Urteil des BVerwG vom 23.02.2005

Verkündung, Organisation, Strafverfahren, Verbreitung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 102.04
VGH 12 UE 1326/03.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Februar 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 15. März 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, die sich auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) stützt, bleibt
ohne Erfolg.
Sie rügt als Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), das Berufungs-
gericht habe verfahrensfehlerhaft am Schluss der Sitzung nicht nur über die unbe-
dingt gestellten Beweisanträge der Kläger entschieden, sondern zusätzlich ein
"Schlussurteil" verkündet. Hiermit hätten die Kläger nicht rechnen können. Dadurch
sei es ihnen unmöglich gemacht worden, an der Verkündung der Entscheidung über
die Beweisanträge teilzunehmen und auf die erfolgte Ablehnung zu reagieren. Mit
diesem Vorbringen ist eine Gehörsverletzung nicht in einer Weise bezeichnet, die
den gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ent-
spricht. Allerdings muss der zu begründende Beschluss über die Ablehnung eines
in der mündlichen Verhandlung gestellten unbedingten Beweisantrags nach § 86
Abs. 2 VwGO den Beteiligten so eröffnet werden, dass sie noch die Möglichkeit ha-
ben, sich vor der abschließenden Entscheidung hierzu zu äußern. Denn Sinn und
Zweck der Regelung ist es, dem Antragsteller Gelegenheit zu geben, sich auf die
durch die Ablehnung entstandene Verfahrenslage einzustellen (vgl. Geiger in
Eyermann, VwGO, 11. Auflage § 86 Rn. 31 u.a. unter Hinweis auf Urteil vom
11. April 1986 - BVerwG 4 C 57.82 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 29). Es ist
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daher insbesondere unzulässig, den Beschluss gleichzeitig mit dem Urteil zu ver-
künden. Das Berufungsgericht hätte daher am Schluss der Sitzung nicht sowohl den
Ablehnungsbeschluss nach § 86 Abs. 2 VwGO als auch - nach kurzer Unterbre-
chung - das Urteil verkünden dürfen, ohne den Klägern Gelegenheit zur Äußerung
zu geben. Gleichwohl hat die Beschwerde mit dieser Rüge keinen Erfolg. Denn sie
legt nicht, wie dies bei einer derartigen Gehörsrüge regelmäßig erforderlich ist, hin-
reichend dar, was die Kläger bei ausreichender Gehörsgewährung nach Ablehnung
ihrer Beweisanträge mit den aus dem Berufungsurteil ersichtlichen Gründen noch
vorgetragen hätten, etwa welche weiteren Beweisanträge sie ergänzend gestellt
hätten und inwiefern dieser weitere Vortrag ihrer Klage hätte zum Erfolg verhelfen
können (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -
Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 und vom 13. Dezember 2002
- BVerwG 1 B 95.02 - Buchholz a.a.O. Nr. 67). Ihr pauschaler Hinweis, sie hätten
"fehlende Substanziierung nachgebessert, Entscheidungserheblichkeit aufgezeigt
bzw. im Rahmen von Gegenvorstellungen offenkundige Missverständnisse bei der
Interpretation von Erkenntnisquellen beseitigt", genügt diesen Anforderungen nicht.
Soweit die Beschwerde unter Berufung auf § 138 VwGO darüber hinaus rügt, das
Berufungsgericht habe nach Verkündung des ablehnenden Beschlusses am Schluss
der Sitzung die mündliche Verhandlung trotz Abwesenheit der nicht ordnungsgemäß
geladenen Kläger und ihrer Prozessbevollmächtigten fortgesetzt und damit zugleich
gegen das Gebot der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung und den Grundsatz
des fairen Verfahrens verstoßen (§ 138 Nr. 4 und 5 VwGO), verkennt sie, dass das
Berufungsgericht ausweislich des Sitzungsprotokolls am Schluss der Sitzung nicht
erneut in die mündliche Verhandlung eingetreten ist, sondern lediglich den Beschluss
über die Ablehnung der Beweisanträge und kurz darauf das Urteil verkündet hat.
Insoweit besteht hier kein wesentlicher Unterschied zu dem in der zitierten
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entschiedenen Fall der
gleichzeitigen Verkündung von Ablehnungsbeschluss und Urteil.
