Urteil des BVerwG vom 15.03.2017

BVerwG: erheblicher grund, persönliche anhörung der partei, anspruch auf rechtliches gehör, persönliches erscheinen, verfassungskonforme auslegung, vertagung, verfahrensmangel, vertretener, vertretung

Rechtsquellen:
GG
Art. 101 Abs. 1 Satz 2; Art. 103 Abs. 1
VwGO
§ 86 Abs. 3; § 95 Abs. 1 Satz 1; §§ 87b, 102 Abs. 2; § 108 Abs. 2;
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3; § 133 Abs. 3 Satz 3; § 138 Nr. 1 und
Nr. 4
ZPO
§ 227
FlurbG
§ 149
Stichworte:
Besetzungsrüge; schlafender Richter; Darlegungserfordernis; Verfahrensman-
gel; Aufklärungsrüge; Gehörsrüge; Vertagungsantrag; zwingender Vertagungs-
grund; Verhinderung durch Krankheit; anwaltlich nicht vertretener Kläger; per-
sönliches Erscheinen; Gebot der Verfahrensbeschleunigung; Terminsvollmacht;
Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen.
Leitsätze:
1. An die Substantiierung der Begründung einer Besetzungsrüge, mit der gel-
tend gemacht wird, ein Richter habe während der mündlichen Verhandlung
zeitweilig geschlafen, sind strenge Anforderungen zu stellen.
2. Wenn ein anwaltlich nicht vertretener Kläger unter Hinweis auf eine Erkran-
kung, die ihn reiseunfähig macht, einen Vertagungsantrag stellt, ist ein
zwingender Vertagungsgrund nur dann anzunehmen, wenn er glaubhaft
macht, dass er auch gehindert ist, sich im Termin - etwa durch einen An-
walt - vertreten zu lassen, oder Eigentümlichkeiten der Streitsache seine
persönliche Anhörung erforderlich machen.
3. Als Prozesshandlung ist die Erteilung einer Terminsvollmacht im Grundsatz
bedingungsfeindlich.
Beschluss des 10. Senats vom 22. Mai 2006 - BVerwG 10 B 9.06
I. VGH München vom 29.09.2005 - Az.: VGH 13 A 03.1345 –
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
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BVerwG 10 B 9.06
VGH 13 A 03.1345
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter
am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und Prof. Dr. Rubel
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs (Flurbereinigungsgericht) vom 29. September
2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO (i.V.m.
§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Se-
nat konnte über die Beschwerde entscheiden, ohne dass dem Gesuch auf Bei-
ziehung weiterer Akten stattgegeben worden ist, das in der Beschwerdebe-
gründung vom 3. Januar 2006 enthalten ist. Der genannte Schriftsatz ist am
letzten Tag der - nicht verlängerbaren - Begründungsfrist (am 4. Januar 2006)
eingegangen. Weiterer Vortrag, den sich der Prozessbevollmächtigte nach Ak-
teneinsicht vorbehalten hat, wäre nicht fristwahrend und deswegen nicht zu be-
rücksichtigen gewesen.
1. Ein Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Revision führen könnte, ergibt
sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
a) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, das Flurbereinigungsgericht sei im Sinne
von § 138 Nr. 1 VwGO nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen, weil der ehren-
amtliche Richter O. in der mündlichen Verhandlung eingeschlafen sei.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 13. Juni 2001 - BVerwG 5 B 105.00 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO
Nr. 38 S. 1 f. m.w.N.) muss derjenige, der sich darauf beruft, das Gericht sei
wegen eines in der mündlichen Verhandlung eingeschlafenen Richters nicht
ordnungsmäßig besetzt gewesen, konkrete Tatsachen vortragen, welche eine
Konzentration des Richters auf wesentliche Vorgänge in der mündlichen Ver-
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handlung ausschließen. Dabei sind der Zeitpunkt, die Dauer und die Einzelhei-
ten des gerügten Verhaltens des Richters genau anzugeben. Weiterhin ist mit
der Besetzungsrüge darzulegen, was während dieser Zeit in der mündlichen
Verhandlung geschehen ist, welche für die Entscheidung wichtigen Vorgänge
der Richter also nicht habe erfassen können. Diesem Darlegungserfordernis
(vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt die Beschwerde nicht.
