Urteil des BVerwG vom 23.09.2014

Persönliche Anhörung, Präsidium, Zahl, Zusammensetzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 A 1.14
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. September 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:
Der Antrag des Antragstellers, die Nachwahl zum Präsi-
dium des Truppendienstgerichts Süd vom 24. Juli 2014 für
ungültig zu erklären, wird abgelehnt.
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G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit der Nachwahl zum Präsidium des
Truppendienstgerichts Süd vom 24. Juli 2014.
Das Truppendienstgericht Süd, an dem der Antragsteller als Vorsitzender tätig
ist, verfügt derzeit über lediglich sechs Richterplanstellen. In der Wahlbekannt-
machung des Wahlvorstandes für die Nachwahl zum Präsidium des Truppen-
dienstgerichts Süd vom 30. Juni 2014 ist der Wahlvorstand davon ausgegan-
gen, dass das Präsidium aus dem Präsidenten des Truppendienstgerichts als
Vorsitzenden und vier gewählten Richtern besteht. Auf dieser Grundlage ist die
Nachwahl zum Präsidium des Truppendienstgerichts Süd am 24. Juli 2014
durchgeführt worden. Gewählt worden ist der einzige zu diesem Zeitpunkt
wählbare Bewerber.
Der Antragsteller hat diese Nachwahl mit Schreiben vom 4. August 2014 mit der
Begründung angefochten, dass die Nachwahl nicht hätte durchgeführt werden
dürfen. Denn gemäß § 72 Abs. 5 WDO i.V.m. § 21a Abs. 2 Nr. 5 GVG sei der
(nach-)gewählte Richter bereits kraft Gesetzes Mitglied des Präsidiums gewe-
sen, weil das Truppendienstgericht Süd über weniger als acht Richterplanstel-
len verfüge, so dass alle gemäß § 21b Abs. 1 GVG wählbaren Richter dem
Präsidium angehört hätten. Diese Regelung sei nach § 75 Abs. 5 WDO ent-
sprechend anzuwenden, und zwar neben § 72 Abs. 2 WDO. Dies habe er be-
reits im Vorfeld der Nachwahl erfolglos vorgebracht. Jede Nachwahl sei mit der
Anordnung überflüssiger (kostenintensiver) Dienstreisen für sechs Richter ver-
bunden. Sollte allein auf die Regelung des § 72 Abs. 2 WDO abzustellen sein,
werde hilfsweise eine Verletzung des Demokratiegebotes des Art. 20 GG gel-
tend gemacht. Die Durchführung einer Wahl mit nur einem Kandidaten bei le-
diglich fünf besetzten Richterplanstellen habe mit einer Wahl nichts zu tun; es
sei eine Farce, zumal der „Gewählte“ die „Wahl“ auch nicht ablehnen dürfe.
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Das beteiligte Präsidium des Truppendienstgerichts Süd tritt dem Antrag ent-
gegen (Präsidiumsbeschluss vom 2. September 2014, den der Antragsteller
aus den Gründen seiner Wahlanfechtung nicht mitträgt). Der Antragsteller er-
strebe schon keine andere Besetzung des Präsidiums, weil nach seiner
Rechtsauffassung das Präsidium des Truppendienstgerichts Süd aus densel-
ben Personen wie nach der Durchführung der Nachwahl bestehe, die Nachwahl
mithin jedenfalls unschädlich gewesen sei. Ob das Ziel, weitere - aus Sicht des
Antragstellers unnötige - Nach- und Ergänzungswahlen beim Truppendienstge-
richt Süd für die Zukunft zu verhindern, um Kosten und Aufwand zu sparen, für
die Antragsbefugnis ausreiche, sei fraglich, wenn nach § 21b Abs. 6 GVG nur
die falsche Besetzung des Präsidiums angreifbar sein sollte.
In der Sache macht das beteiligte Präsidium des Truppendienstgerichts Süd
geltend, dass nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes das Präsi-
dium eines Truppendienstgerichts auch dann nur aus dem Präsidenten und vier
gewählten Richtern bestehe, wenn die Zahl der Richterplanstellen am Gericht
auf unter acht gesunken ist. § 72 Abs. 2 WDO gehe als abschließende Sonder-
regelung dem Verweis in § 72 Abs. 5 WDO auf den Zweiten Titel des Gerichts-
verfassungsgesetzes vor. Die Durchführung der Nachwahlen sei aus Gründen
der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit schon deswegen notwendig gewesen,
um jedes Risiko einer Fehlbesetzung des Präsidiums auszuschließen; dies sei
wegen des verfassungsrechtlich verankerten Gebots des gesetzlichen Richters
von besonderer Bedeutung. Den Erwägungen des Antragstellers sei lediglich in
rechtspolitischer Hinsicht zuzustimmen.
