Urteil des BVerwG vom 15.03.2017

BVerwG (wiederaufnahme des verfahrens, bundesverwaltungsgericht, antrag, aufgabe, folge, grundstück, verwaltungsgericht, nutzungsrecht, erwerb, grund)

Rechtsquellen:
VwVfG
§ 51 Abs. 1 Nr. 1
VermG
§ 4 Abs. 2
Stichworte:
Ausschluss der Restitution; Restitutionsausschlussgrund; Wegfall des Restitu-
tionsausschlussgrundes; Wiederaufgreifen des Restitutionsverfahrens; Dauer-
verwaltungsakt; Erwerb; redlich; redlicher Erwerb.
Leitsatz:
Fällt der Restitutionsausschlussgrund des redlichen Erwerbs eines Nutzungs-
rechts nachträglich weg, muss das Restitutionsverfahren nicht nach § 51 Abs. 1
Nr. 1 VwVfG wieder aufgegriffen werden.
Urteil des 8. Senats vom 15. Januar 2009 - BVerwG 8 C 3.08 -
I. VG Gera vom 29.08.2007 - Az.: VG 2 K 145/06 Ge -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 8 C 3.08
VG 2 K 145/06 Ge
Verkündet
am 15. Januar 2oo9
Ende
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
für Recht erkannt:
Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. August
2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gera und
der Widerspruchsbescheid des Thüringer Landesamtes
zur Regelung offener Vermögensfragen vom 16. Januar
2006 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und die
Beigeladene je zur Hälfte. Der Beklagte und die Beigela-
dene tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin wendet sich gegen das Wiederaufgreifen des vermögensrechtli-
chen Verfahrens betreffend das frühere Flurstück 160/15 der Flur 1 der Gemar-
kung St. sowie gegen die Verpflichtung zur Auskehr des Erlöses aus dessen
Veräußerung in Höhe von insgesamt 65 720 €.
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Die Fläche war ursprünglich Teil eines größeren landwirtschaftlichen Flur-
stücks, das im Eigentum der Mutter der Beigeladenen stand und nach Über-
nahme in staatlicher Verwaltung am 30. Dezember 1974 in das Eigentum des
Volkes veräußert wurde.
An dem Flurstück 160/15 verlieh das Landratsamt Eisenach den Eheleuten F.
mit Wirkung vom 22. Juni 1990 ein unbefristetes Nutzungsrecht zur Bebauung
mit einem Eigenheim.
Die Mutter der Beigeladenen erhob mit Schreiben vom 29. August 1990 einen
vermögensrechtlichen Anspruch auf das Grundstück, welcher nach ihrem Tode
von der Beigeladenen weiter verfolgt wurde. Das Amt zur Regelung offener
Vermögensfragen des Wartburgkreises stellte mit Bescheid vom 30. Juli 1996
fest, dass die Beigeladene zwar Berechtigte nach dem Vermögensgesetz sei,
der Rückübertragung aber der redliche Erwerb des dinglichen Nutzungsrechts
entgegenstehe.
Die Eheleute F. gaben mit notarieller Erklärung vom 23. Februar 1998 ihr ding-
liches Nutzungsrecht auf.
Der Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Berlin ordnete das streitbe-
fangene Grundstück mit Zuordnungsbescheid vom 25. Juni 2002 der Klägerin
zu, die das Grundstück mit notariellen Vertrag vom 1. August 2003 zum Preis
von 65 720 € veräußerte.
Die Beigeladene erhielt aus einem Schreiben der Stadtverwaltung Eisenach
vom 26. August 2003 Kenntnis von der Aufgabe des Nutzungsrechts. Sie bean-
tragte daraufhin beim Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögens-
fragen die Wiederaufnahme des vermögensrechtlichen Verfahrens, da mit der
Aufgabe des Nutzungsrechts der Grund für den Ausschluss der Rückübertra-
gung entfallen sei.
Das Staatliche Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Gera lehnte ein
Wiederaufgreifen des Verfahrens mit Bescheid vom 12. Januar 2004 ab. Dem
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dagegen erhobenen Widerspruch gab das Thüringer Landesamt zur Regelung
offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 16. Januar 2006 statt, griff das
Restitutionsverfahren wieder auf und stellte fest, dass der Beigeladenen gegen
die Klägerin ein Anspruch auf Auskehr des Veräußerungserlöses zustehe.
Nach seiner Auffassung ist § 51 ThürVwVfG auch in vermögensrechtlichen Ver-
fahren anwendbar und liegt ein Wiederaufgreifensgrund in der Aufgabe des
Nutzungsrechtes.
Daraufhin hat die Klägerin am 15. Februar 2006 Klage erhoben mit dem An-
trag, den Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2006 aufzuheben. Sie hält die
Voraussetzung von § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG nicht für gegeben. Zweifelhaft
sei schon, ob die Ablehnung der Rückübertragung als Dauerverwaltungsakt
anzusehen sei. Jedenfalls sei ein Wiederaufgreifen wegen nachträglicher Än-
derung der Sach- oder Rechtslage nach der Natur der Sache ausgeschlossen.
Der Beklagte und die Beigeladene haben jeweils Klageabweisung beantragt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Grund mündlicher Verhandlung vom
29. August 2007 abgewiesen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus:
Aus dem Wortlaut von § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG ergäben sich keine An-
haltspunkte für eine Unanwendbarkeit auf Rückübertragungsverfahren. Dies
folge auch nicht aus § 5 Abs. 3 VermG. Vielmehr hätte es dieser Regelung
nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber angenommen hätte, der Berechtigte kön-
ne sich grundsätzlich nicht auf eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse
berufen. Der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens sei zulässig und be-
gründet.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte
Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG.
