Urteil des BVerwG vom 17.06.2004
BVerwG (beschwerde, bundesverwaltungsgericht, sanierung, grundstück, rechtsfrage, ermittlung, wert, verbindung, zulassung, daten)
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 71.04
OVG 1 B 854/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. November 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsge-
richts vom 17. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 6 640,15 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unbegründet. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein
Grund für die Zulassung der Revision.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache liegt nicht vor.
a) Dies gilt zunächst für die Frage, ob der Anfangs- und der Endwert im Sinne des
§ 154 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit der Wertermittlungsverordnung (zukünftig:
WertV) getrennt voneinander ermittelt werden müssen.
Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt die Formulierung einer
bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung
erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus,
worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll.
Nicht jede Frage, zu der sich das Bundesverwaltungsgericht noch nicht geäußert hat,
führt indessen auf eine erst im Revisionsverfahren zu klärende Thematik. Nach der
Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im
Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts ein-
schließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchst-
richterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller
Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgewor-
fene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe
der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantwor-
ten lässt. So liegt es hier.
Nach § 154 Abs. 2 BauGB besteht die durch die Sanierung bedingte, nach § 154
Abs. 1 BauGB ausgleichspflichtige Erhöhung des Bodenwerts des Grundstücks aus
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dem Unterschied zwischen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben
würde, wenn eine Sanierung weder beabsichtigt noch durchgeführt worden wäre
(Anfangswert), und dem Bodenwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche
und tatsächliche Neuordnung des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets ergibt
(Endwert). Mehr als die Anordnung, dass es auf die Differenz zwischen Anfangs-
und Endwert ankommt, gibt die Vorschrift nicht her. Wie die Beschwerde selbst ein-
räumt, verhält sie sich namentlich nicht zu der Frage, wie die Differenz und insbe-
sondere die für sie maßgeblichen Anfangs- und Endwerte zu ermitteln sind. Dies ist
für die Gutachterausschüsse vielmehr in § 28 WertV geregelt (BVerwG, Urteil vom
17. Mai 2002 - BVerwG 4 C 6.01 - NVwZ 2003, 211 <212>). Gemäß dessen
Absatz 3 Satz 1 ist bei der Ermittlung des Anfangs- und Endwerts der Wert des Bo-
dens ohne Bebauung durch Vergleich mit dem Wert vergleichbarer unbebauter
Grundstücke, also im Vergleichswertverfahren (§§ 13, 14 WertV), zu ermitteln; die
für Sanierungsgebiete geltenden §§ 26 f. WertV gelten entsprechend.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass das Vergleichsverfahren nur an-
zuwenden ist, wenn ausreichende Daten zur Verfügung stehen, die gewährleisten,
dass der Verkehrswert und - im Falle der Sanierung - dessen Erhöhung zuverlässig
zu ermitteln sind. Fehlt es an aussagekräftigem Datenmaterial, ist eine andere ge-
eignete Methode anzuwenden (BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1996 - BVerwG
4 B 69.95 - NVwZ-RR 1997, 155 <156>). Zulässig ist jede Methode, mit der der ge-
setzliche Auftrag, die Bodenwerterhöhung und damit den Ausgleichsbetrag nach
dem Unterschied zwischen Anfangs- und Endwert zu ermitteln, erfüllt werden kann.
Dies kann ohne Zweifel auch ein Verfahren sein, in dem - wie in dem hier angewand-
ten und vom Berufungsgericht im Einzelnen beschriebenen so genannten Zielbaum-
verfahren - Anfangs- und Endwert nicht getrennt festgestellt werden, sondern der
Endwert aus dem festgestellten Anfangswert und dem modellhaft berechneten Be-
trag der sanierungsbedingten Wertsteigerung abgeleitet wird (vgl. auch Kleiber in:
Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 28 WertV, Rn. 14).
b) Die Frage, ob eine alternative Wertermittlungsmethode nur dann zur Ermittlung
des sanierungsbedingten Ausgleichsbetrages i.S.d. § 154 Abs. 2 BauGB in Verbin-
dung mit der WertV anwendbar ist, wenn sie nach dem Stand der Wertermittlungs-
wissenschaft zum Zeitpunkt ihrer Anwendung die objektivste und zuverlässigste al-
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ternative Wertermittlungsmethode, mindestens jedoch genauso objektiv und zuver-
lässig wie die in der WertV geregelten Wertermittlungsmethoden, namentlich die
Vergleichswertmethode, ist, rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Grundsatz-
revision. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass es vor dem Hintergrund fehlender
Vergleichsfälle alternative Wertermittlungsmethoden gibt, die der vom Berufungsge-
richt gebilligten Zielbaummethode überlegen sind. Dass nur eine Methode gewählt
werden darf, die den in der WertV normierten gleichwertig ist, versteht sich von
selbst. Im Übrigen hat der Senat bereits klargestellt, dass bei jeder Wertermittlung
die allgemein anerkannten Grundsätze der Wertermittlungsverordnung beachtet
werden müssen (Urteil vom 17. Mai 2002, a.a.O.).