II
Der Antrag hat jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist nach § 80 der Wehrdisziplinarordnung
vom 16. August 2001 (BGBl I S. 2093, zuletzt geändert durch Artikel 7 des Ge-
setzes vom 28. August 2013, BGBl I S. 3386) - WDO - in Verbindung mit § 21b
Abs. 6 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (in der Fassung der Bekannt-
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machung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077, zuletzt geändert durch Artikel 2 des
Gesetzes vom 23. April 2014, BGBl I S. 410) - GVG - für die Entscheidung über
die Wahlanfechtung instanziell zuständig (s.a. Beschluss vom 12. November
1973 - BVerwG 7 A 7.72 - BVerwGE 44, 172). Innerhalb des Bundesverwal-
tungsgerichts ist nach dem Geschäftsverteilungsplan die Zuständigkeit des
1. Revisionssenats gegeben, da es sich um ein Verfahren handelt, das nicht
einem anderen Senat zugewiesen ist. Neben dem Antragsteller als Beteiligten
ist an dem Verfahren das Präsidium des Truppendienstgerichts Süd beteiligt
(s.a. Hinweisschreiben des Vorsitzenden vom 13. August 2014).
2. Der Senat entscheidet über den Antrag ohne mündliche Verhandlung durch
Beschluss (§ 21b Abs. 6 Satz 4 GVG i.V.m. § 38 FamFG). Eine persönliche
Anhörung ist gesetzlich für das Wahlanfechtungsverfahren nicht vorgeschrieben
(§ 21b Abs. 6 Satz 4 GVG i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 2 FamFG). Eine persönliche
Anhörung ist auch nicht zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs der Betei-
ligten erforderlich (§ 21b Abs. 6 Satz 4 GVG i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG);
die Beteiligten sind einem entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden beigetre-
ten.
3. Die Wahlanfechtung hatte jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Bei der
Nachwahl des Präsidiums des Truppendienstgerichts Süd am 24. Juli 2014 ist
ein Gesetz (§ 21b Abs. 6 Satz 1 GVG) jedenfalls nicht durch die von dem An-
tragsteller beanstandete Nichtbeachtung des § 72 Abs. 5 WDO i.V.m. § 21a
Abs. 2 Nr. 5 GVG verletzt worden; weitere Wahlanfechtungsgründe sind nicht
geltend gemacht oder sonst ersichtlich.
3.1 Nach § 72 Abs. 2 WDO besteht das Präsidium eines Truppendienstgerichts
„aus dem Präsidenten als Vorsitzenden und aus vier gewählten Richtern“. Die-
se Regelung gilt nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut unabhängig von der
Zahl der Planstellen, die an dem jeweiligen Truppendienstgericht bestehen.
§ 72 Abs. 2 WDO enthält nach dem Wortlaut und auch seiner systematischen
Stellung eine abschließende Sonderregelung zur personellen Zusammenset-
zung des Präsidiums.
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§ 72 Abs. 5 WDO, nach dem die Vorschriften des Zweiten Teils des Gerichts-
verfassungsgesetzes entsprechend gelten, soweit sich aus diesem Gesetz
nichts anderes ergibt, führt nicht dazu, dass § 21a Abs. 2 Nr. 5 GVG Anwen-
dung fände, nach dem bei einen Gericht mit weniger als mindestens acht Rich-
terplanstellen das Präsidium aus dem Präsidenten (oder aufsichtsführenden
Richter) als Vorsitzenden und den nach § 21b Abs. 1 wählbaren Richtern be-
steht. § 72 Abs. 2 WDO sperrt als von § 21a Abs. 2 GVG abweichende Sonder-
regelung zur Größe und Zusammensetzung des Präsidiums bei einem Trup-
pendienstgericht die in § 72 Abs. 5 WDO angeordnete ergänzende entspre-
chende Anwendung des Gerichtsverfassungsgesetzes. Bei einer ergänzenden
Anwendung des § 21a Abs. 2 GVG fehlte der Sonderregelung in § 72 Abs. 2
WDO jeder eigenständige Regelungsgehalt. Selbst wenn im Zeitpunkt des In-
krafttretens der Wehrdisziplinarordnung die Zahl der Richterplanstellen an
Truppendienstgerichten sich in dem Bereich bewegt hätte, nach dem gemäß
§ 21a Abs. 2 Nr. 4 GVG das Präsidium zusätzlich zum Präsidenten aus vier
gewählten Richtern besteht, hätte es der ausdrücklichen Regelung in der
Wehrdisziplinarordnung nicht bedurft, wenn nicht auch eine Regelung zu der
Präsidiumszusammensetzung in jenen Fällen getroffen worden wäre, in denen
mindestens 20 oder weniger acht Richterplanstellen an einem Truppendienst-
gericht bestehen. Ein Motiv des Gesetzgebers, sich für die Bestimmung der
Größe des Präsidiums eines Truppendienstgerichts in § 72 Abs. 2 WDO an
§ 21a Abs. 2 GVG zu orientieren, hätte gerade keine unmittelbare Anwendung
des § 21a Abs. 2 GVG zur Folge. Dies gilt auch dann, wenn unterstellt wird,
dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Regelung deutliche Veränderungen
der Zahl der richterlichen Planstellen an Truppendienstgerichten nicht im Blick
gehabt oder nicht für möglich gehalten haben sollte.
