Urteil des BVerwG vom 21.02.2006

Rüge, Verfahrensmangel, Ermessen, Anhörung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 108.05
OVG 13 A 4442/03.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Februar 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. August 2005 wird ver-
worfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat oder die Entscheidung der Vorinstanz von einer Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf
dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vor-
liegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Im Beschwerdeverfahren ist die Prü-
fung gemäß § 133 Abs. 3 VwGO auf frist- und formgerecht vorgetragene Zulas-
sungsgründe beschränkt. Dabei muss mit der Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) eine über den jeweiligen Einzelfall hinausgreifende, in verallgemeinerungs-
fähiger Weise im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts
klärungsfähige und klärungsbedürftige konkrete Frage des revisiblen Rechts darge-
legt werden. Mit der Abweichungsrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) muss unter ge-
nauer Bezeichnung der höchstrichterlichen Entscheidung, von der das Berufungsge-
richt abgewichen sein soll, ein prinzipieller Auffassungsunterschied in einer Rechts-
frage aufgezeigt und dargetan werden, inwiefern die angegriffene Entscheidung
darauf beruhen soll. Bei einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schließ-
lich der Bezeichnungspflicht nur genügt, wenn die Tatsachen schlüssig dargetan
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werden, die den geltend gemachten Verfahrensmangel ergeben, und es als möglich
erscheint, dass die angefochtene Entscheidung auf ihm beruht. Hinsichtlich aller Re-
visionszulassungsgründe stellt § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO auch Anforderungen an
die Klarheit, Verständlichkeit und Überschaubarkeit des Beschwerdevorbringens.
Die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde muss demzufolge eine Sichtung
und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes durch den Prozessbevollmächtigten
und ein Mindestmaß an Geordnetheit des Vorbringens erkennen lassen (BVerwG,
Beschluss vom 19. August 1993 - BVerwG 6 B 42.93 - Buchholz 310 § 67 VwGO
Nr. 81). Dabei verlangt das Darlegen - das schon nach dem allgemeinen Sprach-
gebrauch im Sinne von "erläutern" und "erklären" zu verstehen ist (vgl. BVerwG, Be-
schluss vom 9. März 1993 - BVerwG 3 B 105.92 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO
Nr. 11; BFH, Beschluss vom 18. Januar 1968 - V B 45/67 - BFHE 90, 369 <370>) -
ebenso wie das gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Bezeichnen ein
Mindestmaß an Klarheit, Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der Ausführungen.
Gerade dies ist einer der Gründe dafür, dass die Nichtzulassungsbeschwerde dem
Anwaltszwang unterliegt. Welche Anforderungen dabei im Einzelnen zu stellen sind,
ist nach den jeweiligen Umständen zu beurteilen. Eine umfangreiche Beschwerde-
begründung entspricht jedenfalls dann nicht den formellen Erfordernissen, wenn die
Ausführungen zu den Zulassungsgründen in unübersichtlicher, ungegliederter, unkla-
rer, kaum auflösbarer Weise mit Einlassungen zu irrevisiblen oder für das Be-
schwerdeverfahren sonst unerheblichen Fragen vermengt sind. Es ist nicht Aufgabe
des Beschwerdegerichts, aus einem derartigen Gemenge das herauszusuchen, was
möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde
geeignet sein könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 1972 - BVerwG
4 B 122.72 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 99). Eine solche Verpflichtung des Be-
schwerdegerichts lässt sich auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 oder Art. 103 Abs. 1 GG
entnehmen (BVerfG, Beschluss vom 6. September 1983 - 1 BvR 237/83 - SozR 1500
§ 160 a SGG Nr. 48).
