Urteil des BVerwG vom 20.04.2006

Widerruf, Bundesamt, Anerkennung, Abrede

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 109.05
OVG 13 A 547/04.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. April 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Richter
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. August
2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) sowie auf Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
Die Rechtssache hat nicht die von der Beschwerde behauptete grundsätzliche
Bedeutung. Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig, „ob ein Wi-
derruf der Asylanerkennung oder der Feststellung der Voraussetzung des § 51
AuslG nach § 73 Abs. 1 AsylVfG noch ‚unverzüglich’ im Sinne des § 73 Abs. 1
AsylVfG ist, wenn dieser erfolgt, nachdem sich die für die Verfolgungslage
maßgeblichen Verhältnisse bereits vor mehr als vier Jahren erheblich geändert
haben“. Handele die Behörde nicht unverzüglich, d.h. widerrufe sie nicht unver-
züglich, so müsse jedenfalls nach Ablauf mehrerer Jahre davon ausgegangen
werden, dass der Betroffene darauf vertrauen dürfe, dass die Behörde auch in
Zukunft den Widerruf nicht vornehmen werde. Unzweifelhaft diene der unver-
zügliche Widerruf auch dem Umstand, dass der Betroffene sich auf eine sich
etwa neu ergebene Situation einstellen könne. Dies könne er aufgrund aktueller
Geschehnisse dann, wenn der Widerruf unverzüglich erfolge. Soweit die Be-
schwerde mit diesem Vorbringen einen erneuten rechtsgrundsätzlichen Klä-
rungsbedarf zur Auslegung des Merkmals „unverzüglich“ in § 73 Abs. 1 Satz 1
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AsylVfG geltend macht, ist sie nicht begründet. Sie geht selbst davon aus, dass
in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist, dass
die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter
und als politischer Flüchtling nach § 73 Abs. 1 AsylVfG allein dem öffentlichen
Interesse an der alsbaldigen Beendigung der dem Ausländer nicht (mehr) zu-
stehenden Rechtsposition dient (vgl. etwa Beschluss vom 27. Juni 1997
- BVerwG 9 B 280.97 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 2 = NVwZ-RR 1997,
741). Deshalb kann ein als asylberechtigt Anerkannter nicht dadurch in seinen
Rechten verletzt werden, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(früher: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) einen
- ansonsten berechtigten - Widerruf nicht unverzüglich ausspricht (Beschluss
vom 12. Februar 1998 - BVerwG 9 B 654.97 - und Beschluss vom
25. Mai 1999 - BVerwG 9 B 288.99 - ). Der hiergegen von der Be-
schwerde erhobene, nicht näher begründete Einwand, die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts überzeuge nicht, sie wirke konstruiert und könne
nicht nachvollzogen werden, ändert nichts daran, dass die von der Beschwerde
aufgeworfene Frage höchstrichterlich geklärt ist, zumal der Senat seine Recht-
sprechung hierzu erst kürzlich bestätigt hat (Beschluss vom 4. November 2005
- BVerwG 1 B 58.05 - ). Einen darüber hinausgehenden erneuten Klä-
rungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
Soweit die Beschwerde ferner geltend macht, rechtsgrundsätzlich bedeutsam
sei auch die Frage, ob die Regelung des § 49 VwVfG, insbesondere die Jah-
resfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG gelte,
wenn der Widerruf der Asylanerkennung bzw. der Feststellung der Vorausset-
zungen des § 51 Abs. 1 AuslG - jetzt des § 60 Abs. 1 AufenthG - nicht unver-
züglich erfolgt sei, so fehlt es bereits an der ordnungsgemäßen Darlegung einer
Grundsatzfrage. Denn die Beschwerde macht nicht ersichtlich, dass sich diese
Frage in einem Revisionsverfahren in entscheidungserheblicher Weise stellen
würde. Sie zeigt nämlich nicht auf, dass die Jahresfrist, die nach der Recht-
sprechung des Senats frühestens nach einer Anhörung der Klägerin mit einer
angemessenen Frist zur Stellungnahme in Lauf gesetzt worden wäre (Urteil
vom 8. Mai 2003 - BVerwG 1 C 15.02 - BVerwGE 118, 174), vorliegend nicht
gewahrt wäre. Soweit die Beschwerde sich in diesem Zusammenhang, ohne
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eine konkrete Rechtsfrage zu bezeichnen, auf Art. 6 Abs. 1 EMRK bezieht,
übersieht sie, dass diese Regelung nach der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren wie dem der Klä-
gerin keine Anwendung findet (vgl. etwa Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG
1 C 15.01 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 58 m.w.N.; vgl. ferner EGMR, Urteil
vom 16. September 2004 - Nr. 11103/03 - Ghiban - NVwZ 2005, 1046).
Ebenfalls ohne Erfolg beanstandet die Beschwerde, das Berufungsgericht habe
wesentliches Vorbringen der Klägerin nicht in der gebotenen Weise zur Kennt-
nis genommen bzw. in Erwägung gezogen und damit den Anspruch der Kläge-
rin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (§ 138 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO
i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG). Diese Rüge ist bereits nicht ordnungsgemäß
dargelegt (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), soweit die Beschwerde pauschal
auf das gesamte erst- und zweitinstanzliche Vorbringen der Klägerin Bezug
nimmt. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang ausdrücklich (ledig-
lich) auf das Vorbringen der Klägerin zu ihrer Vergewaltigung und Schwanger-
schaft in Deutschland verweist, ist der Vorwurf, das Berufungsgericht habe die-
ses Vorbringen nicht hinreichend gewürdigt, unberechtigt. Denn das Beru-
fungsgericht ist sowohl im Tatbestand als auch in den Gründen seiner Ent-
scheidung mehrfach auf diesen Vortrag eingegangen (BA S. 3, 7 und 8).
Soweit die Beschwerde die inhaltliche Begründung des Widerrufs durch das
Bundesamt anspricht, macht sie keine Verfahrensmängel des Berufungsge-
richts geltend. Ein derartiger Verfahrensmangel wird auch nicht durch den Hin-
weis der Beschwerde (ordnungsgemäß) dargelegt, das Berufungsgericht habe
mehrfach auf den Widerrufsbescheid verwiesen. Im Zusammenhang mit dem
streitigen Widerruf hat das Berufungsgericht lediglich einmal auf den Bescheid
des Bundesamtes Bezug genommen. Dabei ging es um die allgemeine Ent-
wicklung im Kosovo nach Abschluss des Militärabkommens zwischen der (da-
maligen) Bundesrepublik Jugoslawien und der NATO. Das Berufungsgericht hat
in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Klägerin die
Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse selbst nicht in Abrede gestellt bzw.
nichts Gegenteiliges vorgetragen habe (BA S. 7). Die Beschwerde macht nicht
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ersichtlich, aus welchen Gründen diese Bezugnahme des Berufungsgerichts
verfahrensfehlerhaft sein könnte.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Passagen in der Be-
schwerdebegründung, mit denen die rechtliche Würdigung des Berufungsge-
richts in der Art einer Berufungs- bzw. Revisionsbegründung kritisiert wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Dr. Mallmann Richter Beck
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