Die Klägerin beruft sich auf eine eidesstattliche Versicherung, die unter dem
22. Dezember 2005 von Frau Ingeborg H. und Frau Christine H. abgegeben
worden ist. Dieses Schreiben besagt, der ehrenamtliche Richter O. habe „mehr-
fach minutenweise geschlafen, was wir daran erkannten, dass er bei geschlos-
senen Augen tief atmete und sich hin und wieder ruckartig aufrichtete“. Aus
diesen Beobachtungen lässt sich, selbst wenn sie zuträfen, noch nicht sicher
darauf schließen, dass der bezeichnete Richter tatsächlich über einen längeren
Zeitraum geschlafen hat und der mündlichen Verhandlung nicht folgen konnte.
Insbesondere das ruckartige Aufrichten kann auch darauf hindeuten, dass es
sich um einen sog. Sekundenschlaf gehandelt haben kann, der die geistige
Aufnahme des wesentlichen Inhalts der mündlichen Verhandlung nicht beein-
trächtigt.
Unabhängig davon bleibt die Besetzungsrüge aus einem weiteren Grund un-
substantiiert. Es fehlt nämlich jede Darlegung dazu, wann und in welcher Phase
der mündlichen Verhandlung der ehrenamtliche Richter O. geschlafen haben
soll. Aus dem Sitzungsprotokoll ergibt sich, dass die mündliche Verhandlung
von 17.08 Uhr bis 17.40 Uhr dauerte und durch eine Senatsberatung unterbro-
chen war, die sich an die Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Er-
schienenen anschloss. Danach wurde vom Vorsitzenden ein Beratungsergeb-
nis bekannt gegeben und erläutert, bevor die Anträge und ergänzender Sach-
vortrag sowie ein gerichtlicher Hinweis protokolliert wurden. Welche dieser ver-
schiedenen Vorgänge der ehrenamtliche Richter O. infolge seines Einschlafens
nicht wahrgenommen haben soll, bleibt nach dem Beschwerdevortrag offen.
Den strengen Anforderungen, die an die Substantiierung einer Besetzungsrüge
zu stellen sind, genügt dieser Vortrag nicht. Auf die Behauptung der Beschwer-
de, ein von ihr als Zeuge benannter Zuhörer habe „mitbekommen“, dass der
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ehrenamtliche Richter O. zeitweilig während der Verhandlung geschlafen habe,
kommt es unter diesen Umständen nicht mehr an.
Auch die vom Senat vorsorglich eingeholten dienstlichen Äußerungen geben
keinen Anhalt dafür, dass der bezeichnete Richter dem wesentlichen Inhalt der
mündlichen Verhandlung nicht habe folgen können. Der ehrenamtliche Richter
O. hat bestritten, zeitweise geschlafen zu haben. Die beiden Berufsrichter, ein
weiterer ehrenamtlicher Richter und die Protokollführerin haben nicht die von
der Beschwerde geschilderten Anzeichen dafür wahrgenommen, dass der eh-
renamtliche Richter O. vorübergehend in Schlaf verfallen sein könnte. Der Vor-
sitzende kann sich erinnern, dass sich der ehrenamtliche Richter O. in zwei Be-
ratungspausen ohne Anzeichen von Müdigkeit an der Beratung beteiligt hat,
während der dritte ehrenamtliche Richter bekundet, seinen Kollegen während
der Verhandlung im Blickfeld gehabt zu haben und deswegen ausschließen zu
können, dass dieser während der Sitzung geschlafen habe. Auch der in der
mündlichen Verhandlung anwesende Beklagtenvertreter, der nach seinem Be-
kunden der Richterbank unmittelbar gegenübersaß, hat sich in der Beschwer-
deerwiderung entsprechend eingelassen.
b) Der Vorwurf einer Gehörsverletzung durch die Ablehnung des Vertagungsan-
trags vom 27. September 2005 ist unbegründet.
