verfolgung zu rechnen ist oder das erhöhte Risiko einer
gleichartigen Verfolgung besteht
(
vgl. insbesondere Urteil vom 18. Februar
1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 Leitsatz
).
b) Die Beschwerde hält weiter die Frage für klärungsbedürftig, unter welchen
Voraussetzungen ein Zusammenhang „zwischen der seinerzeit erfolgten Ver-
folgung und der heutigen Gefahr der Verfolgung“ besteht (Beschwerdebegrün-
dung S. 5). Auch insoweit fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheb-
lichkeit der Frage, denn die Beschwerde zeigt keine Verfolgung im Sinne von
§ 60 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AufenthG auf, die dem Kläger nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts droht. Im Übrigen ist - wie bereits ausgeführt - durch das
Urteil des Senats vom 18. Juli 2006 geklärt, dass es an einem solchen Zusam-
menhang fehlt, wenn dem Kläger eine gänzlich neue und andersartige Verfol-
gung droht, die keine innere Verbindung mit der früheren mehr aufweist, wäh-
rend ein Zusammenhang zu bejahen ist, wenn ein Wiederaufleben der ur-
sprünglichen Verfolgung oder das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung
droht. Einen weitergehenden oder erneuten Klärungsbedarf in dieser Frage
zeigt die Beschwerde nicht auf.
c) Soweit der Kläger in seinen Schriftsätzen vom 29. August 2006 und 1. Sep-
tember 2006 die weitere Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, „inwie-
weit die Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) die Auslegung des
innerstaatlichen Rechts bestimmen“, soweit es um „die konkreten Vorausset-
zungen für den Widerruf nach den Statuten des Flüchtlingsrechts“ geht, hat er
zum einen die Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht gewahrt. Im Übrigen
fehlt es aber auch an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der aufge-
worfenen Frage. Denn die Beschwerde zeigt nicht auf, in Bezug auf welche
konkreten Voraussetzungen der Widerrufsentscheidung zu Lasten des Klägers
es auf die Heranziehung der Genfer Flüchtlingskonvention ankommen soll und
inwiefern für diese rechtlicher Klärungsbedarf besteht.
2. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt auch nicht die Zulassung der Revisi-
on wegen einer Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Denn die Beschwer-
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de zeigt weder einen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts auf, von dem
das Berufungsgericht abgewichen ist, noch legt es die Entscheidungserheblich-
keit der behaupteten Abweichung dar. In dem in Bezug genommenen Urteil
vom 1. November 2005 hat der Senat jedenfalls keinen Rechtssatz des Inhalts
aufgestellt, die Richtlinie 2004/83/EG sei bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist
anwendbar. Auch wird nicht erkennbar, welche Vorschrift in der Richtlinie für
welche zur Entscheidung anstehende Rechtsfrage von Bedeutung sein soll. Mit
einer behaupteten Abweichung, deren Bedeutung für den zu entscheidenden
Rechtsstreit nicht aufgezeigt wird, lässt sich eine Revisionszulassung nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht erreichen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig
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