Urteil des BVerwG vom 15.08.2003

Rechtliches Gehör, Hinweispflicht, Mitwirkungspflicht, Rüge

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 107.03 (1 PKH 28.03)
OVG 4 L 4/95
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. August 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:
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Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird
abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts
vom 14. Januar 2003 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird mangels hinreichender
Erfolgsaussicht der Beschwerde abgelehnt (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Die auf Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzulässig.
Sie entspricht nicht den Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Zulas-
sungsgrundes aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Soweit die Beschwerde (unter 1. der Beschwerdebegründung) einen Verstoß gegen "die
richterliche Aufklärungspflicht bzw. Hinweispflicht nach § 86 Abs. 1, Abs. 3 VwGO" rügt, ist
der behauptete Verfahrensmangel nicht schlüssig dargetan.
Für eine Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 86
Abs. 1 VwGO hätte die Beschwerde darlegen müssen, dass sich dem Oberverwaltungsge-
richt - auch ohne ein Hinwirken des anwaltlich vertretenen Klägers auf eine entsprechende
Ermittlung, insbesondere durch Stellung eines Beweisantrags - eine Aufklärung des Sach-
verhalts (mit welchen Beweismitteln und welchem für den Kläger entscheidungserheblich
günstigen Beweisergebnis) hätte aufdrängen müssen. Hierfür lässt sich der Beschwerde
nichts entnehmen. Sie begnügt sich mit der Wiedergabe der vom Oberverwaltungsgericht für
seine Würdigung des Vorbringens gegebenen Begründung und rügt lediglich, dass dem Klä-
ger "nie ein Hinweis gegeben worden" sei, dass sein Vortrag zu unsubstantiiert sei und dass
das Oberverwaltungsgericht bei der Anhörung des Klägers in der Berufungsverhandlung
"keine einzige Frage zu diesem Punkt gestellt" habe. Damit lässt sich der behauptete Aufklä-
rungsmangel nicht begründen.
Auch eine Verletzung der verfahrensrechtlichen Hinweispflicht des Gerichts nach § 86
Abs. 3 VwGO ist mit diesem Vorbringen nicht dargetan. Die Beschwerde übersieht insoweit,
dass auch § 86 Abs. 3 VwGO dem Gericht grundsätzlich weder eine umfassende Erörterung
aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte abverlangt noch es dazu verpflichtet, die
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Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Pro-
zessstoffs hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst
aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr des Bundesverwaltungsgerichts, vgl.
etwa Beschluss vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3
VwGO Nr. 51 m.w.N.). Dies gilt auch für den Tatsachenvortrag des Asylbewerbers, der
selbst für die Darlegung seiner Asylgründe verantwortlich ist. Das Gericht kann deshalb zu
Lasten des Asylbewerbers berücksichtigen, dass dieser unter Verletzung der ihn treffenden
Mitwirkungspflicht seine guten Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung nicht in
schlüssiger Form vorträgt. Fehlt es an einem solchen Sachvortrag, kann das Gericht verfah-
rensfehlerfrei nicht nur von einer weiteren Sachaufklärung, sondern regelmäßig auch von
einem entsprechenden Hinweis nach § 86 Abs. 3 VwGO absehen. Denn die Hinweispflicht
dispensiert den Asylbewerber nicht von der Obliegenheit, dem Gericht eine in sich stimmige
Schilderung seines behaupteten Verfolgungsschicksals zu geben. Die Hinweispflicht dient
nämlich nicht der Auffüllung von Lücken und Defiziten im Vorbringen des Asylbewerbers,
sondern der Unterstützung des Asylbewerbers bei der Wahrnehmung seiner Mitwirkungs-
pflicht (vgl. den Beschluss vom 28. Dezember 1999 a.a.O.). Besondere Umstände, die im
Berufungsverfahren eine Hinweispflicht hätten begründen können, sind nicht vorgetragen
und ersichtlich. Für eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge fehlt es hier außerdem an der
Darlegung, in welcher Weise im Einzelnen der Kläger nach einem entsprechenden Hinweis
seinen Vortrag "präzisiert" hätte und inwiefern aus dem ergänzten Vortrag auf das Fehlen
von Verfolgungssicherheit an dem vom Oberverwaltungsgericht angenommenen Ort einer
inländischen Fluchtalternative - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Beru-
fungsurteil zu der vom Kläger früher bereits gleichsam erprobten Sicherheit in Istanbul - hät-
te geschlossen werden können. Die ferner mit der Beschwerde noch geltend gemachten
neuen Tatsachen, die in der Türkei lebenden Brüder des Klägers seien "sogar mehrfach bis
in die jüngste Zeit festgenommen worden", dürfen vom Bundesverwaltungsgericht als Revi-
sionsgericht nicht berücksichtigt werden (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).