Sie beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 29. August
2007 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom
16. Januar 2006 aufzuheben.
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Der Beklagte und die Beigelade beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie treten dem angefochtenen Urteil bei.
II
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt revisibles Recht im
Sinne von § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht
davon ausgegangen, dass wegen nachträglichen Wegfalls eines Ausschluss-
grundes das Restitutionsverfahren nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG wieder
aufgenommen werden muss. Die Klage ist mit der Folge begründet, dass der
angefochtene Widerspruchsbescheid des Landesamtes aufzuheben ist.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG, der nach dem Wortlaut mit § 51 Abs. 1
Nr. 1 VwVfG des Bundes übereinstimmt (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO), hat die
Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines
unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwal-
tungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten
des Betroffenen geändert hat. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon
ausgegangen, dass die Änderung der Sachlage in dem Verzicht der Eheleute
F. auf das zu ihren Gunsten eingeräumte dingliche Nutzungsrecht liegt. Fehler-
haft ist jedoch die Annahme, diese Änderung wirke sich „zu Gunsten des Be-
troffenen“ aus. Betroffene ist zwar die Beigeladene, deren Antrag auf Restituti-
on des streitbefangenen Grundstücks wegen des rechtlichen Erwerbs des ding-
lichen Nutzungsrechts bestandskräftig abgelehnt worden war. Die Änderung
des entscheidungserheblichen Sachverhaltes kann aber nicht zu einer für die
Beigeladene günstigeren Entscheidung führen, weil sie sich auf die Rechtmä-
ßigkeit des ablehnenden Bescheides nicht auswirkt. Das liegt daran, dass die
ablehnende Restitutionsentscheidung die damalige Sachlage zeitpunktbezogen
rechtlich gestaltet hat.
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Der Bescheid vom 30. Juli 1996, nach dem der Restitution der Ausschluss-
grund von § 4 Abs. 2 VermG entgegensteht, hatte einen in der Vergangenheit
abgeschlossenen Erwerbstatbestand zum Gegenstand. Er aktualisiert sich
nicht immer wieder neu, sondern die Angelegenheit sollte mit Eintritt der Be-
standskraft ihr Bewenden haben. Die Aufhebung des Nutzungsrechts wirkte
auch nicht zurück. Die Ablehnung einer Rückübertragung nach § 4 Abs. 2
VermG erfolgt, „wenn“ in dem für die Rückübertragung maßgeblichen Zeitpunkt
ein redlicher Rechtserwerb vorliegt und nicht, solange dieser besteht. Für künf-
tige Rechtsentwicklungen ist der Bescheid nicht offen; er erschöpfte sich, so-
weit es den sozialverträglichen Ausgleich betrifft, in einer einmaligen Gestaltung
oder Bestätigung der Rechtslage. Eine spätere Aufgabe des Nutzungsrechts ist
für den Ausschlussgrund unerheblich (Beschluss vom 2. November 1999
- BVerwG 8 B 336.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 7). Ihm kommt
auch nicht deswegen eine auf Dauer angelegte Wirkung zu, weil einem auf-
grund der geänderten Umstände erneut gestellten Leistungsantrag nunmehr
die Ausschlussfrist von § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG entgegensteht. Die Folge
wäre ein Unterlaufen des Zwecks der Ausschlussfrist, wenn allein deswegen
statt eines Neuantrags ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens statt-
haft sein sollte. Die Ausschlussfrist beruht auf der Absicht des Gesetzgebers,
im Interesse der Verkehrsfähigkeit angemeldeter Vermögenswerte für Rechts-
klarheit zu sorgen.
Aus § 5 Abs. 3 Satz 1 VermG lässt sich ein gegenteiliges Ergebnis für die Beur-
teilung der Rechtsfrage nicht herleiten. Die Vorschrift schließt für die in § 5
Abs. 1 Buchst. a bis d VermG genannten Ausschlussgründe ein Wiederaufgrei-
fen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG ausdrücklich aus. Daraus zu schlussfol-
gern, anderenfalls würde § 51 ThürVwVfG auch für den Fall einer Änderung der
Sach- oder Rechtslage gelten, lässt den Regelungsgehalt der Vorschrift außer
Betracht. Beabsichtigt war auf Grund anderslautender Äußerungen in der Lite-
ratur zu § 5 VermG nur eine Klarstellung, dass es sich bei der Entscheidung, ob
ein Restitutionsausschlussgrund im Sinne von § 5 Abs. 1 VermG vorliegt, um
einen das Verfahren abschließenden Verwaltungsakt handelt (BTDrucks
15/1180 S. 22 zu Art. 3 Nr. 1).
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Einer Umdeutung des angefochtenen Widerspruchsbescheides in einen Wider-
ruf nach § 49 ThürVwVfG steht § 47 Abs. 3 ThürVwVfG entgegen, wonach eine
Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann,
nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Gödel
RiBVerwG Dr. Pagenkopf
Postier
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Gödel
Dr. Hauser
Schipper
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren
auf 65 720 € festgesetzt.
Gödel
RiBVerwG Dr. Pagenkopf
Postier
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Gödel
Dr. Hauser
Schipper
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