Urteil des BVerwG vom 25.06.2012

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BVerwG 8 B 49.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 49.12
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:
Die Anhörungsrüge der Klägerinnen gegen den Beschluss des Senats vom 4. Mai
2012 - BVerwG 8 B 17.12 - wird zurückgewiesen. Ihre Gegenvorstellung wird
verworfen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1 1. Die Anhörungsrüge der Klägerinnen bleibt ohne Erfolg.
2 Gemäß § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist das Verfahren auf Rüge eines unterlegenen Beteiligten
hin fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung
nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in
entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs.
1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur
Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, soweit sie
entscheidungserheblich sind (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR
168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 <392 f.>; BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C
10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267; jew. m.w.N.). Allerdings ist das Gericht nicht
verpflichtet, in der Begründung seiner Entscheidung auf sämtliches Tatsachenvorbringen und
alle Rechtsauffassungen einzugehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur
Sprache gebracht worden sind. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von
ihm entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung
gezogen hat. Nur der wesentliche Kern des Parteivorbringens, der nach seiner
materiellrechtlichen Auffassung von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist,
muss in den Gründen der Entscheidung behandelt werden. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1
GG ist aber dann festzustellen und gegeben, wenn auf den Einzelfall bezogene Umstände
deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis
genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (stRspr;
BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216 f.> m.w.N.).
3 Aus dem Vorbringen der Klägerinnen zur Begründung ihrer Anhörungsrüge ergibt sich nichts
dafür, dass der Senat ihr Vorbringen zur Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde bei
seinem Beschluss vom 4. Mai 2012, mit dem er diese Beschwerde mangels zureichender
Darlegungen verworfen hat, nicht zur Kenntnis oder nicht in Erwägung gezogen hätte. Die
Klägerinnen verkennen aufs Neue, dass die Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit sachlichen
Angriffen gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils begründet werden kann. Die
Revision kann nur zugelassen werden, wenn einer der Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2
VwGO vorliegt. Dass dies der Fall ist, muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO in der
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt werden. Die Beschwerdebegründung
der Klägerinnen vom 27. Januar 2012 genügte diesen Anforderungen nicht; das hat der Senat in
seinem Beschluss vom 4. Mai 2012 im Einzelnen ausgeführt. Aus der Begründung ihrer
Anhörungsrüge gegen diesen Beschluss ergibt sich nicht, dass die Beschwerdebegründung der
Klägerinnen vom 27. Januar 2012 - entgegen der Würdigung durch den Senat in dem genannten
Beschluss - den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt hätte.
Namentlich zeigen die Klägerinnen nicht auf, dass der Senat einen bestimmten Vortrag in ihrer
Beschwerdebegründung übersehen oder übergangen hätte und dass dieser Vortrag eine
schlüssige Darlegung eines der gesetzlichen Revisionszulassungsgründe darstellte.
Stattdessen wiederholen sie - wiederum im Stile einer Berufungsbegründung - ihre Einwände
gegen das erstinstanzliche Urteil und fügen dem noch eine in großen Teilen rechtspolitische
Kritik der Formalisierung des Revisionszulassungsverfahrens bei. Sowenig wie zur Begründung
der Nichtzulassungsbeschwerde reicht dies zur Begründung der Anhörungsrüge hin.
4 2. Die zusammen mit der Anhörungsrüge erhobene Gegenvorstellung der Klägerinnen ist nicht
statthaft. Sie richtet sich ebenfalls gegen die Entscheidung des Senats vom 4. Mai 2012 über die
Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 24. November 2011. Mit dem Beschluss des Senats ist das
Beschwerdeverfahren rechtskräftig abgeschlossen. Gegen rechtskräftige Entscheidungen der
Gerichte sind außerordentliche Rechtsbehelfe nur dann zulässig, wenn sie in der geschriebenen
Rechtsordnung geregelt sind (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE
107, 395 <416>). Es widerspräche der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit, neben der
nunmehr ausdrücklich geregelten Anhörungsrüge (§ 152a VwGO) eine Gegenvorstellung als
ungeschriebenen außenordentlichen Rechtsbehelf gegen rechtskräftige Entscheidungen
zuzulassen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Februar 2006 - 2 BvR 575/05 - NJW 2006,
2907; BVerwG, Beschluss vom 28. März 2008 - BVerwG 8 B 20.08 - juris).
5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser