Urteil des BVerwG vom 03.06.2006

BVerwG: beweisantrag, aufenthaltserlaubnis, ausstellung, mitwirkungshandlungen, ausländer, ausreise, aufklärungspflicht, begriff, zusammenwirken, zumutbarkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 132.05
VGH 12 UE 1031/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Juni 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter
am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 7. November 2005 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde
hat keinen Erfolg.
1. Die von der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge wegen Unterlassens ei-
ner von der Klägerin beantragten Beweisaufnahme greift nicht durch.
Das Berufungsgericht hat den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch
auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25
Abs. 5 AufenthG deshalb verneint, weil die Klägerin nur dadurch an der Ausrei-
se in die Türkei gehindert sei, dass sie keine türkischen Passpapiere besitze,
sie aber zumutbare Anforderungen zur Erlangung zumindest von Passersatz-
papieren nicht erfüllt habe. Sie sei nämlich nicht zu dem in dem Aufforderungs-
schreiben der beklagten Ausländerbehörde genannten Termin am 6. Juli 2005
um 14 Uhr im türkischen Generalkonsulat in Frankfurt bei dem dortigen Mitar-
beiter Herrn H. erschienen, sondern habe nach ihren eigenen Angaben an die-
sem Tag um 9 Uhr im Generalkonsulat anderweit vorgesprochen und vergeb-
lich um die Ausstellung von Papieren nachgesucht. Die Einhaltung des von der
Beklagten mit Herrn H. vorher vereinbarten Termins beim Generalkonsulat um
14 Uhr sei der Klägerin ohne weiteres zumutbar gewesen. Die verlangte Mitwir-
kung sei auch nicht von vornherein unmöglich, sinnlos oder willkürlich gewesen,
da die Beklagte dargelegt habe, dass das türkische Generalkonsulat zur Er-
möglichung einer Rückreise in die Türkei an türkische Staatsangehörige Pässe
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oder zumindest Passersatzpapiere ausstelle. Ausweislich des Vermerks vom
5. Januar 2005 über ein Telefonat zwischen Mitarbeitern der Beklagten und
Herrn H. vom türkischen Generalkonsulat (GA Bl. 170) bestünden bei Vorlage
von Lichtbildern und einem Ticket zur Ausreise keinerlei Probleme bei einer
Passausstellung. Es sei deshalb auch nicht von vornherein ausgeschlossen,
dass die Einhaltung der Mitwirkungsverpflichtung zur Ausstellung zumindest
eines Passersatzpapiers geführt hätte.
Die Beschwerde trägt zur Begründung ihrer Verfahrensrüge vor, die Klägerin
habe auf die Anhörungsmitteilung zum vereinfachten Berufungsverfahren nach
§ 130a VwGO hin schriftsätzlich eine zeugenschaftliche Vernehmung des Mit-
arbeiters des türkischen Konsulats Herrn H. zum Beweis der Tatsache bean-
tragt, dass sie selbst im Falle einer Vorsprache zu dem bei Herrn H. vereinbar-
ten Termin keinen Reiseausweis bzw. ein Reisedokument erhalten hätte. Hätte
das Berufungsgericht den beantragten Beweis erhoben und hätte sich dabei
die Behauptung der Klägerin bestätigt, hätte festgestanden, dass sie nicht zur
Vorsprache bei Herrn H. zu dem vereinbarten Termin um 14 Uhr verpflichtet
war, da Handlungen, welche zu einem objektiv unmöglichen Ergebnis führten,
nicht unter den Begriff eines „zumutbaren Handelns“ subsumiert werden könn-
ten. Anstatt den beantragten Beweis zu erheben, habe sich das Gericht auf
Schreiben oder Vermerke der Beklagten gestützt, die lediglich als Tatsachen-
vortrag eines Beteiligten, nicht aber als Beweismittel bewertet werden dürften.