Die Beschwerde macht ferner eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend,
weil das Oberverwaltungsgericht den Verfolgungsvortrag im "schriftlichen Statement" vom
27. August 1992, dass der Kläger 1988 23 Tage illegal inhaftiert gewesen sei, im Beru-
fungsurteil "nicht berücksichtigt" habe. Das ergebe sich daraus, dass "das Statement und die
dort enthaltenen Angaben im ansonsten sehr ausführlichen Tatbestand nicht erwähnt" wür-
den und dass auch in den Entscheidungsgründen auf diese Inhaftierung "mit keinem Wort
eingegangen" werde. Auch damit wird der behauptete Verfahrensrechtsverstoß nicht schlüs-
sig dargelegt. Das folgt zum einen daraus, dass aus dem Schweigen der Urteilsgründe zu
Einzelheiten des Parteivortrags allein noch nicht der Schluss gezogen werden kann, das
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Gericht habe diese nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungs-
gerichts ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der
Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brau-
chen nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden;
nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass ein Gericht
seine Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung entscheidungserheblichen Tatsachenstoffs
verletzt hat, kann ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Einzelfall festgestellt werden
(vgl. etwa Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - unter Bezugnahme auf
BVerfGE 96, 205, 216 f. - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4). Dass diese Vorausset-
zungen hier vorliegen, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Zum anderen trifft es
auch nicht zu, dass das Oberverwaltungsgericht das so genannte Statement im Tatbestand
des Urteils nicht erwähnt hat. Auf die vom Kläger beim Bundesamt eingereichte schriftliche
Asylbegründung vom August 1992 hat das Oberverwaltungsgericht vielmehr - wenn auch in
anderem Zusammenhang - Bezug genommen (UA S. 7 letzter Absatz). Auch deshalb kann
nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht den seinerzeitigen Verfol-
gungsvortrag nicht berücksichtigt hat. Es kommt hinzu, dass das Berufungsgericht den Vor-
trag des Klägers zu dessen Vorfluchtgründen seiner rechtlichen Würdigung ausdrücklich als
glaubhaft zugrunde gelegt und "die von ihm erlittenen und im Einzelnen beschriebenen
Maßnahmen der Folter und Unterdrückung" berücksichtigt hat (UA S. 9). Unter diesen Um-
ständen ist daher davon auszugehen, dass das Oberverwaltungsgericht das als übergangen
gerügte Vorbringen zur Kenntnis genommen und verwertet hat. Außerdem ist nicht erkenn-
bar, inwiefern das Oberverwaltungsgericht - die Auffassung der Beschwerde als zutreffend
unterstellt - zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, wenn es zusätzlich zu den
erwähnten, als wahr zugrunde gelegten Verfolgungshandlungen noch eine weitere Inhaftie-
rung berücksichtigt hätte, nachdem es eine zur Anwendung des herabgestuften Wahrschein-
lichkeitsmaßstabs bei der Rückkehrgefährdung führende Vorverfolgung aus anderen Grün-
den (der bereits damals bestehenden inländischen Fluchtalternative) ausgeschlossen hat.
Auch darauf geht die Beschwerde nicht - wie hier erforderlich gewesen wäre - ein.
Entsprechendes gilt für die weitere Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör dadurch, dass das Oberverwaltungsgericht den Vortrag des Klägers "bezüglich der
Tätigkeit seines Bruders M. in Deutschland außer acht gelassen" habe. Ungeachtet ihrer
weiteren Darlegungsmängel geht die Rüge fehl. Das Berufungsgericht hat im Tatbestand
ausdrücklich auf den entsprechenden Vortrag des Klägers Bezug genommen, "sein Bru-
der M. sei drei Jahre lang Vorsitzender des Kulturvereins gewesen" (UA S. 7 letzter Absatz).
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Schon deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht diesen
Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß
§ 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2
AsylVfG.
Eckertz-Höfer
Hund
Richter