c) Auch die Frage, ob eine alternative Wertermittlungsmethode nur dann zur Er-
mittlung des sanierungsbedingten Ausgleichsbetrages i.S.d. § 154 Abs. 2 BauGB in
Verbindung mit der WertV anwendbar ist, wenn die mit ihr unterstellten empirischen
Zusammenhänge methodisch-wissenschaftlich, beispielsweise durch eine Regressi-
onsanalyse abgesichert sind, führt nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Ob
eine alternative Wertermittlungsmethode in gleichem Maße wie die in der WertV ge-
regelten Methoden geeignet ist, die Steigerung des Bodenwerts zuverlässig zu er-
fassen, ist eine Tat- und keine Rechtsfrage.
d) Schließlich ist die Revision nicht wegen der Frage zuzulassen, ob bei der Anwen-
dung alternativer Wertermittlungsmethoden sämtliche, jedenfalls alle der Gemeinde
bekannten und nahe liegenden Vorkehrungen zu treffen sind, die eine möglichst ob-
jektive und zuverlässige Anwendung dieser Methode gewährleisten. Die Beschwerde
beanstandet im Gewand der Grundsatzrüge, dass das Berufungsgericht die Erhe-
bung der für die Anwendung der Zielbaummethode maßgeblichen Daten durch an-
geblich nicht ausreichend geschulte Mitarbeiter der Beklagten gebilligt hat. Mit einer
auf den konkreten Streitfall zugeschnittenen Kritik an der vorinstanzlichen Sachver-
haltswürdigung und Rechtsanwendung lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer
Rechtssache jedoch nicht belegen.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfah-
rensfehlers zuzulassen. Das Berufungsurteil leidet nicht unter dem geltend gemach-
ten Verfahrensfehler der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1
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VwGO). Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, durch Einholung eines Sach-
verständigengutachtens - wie beantragt - der Frage nachzugehen, ob es in anderen
Städten ausreichende geeignete Vergleichsfälle gibt, die die Anwendung des Ver-
gleichswertverfahrens ermöglichen. Es durfte die von der Beschwerde vermisste wei-
tere Aufklärung des Sachverhalts mit der Begründung ablehnen, es gebe keinen An-
lass, an den Darstellungen des Gutachterausschusses und der in der mündlichen
Verhandlung vernommenen amtlichen Auskunftsperson, des bei der Beklagten be-
schäftigten Dipl.-Ing. K., zu zweifeln, wonach sich nicht nur in Leipzig, sondern auch
in anderen Großstädten in den neuen Bundesländern (Dresden, Chemnitz) kein zu-
sammenhängendes Areal finden lasse, das den Endwert für ein hinsichtlich Sub-
stanz und Funktion intaktes städtebauliches Gefüge repräsentieren könnte.
Ein Tatsachengericht darf sich grundsätzlich ohne Verstoß gegen die ihm obliegende
Aufklärungspflicht auf gutachterliche Stellungnahmen stützen, die im gerichtlichen
oder behördlichen Verfahren eingeholt worden sind. Das Einholen zusätzlicher Gut-
achten oder gutachterlicher Stellungnahmen liegt gemäß § 98 VwGO i.V.m. den
§ 404 Abs. 1, § 412 Abs. 1 ZPO in seinem Ermessen. Das Ermessen wird nur dann
fehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von einer Einholung absieht, obwohl sich ihm
die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. Dass
dem so gewesen sei, zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie behauptet selbst nicht,
dem Berufungsgericht irgendeinen Anhaltspunkt dafür geliefert zu haben, dass die
Darstellung des Gutachterausschusses und des Dipl.-Ing. K. unzutreffend sein könn-
te. Auch in der Beschwerdebegründung beschränkt sie sich auf die rein spekulative
Vermutung, durch Rückgriffe auf Vergleichsfälle in anderen Städten mit mehr als
100 000 Einwohnern und dort durchgeführte Sanierungsmaßnahmen, auch aus frü-
herer Zeit, könne mit großer Sicherheit nach der Vergleichswertmethode der sanie-
rungsbedingte Wertzuwachs auch aktueller Leipziger Bewertungsfälle bestimmt bzw.
prognostiziert werden. Den entsprechend formulierten Beweisantrag, der erkennbar
ohne jede tatsächliche Grundlage "ins Blaue hinein" erhoben worden ist, hat die Vor-
instanz zu Recht abgelehnt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. März 1995 - BVerwG
11 B 21.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266). Das Berufungsgericht war
nicht gehalten, auf bloßen Zuruf alle 83 deutschen Großstädte daraufhin untersu-
chen zu lassen, ob es in ihnen vergleichbare Sanierungsgebiete wie dasjenige in
Leipzig gibt, in dem das klägerische Grundstück belegen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertentschei-
dung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3, § 72 Nr. 1 GKG n.F.
Dr. Paetow Gatz Dr. Jannasch