Urteil des BVerwG vom 30.04.2013
BVerwG: betroffene person, versetzung, unterrichtung, wiederherstellung, zeugnis, beamter, überzeugung, personalakte, kunst, gebärdensprache
BVerwG 2 B 10.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 10.12
VG Karlsruhe - 10.03.2009 - AZ: VG 8 K 422/07
VGH Baden-Württemberg - 08.11.2011 - AZ: VGH 4 S 193/10
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. April 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 8. November 2011 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 42 362 € festgesetzt.
Gründe
1 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und
des Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat
keinen Erfolg.
2 1. Der 1945 geborene Kläger ist Steueramtmann (Besoldungsgruppe A 11 BBesO) und war
zuletzt beim Finanzamt A als Großbetriebsprüfer beschäftigt. Seit Februar 2005 verrichtete er
keinen Dienst mehr. Ein amtsärztliches Gutachten vom Februar 2006 kam zu dem Ergebnis,
dass der Kläger dienstunfähig sei. Im März 2006 informierte die Oberfinanzdirektion den Kläger
über ihre Absicht, ihn in den Ruhestand zu versetzen. Der Kläger erhob hiergegen
Einwendungen und beantragte die Beteiligung des Personalrats. Im Juli 2006 bat die
Oberfinanzdirektion den Bezirkspersonalrat um Mitwirkung bei der vorzeitigen Versetzung in den
Ruhestand. Der Bezirkspersonalrat erteilte im selben Monat seine Zustimmung. Im August 2006
versetzte die Oberfinanzdirektion den Kläger wegen dauernder Dienstunfähigkeit zum
Monatsende vorzeitig in den Ruhestand. Der Widerspruch des Klägers ist erfolglos geblieben;
auf die Berufung des Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil hat der
Verwaltungsgerichtshof die Klage abgewiesen.
3 Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass die Beteiligung der Personalvertretung
ordnungsgemäß gewesen sei. Bei der Mitwirkung in Personalangelegenheiten genüge es
regelmäßig, dass der Personalrat über die beabsichtigte Maßnahme selbst, d.h. über die davon
betroffene Person sowie über Art und Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Maßnahme, informiert
werde und die hierfür erforderlichen Unterlagen vorgelegt bekomme. Dies sei hier geschehen.
Auch in materieller Hinsicht sei die vorzeitige Versetzung des Klägers in den Ruhestand nicht zu
beanstanden. Auf der Grundlage des amtsärztlichen Gutachtens sei der Kläger als dienstunfähig
anzusehen. Eine anderweitige Verwendung oder eine begrenzte Dienstfähigkeit komme danach
nicht in Betracht.
4 2. Der geltend gemachte Revisionsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
5 Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall
erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und
im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in
einem Revisionsverfahren bedarf (Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 -
BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 und vom 2. Februar 2011 - BVerwG 6
B 37.10 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 173 = NVwZ 2011, 507; stRspr).
6 Die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung
der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfordert, dass der Beschwerdeführer
eine konkrete Frage des revisiblen Rechts bezeichnet und aufzeigt, dass diese Frage sowohl im
konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist. Aus der
Beschwerdebegründung muss sich ergeben, dass eine die Berufungsentscheidung tragende
rechtliche Erwägung des Berufungsgerichts im Interesse der Rechtseinheit oder der
Rechtsfortbildung der Nachprüfung in einem Revisionsverfahren bedarf. Diese Voraussetzungen
sind nicht erfüllt, wenn eine von der Beschwerde aufgeworfene Frage bereits geklärt ist oder auf
der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines
Revisionsverfahrens beantwortet werden kann (stRspr; vgl. Beschluss vom 6. Januar 2012 -
BVerwG 2 B 113.11 - DÖD 2012, 104).