Ein Verfahrensfehler - sei es eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Kläge-
rin (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) oder eine Verletzung der gericht-
lichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) - ist damit nicht schlüssig darge-
tan. Die Beschwerde zeigt weder auf, dass das Berufungsgericht den Beweis-
antrag aus Gründen abgelehnt hat, die im Prozessrecht keine Stütze finden,
noch legt sie dar, dass sich dem Berufungsgericht ausgehend von seiner mate-
riellrechtlichen Rechtsauffassung die vermisste weitere Aufklärung hätte auf-
drängen müssen. Allerdings ist das Berufungsgericht in den Gründen seiner
Entscheidung nicht mehr ausdrücklich auf den Beweisantrag der Klägerin aus
dem Schriftsatz vom 17. Oktober 2005 und die Gründe für dessen Ablehnung
eingegangen, wie es bei einem schriftsätzlichen Beweisantrag im vereinfachten
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Berufungsverfahren mangels Vorabentscheidung nach § 86 Abs. 2 VwGO
regelmäßig erforderlich ist (vgl. etwa Beschluss vom 27. Dezember 2001
- BVerwG 1 B 361.01 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 56 m.w.N.). Im vorlie-
genden Fall war dies indes entbehrlich und ist von der Beschwerde - zu Recht -
auch nicht gerügt worden, weil das Berufungsgericht bereits mit seinem Schrei-
ben vom 26. Oktober 2005, das seinerseits auf den bereits im ersten Anhö-
rungsschreiben vom 5. Oktober 2005 enthaltenen Rechtshinweis zum Ver-
gleichsvorschlag vom 18. November 2004 Bezug nahm (GA Bl. 125, 208, 221),
hinreichend deutlich gemacht hat, dass es den Beweisantrag nicht für ent-
scheidungserheblich hält, da es nach seiner Rechtsauffassung für die Versa-
gung der Aufenthaltserlaubnis genüge, „dass die Klägerin wesentliche Mitwir-
kungshandlungen verweigert, ohne dass feststeht, ob die Mitwirkung zur Besei-
tigung des Abschiebungshindernisses führen würde“. Diese vorab - wenn auch
knapp - mitgeteilte Rechtsauffassung kommt deutlich auch in den Gründen der
Berufungsentscheidung zum Ausdruck. So führt das Berufungsgericht im Rah-
men der Prüfung des Ausschlussgrundes nach § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4
AufenthG aus, dass die Einhaltung des vereinbarten Termins zur Vorsprache
bei Herrn H. im türkischen Generalkonsulat der Klägerin ohne weiteres zumut-
bar gewesen sei, und stellt im Weiteren darauf ab, dass die von ihr verlangte
Mitwirkung auch nicht „von vornherein unmöglich, sinnlos oder willkürlich“ ge-
wesen und es nicht „von vornherein ausgeschlossen“ sei, dass sie zur Ausstel-
lung zumindest eines Passersatzpapiers geführt hätte (BA S. 7 und 9). Kam es
mithin nach der materiellrechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts nur dar-
auf an, dass die Mitwirkungshandlung nicht von vornherein erkennbar aus-
sichtslos war, nicht aber darauf, ob sie im Ergebnis tatsächlich zu dem ge-
wünschten Erfolg geführt hätte, brauchte es dem allein auf die letztgenannte
Feststellung gerichteten Beweisantrag nicht nachzukommen. Denn die Gerichte
sind zur Beweiserhebung über nach ihrer Rechtsauffassung unerhebliche Um-
stände nicht verpflichtet. Das Absehen von der Beweiserhebung verstieß folg-
lich weder gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs noch ge-
gen die gerichtliche Aufklärungspflicht. Ob die in dem Beweisantrag aufgestellte
Behauptung überhaupt einer Klärung durch Zeugenbeweis zugänglich wäre
und unter welchen Voraussetzungen der genannte Mitarbeiter des türkischen
Generalkonsulats als Zeuge über seine hoheitliche Tätigkeit vernommen wer-
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den könnte, kann deshalb dahinstehen (vgl. hierzu etwa Beschluss vom
30. September 1988 - BVerwG 9 CB 47.88 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 84).
2. Soweit die Beschwerde sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechts-
sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) beruft, genügt ihr Vorbringen nicht den Dar-
legungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde macht
geltend, die Begriffe „Mitwirkungspflicht“ und „zumutbare Anforderungen“ im
Sinne von § 70 Abs. 4 AuslG (§ 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) und § 30 Abs. 4
AuslG seien in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht geklärt,
insbesondere insoweit, ob Mitwirkungshandlungen, welche objektiv zu einem
unmöglichen Ergebnis bzw. zu keinem Ergebniserfolg führen können, unter
diese Begriffe zu subsumieren sind. Damit wird indes nicht - wie für eine
Grundsatzrüge erforderlich - eine bestimmte klärungsbedürftige und verallge-
meinerungsfähig zu beantwortende Rechtsfrage aufgeworfen. Wie der Senat
zu dem Begriff der „zumutbaren Anforderungen“ in § 30 Abs. 4 AuslG (vgl. in-
soweit jetzt § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG) bereits ausgeführt hat, ist über die
Zumutbarkeit der dem Ausländer obliegenden Handlungen unter Berücksichti-
gung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu entscheiden. Mit
der Verwendung dieses Begriffes will das Gesetz es gerade ermöglichen, den
Eigenheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen (Beschluss vom 16. Dezem-
ber 1998 - BVerwG 1 B 105.98 - Buchholz 402.240 § 30 AuslG 1990 Nr. 10).
Dies gilt auch für die Beurteilung der Erfolgschancen einer bestimmten Mitwir-
kungshandlung. Über die Aussage hinaus, dass von vornherein erkennbar aus-
sichtslose Handlungen dem Ausländer nicht abverlangt werden dürfen, entzieht
sich die Frage daher einer abstrakt-generellen Klärung in einem Revisionsver-
fahren. Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern der Fall der Klägerin ange-
sichts dessen Anlass zu weitergehender rechtsgrundsätzlicher Klärung geben
könnte.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
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Im Übrigen bemerkt der Senat, dass es der Klägerin unbenommen bleibt, sich
ggf. im Zusammenwirken mit der Beklagten künftig ernsthaft um die Beschaf-
fung von Ausreisedokumenten zu bemühen und erneut eine Aufenthaltserlaub-
nis zu beantragen, falls diese Bemühungen tatsächlich keinen Erfolg haben
sollten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1
GKG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig
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