Urteil des BVerwG vom 06.03.2007

Genfer Flüchtlingskonvention, Widerruf, Bundesamt, Sicherheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 110.06 (1 PKH 36.06)
OVG 9 A 3989/05.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. März 2007
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2006 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil
die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine
Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die allein auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde hält die Fragen für grundsätzlich bedeutsam,
ob in sog. Altfällen eine direkte oder entsprechende An-
wendung des § 73 Abs. 2a AsylVfG 2005 in der Art gebo-
ten ist, dass nach Ablauf von drei Jahren nach Unan-
fechtbarkeit der positiven Statusentscheidung ein Widerruf
nur noch im Wege der Ermessensentscheidung möglich
ist,
ob sich die Betroffenen auf einen Verstoß gegen § 73
Abs. 2a AsylVfG auch berufen können, weil die Regelung
nicht lediglich im öffentlichen Interesse besteht, sondern
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auch den Interessen der Asylberechtigten und anerkann-
ten Flüchtlinge dient,
und ob § 73 Abs. 2a AsylVfG 2005 aufgrund des § 77
Abs. 1 AsylVfG und mangels einer hiervon abweichenden
Übergangsvorschrift im Zuwanderungsgesetz auch auf
solche Widerrufsverfahren anwendbar ist, in denen das
Bundesamt vor dem 01.01.2005 über den Widerruf ent-
schieden hat und diese Entscheidung im Zeitpunkt der
Rechtsänderung noch nicht bestandskräftig geworden ist.
Die zuletzt genannte Frage, kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil
sie durch das Urteil des Senats vom 1. November 2005 (- BVerwG 1 C 21.04 -
BVerwGE 124, 276) bereits rechtsgrundsätzlich entschieden ist. Danach findet
§ 73 Abs. 2a AsylVfG auf vor dem 1. Januar 2005 ergangene Widerrufsent-
scheidungen keine Anwendung (a.a.O. Leitsatz 4 und S. 291 f.). Die Vorschrift
bezieht sich mit anderen Worten jedenfalls nicht auf Fälle wie denen des Klä-
gers, in denen das Bundesamt bereits vor dem 1. Januar 2005 einen Wider-
rufsbescheid erlassen hat. Dass eine gerichtliche Entscheidung im Klagever-
fahren gegen den Widerruf erst nach dem 1. Januar 2005 ergeht und der Wi-
derrufsbescheid zuvor noch nicht bestandskräftig war, steht dem nicht entge-
gen. § 77 Abs. 1 AsylVfG, nach dem in asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten
das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung abstellt, ändert nichts daran, dass § 73 Abs. 2a AsylVfG nach sei-
nem Regelungsgehalt vor dem 1. Januar 2005 ergangene Widerrufsentschei-
dungen nicht erfasst. Einen weitergehenden Klärungsbedarf in dieser Frage
zeigt die Beschwerde nicht auf.
Mangels Anwendbarkeit von § 73 Abs. 2a AsylVfG im Falle des Klägers würden
sich die oben bezeichneten weiteren zwei Fragen in dem angestrebten Revisi-
onsverfahren nicht stellen.
2. Die Beschwerde wirft ferner als grundsätzlich bedeutsam die Fragen auf,
ob bei Anwendung des § 73 AsylVfG in der seit dem
1. Januar 2005 geltenden Fassung das Aufenthaltsgesetz
und die Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG vom
29.04.2004 zu berücksichtigen sind,
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ob die Frage, wann eine entscheidungserhebliche Verän-
derung der politischen Verhältnisse im Herkunftsstaat im
Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG 2005 angenommen
werden kann, in Übereinstimmung mit der sog. Wegfall-
der-Umstände-Klausel in Art. 1 C (5) der Genfer Flücht-
lingskonvention (GFK) zu beurteilen ist, die nunmehr wört-
lich von Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) der Qualifikationsrichtli-
nie übernommen worden ist, mit der Folge, dass die Fest-
stellung des Wegfalls der Verfolgungsgefahr einen grund-
legenden, stabilen und dauerhaften Charakter der Verän-
derungen voraussetzt, und die Feststellung damit nicht nur
spiegelbildlich auf den Wegfall der ursprünglich die
Verfolgung begründenden Umstände beschränkt ist,
und ob angesichts der hochgradig instabilen Lage im Her-
kunftsland von einer dauerhaften und stabilen Änderung
der politischen Verhältnisse in diesem Sinne gegenwärtig
ausgegangen werden kann, die es dem Kläger unzumut-
bar im Sinne der o.g. Schutzklausel macht, den Schutz
seines Herkunftslandes in Anspruch zu nehmen, da schon
seine physische Sicherheit im Falle der Rückkehr nicht
gewährleistet ist.
Mit diesen und ihren weiteren Ausführungen zeigt die Beschwerde die behaup-
tete grundsätzliche Bedeutung nicht auf. Dies hat der Senat in seinem Be-
schluss vom 22. Dezember 2006 - BVerwG 1 B 273.06 - zu entsprechenden
Grundsatzrügen der Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits im Einzelnen
ausgeführt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genom-
men. Ergänzend wird bemerkt, dass sich auch den Ausführungen der Be-
schwerde zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG
eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts, die
sich aufgrund der das Bundesverwaltungsgericht bindenden tatsächlichen
Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) in einem Revisi-
onsverfahren stellen würde, nicht entnehmen lässt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Beck
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