Urteil des BVerwG vom 29.05.2012

BVerwG: rüge, erbengemeinschaft, eigentum, erforschung, form, ausnahme

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 32.12
VG 1 K 217/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Mai 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Potsdam vom 15. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beige-
ladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin begehrt die Auskehr des Veräußerungserlöses aus dem Verkauf
verschiedener Grundstücke an die Erbengemeinschaft nach Hermann Sch. Das
Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin gegen den ablehnenden Be-
scheid vom 9. August 2007 abgewiesen, da die Erbengemeinschaft nicht im
Sinne von § 2 Abs. 1 VermG berechtigt und hinsichtlich zweier Flurstücke die
Anmeldung nicht rechtzeitig erfolgt sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich
die Beschwerde.
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ge-
stützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht gegeben
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung nur dann zu, wenn die
Beschwerde eine abstrakte Rechtsfrage aufwirft, die einer revisionsgericht-
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lichen Klärung bedarf und von fallübergreifendem Gewicht ist. Daran fehlt es
bezüglich der allein aufgeworfenen Frage:
Ist es möglich, eine Erklärung ihrem eindeutigen Wortlaut
zuwider nach ihrem Sinn und Zweck und dem erkennba-
ren Willen des Erklärenden auszulegen?
Diese Frage verleiht dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung. In ihrer
allgemeinen Form ist sie ohne Weiteres zu bejahen; schon § 133 BGB gebietet,
bei der Auslegung einer Willenserklärung den wirklichen Willen zu erforschen
und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Namentlich
kommt eine derartige Auslegung bei einer erkennbaren Falschbezeichnung in
Betracht. Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern der vorliegende Rechtsstreit
zu einer näheren Auseinandersetzung mit diesen Regeln zwingt. Sie meint, das
Verwaltungsgericht habe erkennen müssen, dass der Antrag vom 2. Oktober
1992 nur irrtümlich die Flurstücke b und c genannt, eigentlich aber das Flur-
stück a gemeint habe. Damit wendet sie sich nur gegen die Sachwürdigung im
Einzelfall, zeigt aber keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht hin-
reichend im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt.
Die Rüge der Divergenz setzt einen Rechtssatzwiderspruch zwischen der Ent-
scheidung des Verwaltungsgerichts und einer Entscheidung des Bundesverwal-
tungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bun-
des oder des Bundesverfassungsgerichts voraus, auf dem das Urteil des Ver-
waltungsgerichts beruht. Keine Divergenz in diesem Sinne liegt vor, wenn das
Verwaltungsgericht einen Rechtssatz vermeintlich unzutreffend angewendet
hat. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenzrüge gehört unter an-
derem die Darlegung, mit welchem das angegriffene Urteil unmittelbar tragen-
den, abstrakten Rechtssatz das Verwaltungsgericht einen ebensolchen Rechts-
satz in der zu benennenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wi-
dersprochen hat. Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht
gerecht. Die Beschwerde nennt zwar das Urteil vom 18. Oktober 2000
- BVerwG 8 C 13.99 - und den Beschluss vom 13. Januar 2012 - BVerwG 9 B
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56.11 - und die darin aufgestellten Rechtssätze. Sie arbeitet jedoch keinen ent-
scheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz heraus, mit dem das Verwal-
tungsgericht im angefochtenen Urteil hiervon abgewichen sein soll. Das Verwal-
tungsgericht hat in seiner Entscheidung weder ausdrücklich noch sinngemäß
den Rechtssatz aufgestellt, dass es sich bei vermeintlich eindeutigen Erklärun-
gen verbietet, Erklärungen nach Sinn und Zweck und dem erkennbaren Willen
des Erklärenden auszulegen. Es hat vielmehr ausgehend von der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts, dass für die Auslegung einer Willens-
erklärung nur Raum ist, soweit sie auslegungsbedürftig, also nicht eindeutig ist
(Urteil vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 8.00 - Buchholz 428 § 30 VermG
Nr. 21), geprüft, ob die Anträge vom 24. August und 2. Oktober 1992 dahin zu
verstehen seien, dass auch sonstige Vermögenswerte, die ehemals im Eigen-
tum des Vorgängers der Klägerin standen, - insbesondere das ehemalige Flur-
stück a Flur … - mit von der Anmeldung umfasst sein sollten. Dass es hierbei
nicht zu dem von der Klägerin gewünschten Auslegungsergebnis gekommen
ist, führt nicht zur Zulassung der Revision wegen Divergenz. Hinsichtlich der
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Januar 2012 - BVerwG
9 B 56.11 - arbeitet die Beschwerde ebenfalls keinen Rechtssatzwiderspruch
heraus.
3. Mit der Beschwerde ist auch nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
erforderlichen Weise dargelegt worden, dass das Verwaltungsgericht gegen
seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen gemäß § 86
Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen hätte. Die Rüge der Verletzung des verwal-
tungsprozessualen Untersuchungsgrundsatzes erfordert zum einen die subs-
tantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungs-
bedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklä-
rungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächli-
chen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklä-
rung voraussichtlich getroffen worden wären. Zum anderen muss entweder
dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, ins-
besondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachver-
haltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden
ist, oder dass sich dem Verwaltungsgericht die bezeichneten Ermittlungen auch
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ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Die Dar-
legungen in der Beschwerdebegründung ergeben nicht, dass sich dem Verwal-
tungsgericht eine weitere Sachaufklärung zur Erforschung des Willens der Par-
tei bei der Antragstellung im August bzw. Oktober 1992 hätte aufdrängen müs-
sen. Nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts war
für die Auslegung des Restitutionsantrags dahingehend, dass damit auch das
Flurstück a umfasst sein sollte, kein Raum, weil sich der Restitutionsantrag ein-
deutig nicht darauf bezogen hat. Den Hinweis auf den Verkauf an Mercedes-
Benz hat das Verwaltungsgericht nur im Hinblick auf die Flurstücke c und b ge-
sehen. Im Übrigen ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht, welche
tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der vermissten Sachverhaltsauf-
klärung vom Verwaltungsgericht voraussichtlich getroffen worden wären (Urteil
vom 16. Dezember 1977 - BVerwG 7 C 59.74 - BVerwGE 55, 159 <169 f.>; Be-
schluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 265).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Fest-
setzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1
und 3 GKG; sie berücksichtigt, dass die Beschwerde nur noch das ehemalige
Flurstück a (mit 33 667 qm) betrifft.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert Dr. Deiseroth Dr. Hauser
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