Die Beschwerde rügt ferner als Gehörsverletzung, das Berufungsgericht habe in
mehreren Zusammenhängen widersprüchlich argumentiert und fehlerhafte Schluss-
folgerungen aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen getroffen. Die Kläger hät-
ten hiermit nicht rechnen können. Deshalb sei gegen ihren Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs verstoßen worden. In Wahrheit greift die Beschwerde mit ihren
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Ausführungen die dem Tatrichter vorbehaltene Sachverhalts- und Beweiswürdigung
an. Sie verkennt hierbei, dass etwaige Mängel der Beweiswürdigung und der richter-
lichen Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich nicht
dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzurechnen sind (stRspr;
vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 266 m.w.N.). Etwas anderes mag allenfalls bei einer von Willkür gepräg-
ten Beweiswürdigung, etwa bei offensichtlich widersprüchlichen oder aktenwidrigen
Feststellungen sowie bei Verstößen gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denk-
gesetze gelten. Dass die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an derartigen
Fehlern leidet, zeigt die Beschwerde indes nicht auf. Soweit die Beschwerde sich auf
die exilpolitischen Betätigungen der Kläger in Deutschland, insbesondere auf die
Solidaritätsaktionen zugunsten der Hungerstreiks von Gefangenen in türkischen
Haftanstalten bezieht, geht sie nicht darauf ein, dass das Berufungsgericht zwischen
politischen Betätigungen in der Türkei und in Deutschland unterschieden hat. Das
Berufungsgericht hat ausdrücklich - im Sinne der Beschwerde - angenommen, dass
derartige Solidaritätsaktionen strafrechtlich relevant sein können, sofern sie in der
Türkei stattgefunden haben. Es gebe allerdings keine Erkenntnisse, dass türkische
Staatsangehörige, die sich im Ausland an solchen Sympathieveranstaltungen betei-
ligt hätten, in der Türkei mit Strafverfahren oder anderen Verfolgungsmaßnahmen zu
rechnen hätten (UA S. 39). Vor dem Hintergrund dieser differenzierenden Erwägun-
gen, die im Rahmen der gerichtlichen Beweiswürdigung durchaus plausibel erschei-
nen, sind die Beanstandungen der Beschwerde nicht nachvollziehbar. Von einer will-
kürhaften Beweiswürdigung kann jedenfalls keine Rede sein. Entsprechendes gilt für
den Vorwurf, das Berufungsgericht habe hinsichtlich der Frage von Präzedenzfällen
Schlüsse gezogen, die insbesondere mit den von den Klägern vorgelegten Erkennt-
nismitteln nicht vereinbar seien. Das Berufungsgericht hat seine Annahme, dass es
keine tragfähigen Hinweise auf derartige Präzedenzfälle gebe, sorgfältig und detail-
liert begründet (UA S. 40 ff.). Die Beschwerde macht im Kern geltend, das Beru-
fungsgericht hätte andere Schlüsse ziehen müssen. Ein willkürliches Vorgehen des
Berufungsgerichts wird jedoch nicht im Ansatz benannt und ist auch sonst nicht er-
sichtlich. Der weitere Vorwurf, das Berufungsgericht habe aus seiner Feststellung,
dass sich türkische Behörden im Zusammenhang mit den exilpolitischen Aktivitäten
der Kläger nicht an deren Verwandte in der Türkei gewandt hätten, fehlerhafte
Schlussfolgerungen gezogen, greift ebenfalls nicht durch. Von allem anderen abge-
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sehen hat das Berufungsgericht aus dieser Feststellung nicht geschlossen, dass die
Kläger "verfolgungsfrei in die Türkei zurückkehren könnten". Es hat die Feststellung
lediglich als Beleg dafür gewertet, es gebe auch von daher keine Hinweise darauf,
dass die Kläger in der Türkei mit konkreten Ermittlungen rechnen müssten (UA
S. 39 f.). Auch diese Erwägung kann nicht als willkürhafte Schlussfolgerung beurteilt
werden.
Soweit die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe Beweisanträge der
Kläger abgelehnt, wird nicht deutlich, was die Beschwerde im Einzelnen beanstan-
den will. Sie setzt sich mit der Begründung des Gerichts für dessen Ablehnung der
Anträge nicht auseinander und geht auch nicht darauf ein, ob die Ablehnung vom
Prozessrecht gedeckt ist oder nicht. Sie moniert, das Berufungsgericht habe nicht
alle Erkenntnismittel zur Kenntnis genommen, andernfalls hätte es eine "Nähe" von
der Gruppe Tayad zur DHKP-C annehmen müssen. Auch dieser Vorwurf ist unver-
ständlich. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich einen organisatorischen Zusam-
menhang zwischen Tayad und DHKP-C als zutreffend unterstellt (UA S. 40). Es hat
zusätzlich eine Auskunft des Auswärtigen Amtes wiedergegeben, in der Tayad "von
türkischen Behörden als der DHKP-C nahe stehend angesehen" werde (UA S. 41).
Unbegründet ist auch der Vorwurf, das Berufungsgericht habe Vorbringen der Kläger
nicht zur Kenntnis genommen. Ansonsten hätte das Gericht - im Hinblick auf die
Veröffentlichung in "Özgür Politika" - nicht davon sprechen können, dass die Kläger
bei ihren exilpolitischen Betätigungen nicht "im Vordergrund" gestanden hätten. Das
Berufungsgericht ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Kläger wegen des
Berichts in der "Özgür Politika" den türkischen Sicherheitsbehörden als aktive Unter-
stützer der Hungerstreiks in der Türkei aufgefallen seien (UA S. 40); durch den Be-
richt sei die Verbreitung ihres Protestes und ihrer Solidarität mit den Hungerstreiks
"ganz erheblich gestiegen" und "damit auch die Gefahr der Entdeckung und der Re-
gistrierung durch türkische Stellen" (UA S. 42).
Die Revision kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zugelassen werden. Die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des revisiblen
Rechts aufgeworfen wird. Solch eine Rechtsfrage lässt sich der Beschwerde nicht
entnehmen. Die von ihr aufgeworfenen Fragen, ob Anhänger einer DHKP-C-nahen
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Organisation, die im Ausland die Hungerstreiks von Gefangenen in der Türkei aktiv
unterstützt haben, bei einer Rückkehr Strafverfahren zu gewärtigen haben und ob
Vorgehensweise und Verfolgungsinteresse türkischer Behörden hinsichtlich von Ak-
tivisten der PKK "dem gleichen Muster folgen" und "übertragbar" sind auf Aktivisten
einer DHKP-C-nahen Organisation, zielen - von allem anderen abgesehen - nicht auf
eine Rechtsfrage, sondern beziehen sich auf die den Tatsachengerichten vorbehal-
tene Feststellung und Würdigung der politischen Verhältnisse in der Türkei.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83 b AsylVfG i.d.F. des Kostenrechtsmoderni-
sierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I S. 718) nicht erhoben. Der Gegenstands-
wert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F. (vgl. § 60 RVG).
Eckertz-Höfer Richter Beck