7 Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Zwar ist die Auslegung landesrechtlicher
Normen des Personalvertretungsrechts revisibel, wenn sie einen beamtenrechtlichen Inhalt
haben und deshalb materiell dem Beamtenrecht zuzuordnen sind, was insbesondere in Betracht
kommen kann, wenn geregelt wird, ob und in welcher Weise der Personalrat an
beamtenrechtlichen Maßnahmen zu beteiligen ist (BVerwG, Beschluss vom 28. August 1986 -
BVerwG 2 C 67.85 - Buchholz 237.5 § 42 HeLBG Nr. 5 S. 8 m.w.N.). Die Ausführungen der
Beschwerde sind aber sämtlich einzelfallbezogen und rügen die vermeintlich unrichtige
Rechtsanwendung im Einzelfall. Auch wenn man die formulierte Frage, „ob die angegriffene
Maßnahme des Beschwerdegegners deshalb rechtswidrig und damit anfechtbar ist, weil dieser
nicht alle Informationen beziehungsweise Unterlagen an den Bezirkspersonalrat weitergereicht
hatte, die er bedeutsam für die Prüfung der Frage halten durfte, ob ein Versagungsgrund durch
den Bezirkspersonalrat vorliegen könnte“ zugunsten des Klägers dahin auslegt, dass die
Klärung der grundsätzlichen Frage begehrt wird, ob die Dienststellenleitung bei der Mitwirkung
des Personalrats in personellen Angelegenheiten alle aus ihrer Sicht für den Personalrat
möglicherweise bedeutsamen Informationen erteilen und Unterlagen zur Verfügung stellen
muss, führt dies nicht zur Zulassung der Revision.
8 Die Frage des Umfangs der Verpflichtung der Dienststellenleitung zur Erteilung von
Informationen und der etwaigen Zurverfügungstellung von Unterlagen ist durch die vom
Verwaltungsgerichtshof herangezogenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
bereits geklärt: Der Umfang der Unterrichtung des Personalrats richtet sich im Einzelfall jeweils
danach, für welche Maßnahme die Zustimmung beantragt wird. Bei der Mitbestimmung in
Personalangelegenheiten, die einen einzelnen Beschäftigten betreffen, genügt es regelmäßig,
dass der Personalrat über die beabsichtigte Maßnahme selbst, d.h. über die davon betroffene
Person sowie über Art und Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Maßnahme, informiert wird
(Beschluss vom 10. August 1987 - BVerwG 6 P 22.84 - BVerwGE 78, 65 <69> = Buchholz 251.0
§ 69 BaWüPersVG Nr. 1). Die Unterrichtung muss konkret genug sein sowie Art und Umfang der
beabsichtigten Maßnahme erkennen lassen. Eine irreführende oder auf Täuschung beruhende
Unterrichtung durch die Dienststelle entspricht diesen Anforderungen nicht und führt zur
Anfechtbarkeit der getroffenen Maßnahme. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, wenn der
Personalrat in kurzer und knapper Form zutreffend über die beabsichtigte Maßnahme unterrichtet
wird (Urteil vom 12. Oktober 1989 - BVerwG 2 C 22.87 - BVerwGE 82, 356 <362> = Buchholz
232 § 31 BBG Nr. 49; Beschluss vom 19. August 2004 - BVerwG 2 B 54.04 - Buchholz 232 § 31
BBG Nr. 62).
9 3. Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs.
2 Nr. 3 VwGO wegen Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO durch Zugrundelegung eines falschen oder unvollständigen Sachverhalts liegt ebenfalls
nicht vor.
10 § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis
des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet, ist verletzt, wenn das Gericht bei seiner
rechtlichen Würdigung von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist.
Dies ist z.B. gegeben, wenn es wesentliche Bekundungen eines Beteiligten nicht berücksichtigt
oder ihm Erklärungen unterstellt, die er nicht abgegeben hat (Urteile vom 28. April 1983 -
BVerwG 2 C 89.81 - Buchholz 237.6 § 39 NdsLBG Nr. 1 und vom 23. Januar 1984 - BVerwG 6 C
131.81 - juris Rn. 10; Beschlüsse vom 17. Mai 2011 - BVerwG 8 B 88.10 - juris m.w.N. und vom
21. März 2012 - 2 B 11.11 - juris). Es fehlt an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die
innere Überzeugungsbildung des Gerichts, wenn es einzelne Tatsachenfeststellungen oder
Beweisergebnisse bei seiner rechtlichen Würdigung außer Acht lässt, deren
Entscheidungserheblichkeit sich ihm auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte
aufdrängen müssen (Beschlüsse vom 15. Februar 2010 - BVerwG 2 B 126.09
abgedruckt in Buchholz 232.0 § 96 BBG 2009 Nr. 1>, vom 17. Mai 2011 - BVerwG 8 B 88.10 -
juris m.w.N. und vom 21. März 2012 - 2 B 11.11 - juris). Ein solcher Verfahrensfehler ist hier nicht
festzustellen.