Bei Ablehnung eines Antrags auf Vertagung eines Termins, zu dem das Gericht
ordnungsmäßig geladen hat, kommt eine Verletzung des Anspruchs auf Ge-
währung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nur in
Betracht, wenn ein erheblicher Grund für eine Vertagung im Sinne von § 227
ZPO (i.V.m. § 173 VwGO) vorliegt und dem Gericht unterbreitet worden ist. Ent-
gegen der Auffassung der Beschwerde ist ein erheblicher Grund nicht schon
dann anzunehmen, wenn ein anwaltlich nicht vertretener Kläger unverschuldet
- etwa wegen Erkrankung, die ihn reiseunfähig macht - an dem Termin nicht
teilnehmen kann. Dem Vorsitzenden, der über den Vertagungsantrag zu ent-
scheiden hat (§ 227 Abs. 4 ZPO), ist in diesem Fall vielmehr glaubhaft zu ma-
chen, dass die Partei gehindert ist, sich im Termin - etwa durch einen Anwalt -
vertreten zu lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - BVerwG 1 C
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24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 3). Letzteres wäre dann anzuneh-
men, wenn der die Vertagung beantragenden Partei im Falle einer Vertretung
nach Lage der Dinge die Möglichkeit genommen würde, sich „erschöpfend und
sachgemäß“ zu erklären. Auch ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens
(§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO) kann dies in Betracht kommen, wenn Eigentümlich-
keiten der Streitsache eine persönliche Anhörung der Partei erforderlich ma-
chen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 - BVerwG 6 C 7.73 - BVerwGE
44, 307 <309 f.>). Die Klägerin hat zwar gegen die Ablehnung ihres Verta-
gungsantrags und den gerichtlichen Hinweis auf § 102 Abs. 2 VwGO sowie auf
die Möglichkeit einer Vertretung im Termin mit Schriftsatz vom 28. September
2005 eingewandt, dass „der Sachverhalt schwierig und komplex“ sei und ohne
sie nicht geklärt werden könne. Auch unter Berücksichtigung ihres weiteren
Schriftsatzes vom 28. September 2005, der in der mündlichen Verhandlung
dem Gericht übergeben wurde, ist ein zwingender Vertagungsgrund damit von
ihr aber nicht glaubhaft gemacht worden. Die Frage, ob das vorinstanzliche
Verfahren an einem Mangel leidet, beurteilt sich nämlich nach dem materiell-
rechtlichen Standpunkt der Tatsacheninstanz, selbst wenn dieser Standpunkt
Bedenken unterliegen sollte (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1996
- BVerwG 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 S. 1). Hier hat das Flur-
bereinigungsgericht aber - wie seine Entscheidungsgründe zeigen - der unan-
fechtbaren Schlussfeststellung eine Sperrwirkung gegenüber sämtlichen denk-
baren Ansprüchen der Klägerin beigemessen (UA S. 5). Damit konnte aus sei-
ner materiellrechtlichen Sicht von einem schwierigen und komplexen Sachver-
halt nicht mehr die Rede sein, weil nur noch zu prüfen blieb, ob ein schwerwie-
gender und offenkundiger Fehler zur Nichtigkeit des Beschwerdebescheids
vom 25. April 1973 geführt hat (UA S. 4). Der Umstand, dass die Klägerin die
Sach- und Rechtslage weiterhin anders einschätzt, lässt die Ablehnung des
Vertagungsantrags nicht verfahrensfehlerhaft erscheinen. Ebenso wenig ist
diese Handhabung deswegen zu beanstanden, weil der Vorsitzende des Flur-
bereinigungsgerichts den beiden früheren Vertagungsanträgen der Klägerin
stattgegeben hatte. Wegen des im Verwaltungsprozess geltenden Gebots der
Verfahrensbeschleunigung (vgl. § 87b VwGO) konnte der Vorsitzende sein Er-
messen fehlerfrei dahingehend ausüben, dass er - nachdem das Verfahren
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wegen der Vertagungen ein halbes Jahr nicht gefördert werden konnte - eine
erneute Vertagung ablehnte.
c) Die Gehörsrüge kann auch nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass die
von der Klägerin erteilte Terminsvollmacht nach Ansicht der Beschwerde un-
wirksam ist, weil darin Frau Christine H. mit einer unzulässigen Einschränkung
(„… mich zu vertreten, soweit es ihr - ohne mich - möglich ist.“) bevollmächtigt
worden ist.