Die insgesamt 98 Seiten umfassende Beschwerdebegründung (Bl. 702 bis Bl. 799
der Gerichtsakten) wird den genannten Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO nicht gerecht. Die Begründung enthält - teilweise in englischer und
serbo-kroatischer Sprache - ausführliche tatsächliche Schilderungen, die das
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Schicksal der Klägerin betreffen, "medizinische Überlegungen" zu der geltend ge-
machten psychischen Erkrankung der Klägerin, "juristische Überlegungen" zur Ent-
scheidung des Berufungsgerichts und zum Gang des Verfahrens, lange wörtliche
Wiedergaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bun-
desverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
sowie Auszüge aus zum Teil allgemeinen psychiatrischen Gutachten und neurologi-
schen Befunden. Eine Durchsicht dieser Ausführungen zeigt, dass es sich hierbei im
Wesentlichen um revisionsrechtlich unbeachtlichen Tatsachenvortrag handelt, hin-
sichtlich dessen nicht hinreichend erkennbar ist, dass der Prozessbevollmächtigte
der Klägerin ihn auf seine Erheblichkeit für das Beschwerdeverfahren überprüft hat.
Der Prozessbevollmächtigte beschreibt immer wieder neue Aspekte der posttrauma-
tischen Belastungsstörung, auf die sich die aus dem Kosovo stammende Klägerin als
asylrechtliches Abschiebungshindernis beruft. Der beschließende Senat ist aus den
dargelegten Gründen nicht gehalten, dieses Vorbringen näher daraufhin zu un-
tersuchen, ob es möglicherweise Hinweise enthält, die - bei wohlwollender Ausle-
gung - revisionsrechtlich von Belang sein könnten.
Unabhängig davon genügen die sich verschiedentlich in der Begründungsschrift fin-
denden Ausführungen zu einzelnen Revisionszulassungsgründen auch inhaltlich
nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Soweit die Beschwerde
geltend macht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, bezieht sie sich
ausdrücklich auf das insoweit parallel liegende Beschwerdeverfahren BVerwG 1 B
26.05 und die dort vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin verfasste Beschwer-
debegründung. Der beschließende Senat hat die Beschwerde auch in dieser Sache
als unzulässig verworfen (Beschluss vom 30. September 2005). Hierauf wird Bezug
genommen.
Soweit die Beschwerde Divergenz- und Verfahrensrügen erhebt, entsprechen diese
Rügen den gesetzlichen Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
schon im Ansatz nicht. Dies gilt zunächst für die Rüge, das Berufungsgericht sei bei
seiner Verfahrensweise, ohne mündliche Verhandlung und damit ohne Anhörung der
Klägerin zu entscheiden, von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
abgewichen. Der Darstellung der Beschwerde ist lediglich zu entnehmen, dass das
Berufungsgericht - aus Sicht der Beschwerde - die Rechtsprechung des Bundesver-
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waltungsgerichts zum Verfahren nach § 130 a VwGO unzutreffend angewendet ha-
ben soll, nicht aber - wie es für eine Divergenzrüge erforderlich wäre -, dass das Be-
rufungsgericht einen abstrakten, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts widersprechenden Rechtssatz aufgestellt hat, zumal das Berufungsgericht die
fragliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30. Juni 2004
- BVerwG 6 C 28.03 - NVwZ 2004, 1377) ausdrücklich zitiert und seiner Entschei-
dung zugrunde gelegt hat (BA S. 6). Dies gilt ferner für die Rüge, das Berufungsge-
richt habe verfahrensfehlerhaft im Beschlussverfahren nach § 130 a VwGO ent-
schieden. Das Berufungsgericht hat in seinem Beschluss dargelegt, aus welchen
Gründen es diese Verfahrensweise gewählt hat. Dass diese im Ermessen des Ge-
richts stehende Entscheidung in ihren tragenden Erwägungen auf sachfremden Ge-
sichtspunkten oder auf grober Fehleinschätzung beruht, zeigt die Beschwerde nicht
auf. Im Übrigen wendet sich die Beschwerde auch mit diesen Rügen in Wahrheit ge-
gen die ihrer Ansicht nach unzutreffende Sachverhalts- und Beweiswürdigung des
Berufungsgerichts, ohne damit einen Zulassungsgrund aufzuzeigen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Eckertz-Höfer Richter Beck
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