11 Der Kläger rügt zum einen, der Verwaltungsgerichtshof habe fälschlich angenommen, die
Amtsärztin habe in ihrem Gutachten vom Februar 2006 festgestellt, dass weder eine
anderweitige Verwendung noch eine begrenzte Dienstfähigkeit beim Kläger in Betracht kämen;
die Amtsärztin habe aber lediglich festgestellt, dass beim Kläger von einer Wiederherstellung der
Dienstfähigkeit in absehbarer Zeit nicht ausgegangen werden könne.
12 Zwar ist zutreffend, dass mit der bloßen Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit eine
begrenzte Dienstunfähigkeit oder eine anderweitige Verwendbarkeit nicht verneint werden kann.
Nach den Beamtengesetzen des Bundes und der Länder (vgl. nur §§ 44 f. BBG §§ 53 f.
BaWüLBG a.F.) ist vielmehr zu unterscheiden: Ist ein Beamter dienstunfähig, so muss bzw. soll
geprüft werden, ob eine anderweitige Verwendung oder eine begrenzte Dienstfähigkeit in
Betracht kommen. Nur wenn dies nicht möglich ist, kann eine Versetzung in den Ruhestand
wegen Dienstunfähigkeit erfolgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - BVerwG 2 C 73.08 -
BVerwGE 133, 297 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 25 Rn. 14 m.w.N.; Beschluss vom 6. März
2012 - BVerwG 2 A 5.10 - RiA 2012, 165 f.).
13 Entgegen der Darstellung der Beschwerde erschöpft sich die Stellungnahme der Amtsärztin
indes nicht in der Aussage, es könne „von der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit in
absehbarer Zeit nicht ausgegangen werden“. Die Amtsärztin hat vielmehr in ihrem
amtsärztlichen Zeugnis zur Untersuchung des Klägers im Februar 2006 auch die Fragen nach
dessen begrenzter Dienstfähigkeit und einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit verneint
(Bl. 117 der Personalakte des Klägers; Ziff. II Nr. 6 und 7). Dies übersieht die Beschwerde. Sie -
und nicht das Berufungsurteil - geht von einem falschen Sachverhalt aus. Ob das amtsärztliche
Gutachten eine ausreichende Grundlage für die Versetzung des Klägers in den Ruhestand
wegen Dienstunfähigkeit war, ist hier nicht zu klären.
14 Der Kläger rügt zum anderen, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht beanstandet habe, dass
der Beklagte eine anderweitige Verwendung nach § 53 Abs. 3 BaWüLBG a.F. oder eine
begrenzte Dienstfähigkeit nach § 53 a BaWüLBG a.F. nicht geprüft habe. Damit kann der Kläger
schon deshalb nicht durchdringen, weil der Beklagte, nachdem beides im amtsärztlichen
Zeugnis vom Februar 2006 verneint worden war, keinen Anlass mehr für eine solche Prüfung
hatte. Im Übrigen macht der Kläger hier auch keinen Verfahrensmangel geltend, er rügt
insbesondere nicht, dass das Gericht von einem falschen oder unrichtigen Sachverhalt
ausgegangen ist. Vielmehr greift er die Anwendung materiellen Rechts im Einzelfall an, nämlich
die Verneinung einer anderweitigen Verwendbarkeit und einer begrenzten Dienstfähigkeit des
Beamten durch den Dienstherrn als Voraussetzungen für die Versetzung des Beamten in den
Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Damit ist ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz
des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht dargetan.
15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für
das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.
Domgörgen
Dr. von der Weiden
Thomsen