Als Prozesshandlung ist die Erteilung einer Terminsvollmacht im Grundsatz
bedingungsfeindlich. Ob das Flurbereinigungsgericht die von der Klägerin aus-
gestellte Terminsvollmacht unter diesem Aspekt hätte zurückweisen können,
mag dahinstehen. Es liegt nämlich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs
vor, wenn die Partei es unterlässt, Gebrauch von den ihr verfahrensrechtlich
gebotenen Möglichkeiten zu machen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen
(vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 11. November 1970 - BVerwG 6 C 49.68 -
BVerwGE 36, 264 <266>). Das gilt nicht nur, wenn die Partei oder ihr Bevoll-
mächtigter trotz ordnungsmäßiger Ladung nicht zum Termin erscheinen. Viel-
mehr liegt auch dann kein Gehörsverstoß vor, wenn von der Partei ein Vertreter
ohne ordnungsmäßige Vollmacht entsandt wird und dessen Auftreten in der
mündlichen Verhandlung von der Partei nachträglich nicht genehmigt wird. Die
Partei muss sich hier die Belehrung nach § 102 Abs. 2 VwGO entgegenhalten
lassen.
Klarzustellen ist, dass die Klägerin auch nicht mit Erfolg geltend machen kann,
im Termin im Sinne von § 138 Nr. 4 VwGO nicht vertreten gewesen zu sein. Die
genannte Vorschrift setzt voraus, dass die Partei in gesetzeswidriger Weise im
Verfahren nicht vertreten war, weil das Gericht bei der Vorbereitung und Durch-
führung der mündlichen Verhandlung gegen prozessuale Vorschriften versto-
ßen hat und dadurch der Partei die Teilnahme unmöglich gemacht hat (vgl. zu
§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO a.F. BFH, Beschluss vom 17. September 1997 - X S
14/96 - juris Rn. 20). Wie zuvor gezeigt wurde, war die von der Klägerin bean-
tragte Vertagung der mündlichen Verhandlung prozessrechtlich nicht zwingend
geboten. Da Fehler der Ladung von der Beschwerde nicht gerügt werden, lag
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es nach der Ablehnung des Vertagungsantrags in der Verantwortung der Klä-
gerin, ihre ordnungsmäßige Vertretung in der mündlichen Verhandlung sicher-
zustellen (vgl. zum Fall der fehlenden Postulationsfähigkeit des Bevollmächtig-
ten BVerwG, Beschluss vom 10. Juni 2005 - BVerwG 1 B 149.04 - Buchholz
310 § 138 Ziff. 4 Nr. 8). Da dem Flurbereinigungsgericht nicht zum Vorwurf ge-
macht werden kann, durch einen Gesetzesverstoß dazu beigetragen zu haben,
wenn die Klägerin - was hier unterstellt werden mag - durch die von ihr ent-
sandte Bevollmächtigte im Termin nicht vertreten war, liegen die Voraussetzun-
gen des § 138 Nr. 4 VwGO nicht vor.
d) Fehl geht aus den vorgenannten Gründen auch die Rüge der Beschwerde,
das Flurbereinigungsgericht habe sein Urteil auf Tatsachen gestützt, zu denen
sich die Klägerin - weil sie nicht im Termin vertreten gewesen sei - nicht habe
äußern können (§ 108 Abs. 2 VwGO). Wenn die Beschwerde in diesem Zu-
sammenhang zusätzlich beanstandet, dass „umfängliche Äußerungen“ der
- unterstellt vollmachtlosen - Terminsvertreterin nicht protokolliert und dement-
sprechend in dem angefochtenen Urteil nicht gewürdigt worden seien, führt
dies zu keiner anderen Beurteilung.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt vom Gericht, den Sachvortrag der
Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl.
z.B. BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz
310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass
dies bei der Entscheidungsfindung geschehen ist, und zwar auch dann, wenn
einzelne Ausführungen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen nicht ge-
würdigt werden. Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO folgt nämlich
noch keine Pflicht des Gerichts, jedes Vorbringen im Einzelnen zu bescheiden
(stRspr des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa BVerfGE 86, 133 <146>; 87,
363 <392 f.>). Das Gericht ist nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und
Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder
anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (vgl. BVerfGE 96, 205
<217>). Um einen Verfahrensmangel anzunehmen, müssen im Einzelfall be-
sondere Umstände deutlich machen, dass der Sachvortrag eines Beteiligten
entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung
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ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist. Besondere Umstände dieser
Art liegen nicht vor, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten außer
Betracht lässt, die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensicht-
lich unsubstantiiert sind (vgl. BVerfGE 70, 288 <293 f.>; ebenso Kammerbe-
schluss vom 6. August 2002 - 2 BvR 2357/00 - NVwZ-RR 2002, 802 <803>).
Letzteres ist hier anzunehmen.
