Urteil des BVerwG vom 21.02.2006

Aserbaidschan, Freiheit, Leib, Sicherheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 107.05
OVG 2 KO 900/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Februar 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts
vom 5. Juli 2005 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig. Die geltend gemachten Zulassungsgründe
der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und
eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) werden nicht in einer Weise
dargetan, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
Die Beschwerde wirft die Frage als grundsätzlich bedeutsam auf,
"ob vorverfolgte ethnische Armenier mit ihren Familienangehörigen bei einer
möglichen Rückkehr nach Aserbaidschan vor Gefahren für Leib, Leben und
Freiheit in ausreichender Weise sicher sind."
Sie zeigt indes schon nicht - wie für die Darlegung einer rechtsgrundsätzlichen Be-
deutung erforderlich - auf, inwiefern und im Rahmen welcher Rechtsvorschrift sich
diese Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren in dieser Form überhaupt stel-
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len würde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kä-
me es auf die von der Beschwerde formulierte Frage im Übrigen auch weder im
Rahmen des flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG
noch im Rahmen der ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2
bis 5 und 7 AufenthG an. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG setzt
nämlich - abgesehen von dem hier nicht interessierenden Fall einer inländischen
Fluchtalternative - voraus, dass der vorverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei einer
Rückkehr in den Herkunftsstaat vor einer erneuten derartigen (hier: ethnischen) Ver-
folgung nicht hinreichend sicher ist oder ihm aus anderen Gründen mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehö-
rigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeu-
gung droht; ob ihm bei der Rückkehr sonstige (allgemeine) Gefahren für Leib, Leben
oder Freiheit drohen, ist nicht hierbei, sondern gegebenenfalls im Rahmen der Prü-
fung von ausländerrechtlichem Abschiebungsschutz zu berücksichtigen. Für die aus-
länderrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG, bei
denen auch sonstige, nicht asylerhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit zu
berücksichtigen sind, ist indessen erforderlich, dass diese mit beachtlicher Wahr-
scheinlichkeit drohen. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach der ausrei-
chenden Sicherheit vor derartigen Gefahren würde sich daher auch in diesem Zu-
sammenhang nicht stellen.
Das übrige Vorbringen der Beschwerde führt ebenfalls nicht auf eine bestimmte ent-
scheidungserhebliche und klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts, sondern
richtet sich in Wahrheit gegen die nach Ansicht der Beschwerde unzutreffende
Feststellung und Würdigung des Sachverhalts durch das Berufungsgericht. Damit
kann die Zulassung einer Grundsatzrevision aber nicht erreicht werden. Entspre-
chendes gilt für die Rüge der angeblich unzutreffenden Subsumtion, soweit die Be-
schwerde meint, allein schon die Feststellung des Berufungsgerichts, dass armeni-
sche Volkszugehörige in Aserbaidschan in der Gesellschaft schlechter als andere
Ethnien behandelt würden, müsse nach dem herabgestuften Wahrscheinlichkeits-
maßstab zur Bejahung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG für
vorverfolgt ausgereiste ethnische Armenier führen. Abgesehen davon, dass es in
erster Linie Aufgabe des Tatsachengerichts ist, aus dem festgestellten Sachverhalt
die rechtlichen Schlüsse im Einzelfall zu ziehen, ergibt sich aus der zugrunde geleg-
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ten allgemeinen Feststellung keine fallübergreifende konkrete Rechtsfrage, die in
einem Revisionsverfahren über das hinaus, was zum Erfordernis hinreichender Si-
cherheit bereits rechtsgrundsätzlich entschieden ist, geprüft und beantwortet werden
könnte. Soweit die Beschwerde bemängelt, das Berufungsgericht habe nicht auch
die besonderen Gefahren berücksichtigt, die nach einer nicht freiwilligen, sondern
zwangsweisen Rückkehr drohten, zeigt sie auch damit keine klärungsbedürftige
Rechtsfrage auf. Insbesondere berücksichtigt sie nicht, dass nach ständiger Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Asylbewerber, der durch eigenes
zumutbares Verhalten - wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr - die Gefahr
politischer Verfolgung oder sonstige im Zielstaat drohende Gefahren abwenden
kann, vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht die Feststellung eines Ab-
schiebungsverbots verlangen kann (vgl. für den asylrechtlichen Abschiebungsschutz
Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <155>, für
den ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG
9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265 <278>).
Schließlich rechtfertigt auch die von der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage
nach dem (Fort-)Bestehen einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung von Ar-
meniern in Aserbaidschan (Beschwerdebegründung S. 5) nicht die Zulassung einer
Grundsatzrevision, weil es nach ihrem Vorbringen dabei ausschließlich um die Fest-
stellung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse in Aserbaidschan geht, die
den Tatsachengerichten vorbehalten ist und nicht vom Revisionsgericht geklärt wer-
den kann (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).
Der von der Beschwerde geltend gemachte, nicht näher bezeichnete Verfahrens-
mangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen "Nichtberücksichtigung der allgemei-
nen Korruption in Aserbaidschan für den Fall der zwangsweisen Rückführung der
Kläger" (Beschwerdebegründung S. 4) ist ebenfalls nicht ordnungsgemäß dargelegt.
Die Beschwerde zeigt nicht, wie dies für eine hier allein in Betracht kommende Rüge
der Verletzung des rechtlichen Gehörs erforderlich wäre, auf, dass das Berufungsge-
richt nach seiner Rechtsauffassung erhebliches wesentliches Parteivorbringen oder
sonstigen Prozessstoff nicht ernsthaft zur Kenntnis genommen und erwogen hat. So
fehlt es schon an der Darlegung, dass etwaige nur bei einer zwangsweisen Rückfüh-
rung eintretende Gefahren aus der rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts über-
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haupt entscheidungserheblich waren. Im Übrigen räumt die Beschwerde selbst ein,
dass das Berufungsgericht auf die allgemein verbreitete Korruption in Aserbaidschan
eingegangen ist, der allerdings nicht nur armenische Volkszugehörige, sondern in
gleicher Weise auch aserische Volkszugehörige ausgesetzt seien (UA S. 15). Die
Beschwerde wendet sich der Sache nach auch insoweit nur gegen die ihrer Ansicht
nach unzutreffende Würdigung der vom Berufungsgericht ersichtlich zur Kenntnis
genommenen und in Erwägung gezogenen Tatsachen. Darauf kann aber eine Ver-
fahrensrüge in der Regel - und so auch hier - nicht gestützt werden.
Der weitere Vortrag der Beschwerde, die Kläger hätten inzwischen die aserbaid-
schanische Staatsangehörigkeit verloren, kann als neuer Tatsachenvortrag im Nicht-
zulassungsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig
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