3.2 Die von dem Antragsteller der Sache nach geltend gemachten Bedenken
gegen die Verfassungsgemäßheit des § 72 Abs. 2 WDO greifen nicht durch.
Der Gesetzgeber war von Verfassung wegen nicht gehalten, bei einem Absin-
ken der Zahl der Richterplanstellen an einem Truppendienstgericht unter die
Zahl von mindestens acht Richterplanstellen eine entsprechende Anwendung
des § 21a Abs. 2 Nr. 5 GVG vorzuschreiben. Dies gilt auch für den Fall, dass in
einer gegebenen Situation bei der Präsidiumswahl nach § 21b GVG in dem
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Sinne keine echte Auswahl erfolgen kann, weil nur ein wählbarer Richter zur
Wahl steht und dieser überdies richterdienstrechtlich gehalten ist, eine Wahl
anzunehmen (Beschluss vom 23. Mai 1975 - BVerwG 7 A 1.73 - BVerwGE 48,
251). Dem Antragsteller mag zuzugestehen sein, dass diese Situation nicht
dem Idealbild einer demokratischen Wahl entspricht, wie es in den Wahlvor-
schriften zur Kreation von Staatsorganen verfassungsrechtlich ausgeformt ist.
Nicht zu vertiefen ist indes, in welchem Umfang das staatsorganisationsrechtli-
che Demokratieprinzip auch im Detail auf die Wahlen zu dem Präsidium eines
Gerichts übertragbar ist, das als Organ richterlicher Selbstverwaltung zur Siche-
rung der Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung als hoheit-
liches Organ tätig wird; jedenfalls ist das Wahlrecht den Richtern nicht - wie z.B.
bei der Wahl politischer Vertretungen, von Richterräten oder Personalvertretun-
gen - zur Wahrnehmung eigener Belange, sondern als zusätzliche richterliche
Aufgabe anvertraut (s.a. Beschluss vom 23. Mai 1975 - BVerwG 7 A 1.73 -
BVerwGE 48, 251 [254]). Diese Aufgabe darf der Gesetzgeber auch unabhän-
gig von tatsächlichen Wahlmöglichkeiten anordnen. Bei der Wahrnehmung die-
ser Aufgabe hat auch die individuelle Einschätzung der Zweckmäßigkeit einer
Regelung zurückzutreten.
4. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Entscheidung, ob die Regelung des
§ 10 Abs. 4 FamFG zum Vertretungszwang in Verfahren vor dem Bundesge-
richtshof entsprechend anzuwenden ist oder ob dies - wovon die Beteiligten
übereinstimmend ausgehen - angesichts der Besonderheiten eines Verfahrens
betreffend die Anfechtung der Wahl zu einem Gerichtspräsidium nicht der Fall
ist. Offenbleiben kann auch, ob für eine Anfechtung einer Wahl auch dann eine
Antragsbefugnis anzuerkennen ist, wenn die geltend gemachte Gesetzesverlet-
zung sich nach dem eigenen Vorbringen eines Antragstellers nicht auf die Zu-
sammensetzung des Präsidiums auswirken kann.
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5. Das Gericht sieht davon ab, einem Beteiligten die Kosten des Verfahrens
ganz oder zum Teil aufzuerlegen, so dass von der Erhebung von Kosten abzu-
sehen ist (§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG).
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Kraft
Dr. Rudolph
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