Wie bereits ausgeführt wurde, hat das Flurbereinigungsgericht seine Entschei-
dung auf eine materiellrechtliche Auffassung gestützt, die den aus der Sicht der
Klägerin schwierigen und komplexen Sachverhalt, auf den sie ihr prozessuales
Begehren „aufbauen“ wollte, als nicht entscheidungserheblich erscheinen lässt.
Mit ihren Hinweisen darauf, wie die damalige Flurbereinigung den Rechtsvor-
gänger der Klägerin „ruiniert“ hat, hat die Beschwerde nicht aufgezeigt, dass
der diesbezügliche Vortrag verfahrensfehlerhaft als unbeachtlich behandelt
worden sein könnte. Dann stellt es aber keinen Gehörsverstoß dar, wenn das
Flurbereinigungsgericht in den Entscheidungsgründen darauf verzichtet hat,
den mündlichen Parteivortrag der - unterstellt vollmachtlosen - Terminsvertrete-
rin in seinen Details zu würdigen. Das Fehlen einer Protokollierung des mündli-
chen Parteivortrags bzw. der fehlende Hinweis auf die Möglichkeit, eine Proto-
kollierung zu beantragen, ist unter diesem Aspekt nicht geeignet einen Verfah-
rensfehler aufzuzeigen, auf dem das angefochtene Urteil beruhen könnte.
e) Nicht überzeugen kann es, wenn die Beschwerde dem Vorsitzenden des
Flurbereinigungsgerichts einen Verstoß gegen die Hinweispflicht nach § 86
Abs. 3 VwGO und damit eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht ge-
genüber einer anwaltlich nicht vertretenen Partei vorwirft. Es wird nämlich nicht
deutlich, welche Klageanträge die Beschwerde - anstelle der in der mündlichen
Verhandlung protokollierten - für sachdienlich hält. Dann ist aber nicht dargelegt
(§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), aus welchem Grunde hier das Gericht nicht sei-
nen Beitrag geleistet hat, die Voraussetzungen für eine richtige, dem Gesetz
entsprechende Sachentscheidung zu schaffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom
5. Juni 1998 - BVerwG 4 BN 20.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 49
S. 5). Formfehler, die der Klägerin bei der Formulierung ihres Klagebegehrens
in der Klageschrift unterlaufen sein mögen, waren in der mündlichen Verhand-
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lung jedenfalls ausgeräumt. Dass bei diesem Bemühen - wie die Beschwerde
geltend macht - vom Flurbereinigungsgericht ein neuer Vertagungsgrund ge-
schaffen worden sei, ist nicht nachvollziehbar.
f) Soweit die Beschwerde beanstandet, verschiedene dem Klagevorbringen zu
entnehmende „Beweisanregungen“ seien vom Gericht nicht aufgegriffen wor-
den, genügt diese Aufklärungsrüge dem Darlegungserfordernis ebenfalls nicht.
Auf Einwände gegen die materiellrechtliche Auffassung des Gerichts, wie sie
von der Beschwerde im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 44 Abs. 1
BayVwVfG formuliert werden, kann diese Rüge nämlich nicht gestützt werden.
Unter Berücksichtigung seiner materiellrechtlichen Position musste sich dem
Flurbereinigungsgericht eine weitere Sachaufklärung aber nicht aufdrängen,
und zwar insbesondere auch nicht die von der Beschwerde geforderte Einho-
lung eines Sachverständigengutachtens.
2. Der von der Beschwerde geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegt ebenfalls nicht vor.
Die Beschwerde bezeichnet es als „fragwürdig, ob der Schlussfeststellung die
im Hinblick auf § 149 FlurbG beschriebenen Wirkungen zukommen können“,
und fordert eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift „im Lichte
des Art. 14 GG“. Damit wird nicht - wie es dem Darlegungserfordernis entspre-
chen würde - eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Frage des
revisiblen Rechts formuliert, die höchstrichterlich noch ungeklärt ist und die für
das angestrebte Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre (vgl. z.B.
BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 Nr. 26 S. 14). Die Beschwerde erschöpft sich vielmehr in einer am
konkreten Streitstoff orientierten Kritik des angefochtenen Urteils nach Art einer
allgemeinen Rechtsmittelschrift.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfest-
setzung folgt aus § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 2 GKG.
Hien Vallendar Prof. Dr. Rubel
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